Kultur

Unbehagen in künstlerischer Höchstform

03.12.2025 • 20:16 Uhr
Speed von Martin Gruber und dem aktionstheater ensemble
Stern (l.), Jeschke, Vanyek, Kolle und Alan. Grdic

Das aktionstheater ensemble zeigt mit „Speed (kills content)“ eine flotte, bitterkomische Abrechnung mit dem Zustand unserer Gegenwart.

Gesellschaftskritisches Theater wird seinem Anspruch nur selten gerecht. Alleine schon aus ökonomischen Gründen ist die Versuchung groß, das Publikum in seinen vermeintlich subversiven Annahmen zu bestätigen. Umso beachtlicher ist die neue Produktion des aktionstheater ensemble, „Speed (kills content)“, die am Dienstag im Dornbirner Spielboden uraufgeführt wurde.
Die Kompanie um Regisseur Martin Gruber liefert ein extrem flottes Stück, das entgegen der Klammer überaus reich an Content (Inhalt) ist. Und dieser Inhalt hat es in sich, wobei dem Publikum nichts vorgekaut wurde.

Im Geiste Helmut Qualtingers

Wenn Schauspielerin Kirstin Schwab zu Beginn der eineinhalb Stunden langen Darbietung vor und zurück geht, setzt sie mit einfachsten Mitteln den Geist der Zeit in Szene: Alles ist in Bewegung, aber niemand kommt vom Fleck. Es scheint, als hätte die Inflation jegliche Utopie vertilgt. Träume, geschweige denn eine Revolution, kann sich keiner mehr leisten. Vielleicht widmen sich die Sprechpassagen aus diesem Grund dem alltäglichen Elend des Überlebens, aus der eine Fäulnis wächst, die nach den Seelen aller greift.

Speed von Martin Gruber und dem aktionstheater ensemble
Grdic

Ein Umstand, vor dem geläufig prekär lebende Schauspieler nicht gefeit sind. Sie haben den Stoff zentral mit entwickelt und in eine vor nichts halt machende Form gepackt, die dem Geist eines Helmut Qualtinger gerecht wird.
Zeynep Alan erzählt, wie sie von Rabatt-Marke zu Rabatt-Marke lebt, aber aus banalen Gründen nicht mehr auf ihre JÖ-Karte zugreifen kann. Ihr „Da kann man nichts machen“ ist derart pointiert, dass es manchen Gästen vor Lachen fast schwindelig wird. Denn Tränen hingegen möchte man nahe sein, wenn die von Wohnungsnot bedrohte Mutter Isabella Jeschke im vulgärsten Wienerisch einen Beamten kontert.

Knallhart

Thomas Kolle, der sich ausnahmsweise nicht auszieht, spielt den leistungsgetriebenen Yuppie derart böse, dass einem die Spucke wegbleibt. Knallhart macht er seinen Mitbewohner Benjamin Vanyek zur Sau, weil er weder kochen kann, geschweige denn am Bauernmarkt einkauft. Ihre gemeinsame Darbietung der „Weihnachtseinkäufe“ aus Arthur Schnitzlers „Anatol“ zählt zu den stärksten Szenen des starken Stücks. Nicht zuletzt, da sich Kolles Härte und Vanyeks Sanftmut dynamisch ergänzen. Tamara Stern, nur mit Klebeband und durchsichtiger Jacke gekleidet, sagt gleich zu Beginn, dass sie nicht auffallen möchte. Jede Passage aus ihrem Mund wäre ein eigenes Kabarett-Stück wert.

Speed von Martin Gruber und dem aktionstheater ensemble
Grdic

Peitschender Bass

Getriebene Tanzeinlagen trennen die auf den ersten Blick lose zueinander stehenden Episoden des Stücks. Während die Band (Andreas Dauböck, Pete Simpson und Jean Philipp Oliver Viol) wie im aktionstheater üblich hervorragend spielen, peitscht der E-Bass Schlag für Schlag durchs Stück. Die Schauspielenden ahnen ihn fast übersinnlich hervor. Überhaupt wirken sie wie ein eingespieltes Uhrwerk.

Die Produktion besticht nicht nur mit schauspielerischer Lei­s­tung und überragenden Pointen. Vielmehr ist es ein Stück, dass die Zusehenden ernst nimmt und gerade durch die dargestellte Unmenschlichkeit einen selten gewordenen Humanismus ausstrahlt.

„Speed (kills content)“ kann noch bis zum Samstag, dem 6. Dezember, im Spielboden, Dornbirn, besucht werden.