Begehren kennt kein Alterslimit

Mit 89 Jahren stellt Margot Pilz, Pionierin der feministischen Kunst, erstmals in Vorarlberg aus. Die Schau trägt den Titel „Lovers“ und ist im Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis ausgestellt.
Margot Pilz, eine der bedeutendsten Pionierinnen der feministischen wie auch der Medienkunst in Österreich, stellt mit 89 Jahren erstmals in Vorarlberg aus. Diese historische Schande findet mit ihrer Solo-Show im Bregenzer Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis eine Milderung, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

Unter dem Titel „Lovers“ rückt Pilz die Frage nach dem Begehren im Alter ins Licht. So zeigt die eigens für Bregenz geschaffene Installation „My dead Lovers“ an Leinen hängende Briefe mit Vornamen und assoziativen Beinamen früherer Liebschaften der Künstlerin. Ursprünglich wollte sie die vollen Namen nennen, entschied sich jedoch aus rechtlichen Gründen für chiffrierte Bezeichnungen wie „Erni Bestand“ oder „Harry Konstruktiv“. Hinter jedem Namen steckt eine Erinnerung, eine Beziehung, ein Teil ihrer Biografie. Gleichzeitig verweist das Werk auf die Geschichte des Hauses, das den Namen der Post-Pioniere Thurn & Taxis trägt.

Konzentrationslager
Die 1936 in den Niederlanden geborene Pilz floh 1939 vor den Nationalsozialisten nach Indonesien. Ihr Vater, später auch sie und ihre Mutter wurden dort von der japanischen Armee in Konzentrationslager gesperrt. Laut Kurator Andreas Hoffer erlebte die Künstlerin an diesem Ort des Schreckens eine Solidarität unter den Frauen, die sie tief prägte.

Beruflich in den 1950er-Jahren als Fotografin an der „Graphischen“ in Wien ausgebildet, fand Pilz erst Jahrzehnte später den Weg zur Kunst. „Mitte der 1970er wollte sie ein Frauenfest besuchen. Der Andrang war so groß, dass erst die Türen geschlossen wurden und dann die Polizei ausrückte. Um ein Exempel zu statuieren, hat man sie auf die Wache gebracht. Für Pilz war das ein existenzielles Erlebnis der Machtlosigkeit gegenüber männlicher Gewalt“, berichtete der Kurator.
Leicht lesbare Form
Gut die Hälfte der Werke ist in den letzten fünf Jahren entstanden. Die siebenteilige Fotoserie „trotz dem“ (1983) zählt zu den ältesten der Schau. Sie zeigt Pilz, wie sie eine erdrückende Matratze zu stemmen versucht, ehe die Frau unter der Schlaffläche verschwindet. „Die Suche nach Objekten mit einer leicht lesbaren Form ist bezeichnend für ihren Zugang. Denn auch wenn die Werke tiefschichtig sind, sollen sie auch ohne fundierte theoretische Bildung für die breite Bevölkerung verständlich sein“, erläutert Hoffer.

Aneignung und Umdeutung der Männer-Mythen
Pilz wurde über die Jahrzehnte äußerst unterschiedlich Aufmerksamkeit zuteil. Ein Umstand, der nicht nur mit ihrem Geschlecht, sondern auch der Medien-Wahl zugrunde liegen könnte. Denn bereits in den 80er-Jahren begann die Künstlerin mit Computern zu arbeiten. Leicht vorstellbar, dass die meisten Kuratoren nichts davon verstanden. Gewisse Video-Installationen atmen eine fremd anmutende Ästhetik, wie sie in einem Spiel ohne nachvollziehbare Vorbilder entsteht.

Die feministische Aneignung des männlich dominierten Kanons der Kunst- und Kulturgeschichte ist längst selbst Teil des Kanons. Doch in den frühen Jahren der Künstlerin war das noch anders. Wie sehr sie das Spiel mit patriarchalen Mythen noch reizt, zeigen die Neonskulpturen „Adams Rippe“ (2021) und „Göttin schuf Eva“ (2021). Letztgenannte ist eine humorvolle Neudarstellung von Michelangelos Deckenfresko „Die Erschaffung Adams“ in der Sixtinischen Kapelle.

Gegen das Verstummen
Die Ausstellung besticht mit einem emotional vielschichtigem Blick auf ernste Themen. Sie setzt ein klares Zeichen, dass Begehren und Schaffenslust auch im fortgeschrittenen Alter nicht verstummen müssen.
„Lovers“ kann noch bis zum 16. November besichtigt werden.