Ein junger Klangkörper zeigt beachtliches Talent

Das Kammerorchester Camerata Musica Reno präsentiert sich bei ihrem ersten Abokonzert im Reichshofsaal spielfreudig, souverän und auf musikalisch hohem Niveau.
Die musikalische Arbeit des aus Altach stammenden Dirigenten Tobias Grabher mit seiner Camerata Musica Reno ist weiterhin fruchtbar: vor wenigen Monaten hat er sein Diplomstudium an der Wiener Musikuniversität abgeschlossen, im Sommer folgte ein Programm wieder in der schwarzen Box des Theaters Kosmos in Bregenz und erstmalig in der Tonhalle St. Gallen, mit dem jüngsten Projekt war das junge Kammerorchester erstmals im Rahmen der Abokonzerte im Lustenauer Reichshofsaal zu erleben: zwei spritzige und farbenreiche Werke des Neoklassizismus umrahmten eine schillernde Virtuosen-Phantasie, und wieder durfte man staunen über die musikalische Präsenz des Dirigenten, des Solisten und der Musizierenden.

Im letzten Projekt war der aus Feldkirch stammende Geiger David Kessler Konzertmeister des jungen Kammerorchesters gewesen, nun holte ihn Tobias Grabher als Solisten aufs Podium.
Präzise
In seiner ersten Symphonie, der Symphonie classique, hat sich der russische Komponist Sergej Prokofjew die sprechende und humorvolle Musik Joseph Haydns zum Vorbild genommen. So lässt auch Tobias Grabher die beweglich plappernden Motive der Holzbläser tanzen, setzt freche Akzente mit starker Dynamik über einem stets pochenden Puls. Im Larghetto darf die Gruppe der Violinen aufblühen und mit zarten Figuren spielen, der Tanzsatz ist charmant gestaltet, bevor das Finale präzise wie ein Uhrwerk, aber auch charmant und fröhlich wirbelt.
Virtuos
Der Violinvirtuose Henryk Wieniawski führt in seiner Fantaisie brillante über Motive aus Gounods Oper „Faust“ die vielleicht bekanntesten Figuren der Theatergeschichte vor unsere Ohren: Goethes Faust, Mephisto und Gretchen geben sich ein Stelldichein, die Solovioline schlüpft mal innig lyrisch, mal stolz oder dämonisch, mal elegant in die Charaktere, der Solist darf in tiefer Lage aussingen und mit Schleifern, Springbogen und virtuosen Läufen glänzen: David Kessler, der wie Grabher in Wien studiert hat und gerade nichts weniger als sein Probejahr bei den Wiener Philharmonikern absolviert, präsentiert dieses Gustostückerl der Violinliteratur mit konzentrierter Leichtigkeit und Souveränität und wenn im Finale der große Faustwalzer seine Runden dreht, zeigen die beiden Wahlwiener, dass ihnen die „späte zwei“ und das Rubato in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Hochmotiviert
War es bei Prokofjew ein Spiel mit der Wiener Klassik, so führt uns Igor Strawinsky in seiner „Pulcinella-Suite“ die Welt der Commedia dell’arte und des barocken Concerto grosso vor: Kammermusikalisch mit Soli der Konzertmeisterin, der Stimmführer und der Bläser entsteht eine federleichte und zugleich charaktervolle Klangwelt, die Grabher mit viel Liebe zum Detail und zu den Klangfarben herausarbeitet. Zu den bereits erwähnten Holzbläsern hinzu dürfen auch Trompeten und Posaune solistisch glänzen: Strawinskys Partitur wirkt einfach und ist doch komplex – oder auch umgekehrt, die gelungene Interpretation des hochmotivierten Kammerorchesters und seines smarten Dirigenten ist an diesem lauen Spätsommerabend auf jeden Fall höchst vergnüglich.
Katharina von Glasenapp