Stadttunnel: Jetzt drohen erste Enteignungen

Beim Stadttunnel Feldkirch kommt es zu ersten Enteignungsverfahren – weil sich Land und Grundeigentümer nicht über Entschädigungen einigen konnten. Es geht um das unterirdische Nutzungsrecht an privaten Grundstücken. Weitere Fälle könnten folgen.
Eine Enteignung gilt als Ultima Ratio –ein rechtlicher Schritt, der nur dann erfolgt,, wenn jede andere Form der Einigung gescheitert ist. Beim Mammutprojekt Stadttunnel Feldkirch ist genau dieser Punkt nun erreicht. Wie die NEUE in Erfahrung brachte, hat die Landesstraßenbauabteilung bereits mehrere Enteignungsverfahren angestoßen. Es geht um unterirdische Dienstbarkeiten – also um das Recht, Teile eines Grundstücks unterirdisch zu nutzen. Konkret betrifft das Liegenschaften im Stadtteil Tisis, unter denen der Tunnelarm Tosters verlaufen soll.
Fünf Verfahren anhängig
Zuständig für diese Verfahren ist die Abteilung Verkehrsrecht im Amt der Vorarlberger Landesregierung. Sie setzt sich mit den Enteignungsanträgen auseinander und trifft als Behörde die entsprechenden Entscheidungen. „Aktuell sind fünf Enteignungsverfahren nach dem Vorarlberger Straßengesetz anhängig“, bestätigt Abteilungsvorständin Brigitte Hutter auf NEUE-Anfrage. Dabei gehe es ausschließlich um den Bau des Tunnelast Tosters.
Warum eine gütliche Einigung mit manchen Eigentümerinnen und Eigentümern gescheitert ist, ist der Behörde offiziell nicht bekannt – oder wird zumindest nicht kommuniziert. Naheliegend ist jedoch, dass vor allem die Höhe der angebotenen Entschädigungen den Ausschlag gegeben hat. Diese wurde von einem gerichtlich beeideten Sachverständigen aus Innerösterreich errechnet.

„Letztes Mittel“.
Landesstatthalter Christof Bitschi, in der Landesregierung für Verkehr zuständig, betont, dass der Schritt zur Enteignung keineswegs leichtfertig gesetzt werde. Solche Verfahren seien „grundsätzlich immer das letzte Mittel“, erklärt er, „aber bei einem Projekt dieser Größenordnung notwendig, wenn es in Einzelfällen trotz intensiver Verhandlungen zu keiner Einigung kommt“. Wichtig sei ihm zufolge auch der Hinweis, dass es sich um unterirdische Dienstbarkeiten handle – die Nutzung an der Oberfläche bleibe in der Regel unbeeinträchtigt.
„Enteignungsverfahren sind grundsätzlich immer das letzte Mittel, sind aber bei einem Projekt dieser Größenordnung notwendig, wenn es in Einzelfällen trotz intensiver Verhandlungen zu keiner Einigung kommt.“
Christof Bitschi, Landesstatthalter und Verkehrsreferent
Rechtsgrundlage für die Verfahren ist das Vorarlberger Straßengesetz, konkret die Paragrafen 50 bis 52. Dort ist unter anderem geregelt, unter welchen Bedingungen enteignet werden darf – etwa wenn ein öffentliches Interesse am Straßenbau gegeben ist und eine Einigung nicht erzielt werden kann. Die Entschädigung bemisst sich sinngemäß nach den Bestimmungen des Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetzes.
Wie in jedem behördlichen Verfahren gibt es auch bei Enteignungen klare Abläufe: Zunächst prüft die Behörde, ob alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Dann wird festgestellt, ob und in welcher Höhe eine Entschädigung zusteht. Dazu werden Sachverständige beigezogen, deren Gutachten den Beteiligten zur Stellungnahme übermittelt werden. Erst danach ergeht ein Bescheid. Dieser kann innerhalb von vier Wochen beim Landesverwaltungsgericht angefochten werden.
Weitere Verfahren möglich
Zur Frage, warum man sich mit den betroffenen Grundeigentümern nicht einigen konnte und ob es noch weitere Enteignungsverfahren geben wird, hält sich Stadttunnel-Projektleiter Bernhard Braza von der Landesstraßenbauabteilung bedeckt: „Zu laufenden Verfahren können wir keine Auskünfte erteilen. Ob es weitere Enteignungsanträge unsererseits geben wird, wird der Verlauf der derzeitigen Verhandlungen zeigen.“
Laut NEUE-Informationen sollen mindestens zehn weitere Enteignungen im Raum stehen. Gerüchteweise ist sogar von bis zu 50 Grundstückseigentümern die Rede, die bislang keine Zustimmung zur Einräumung einer Dienstbarkeit gegeben haben – oder diese ausdrücklich verweigern.

Tunnelkritiker
Auch der streitbare Tunnelkritiker Andreas Postner hat von solchen Zahlen gehört. Der frühere Vorstandssprecher der Grünen war in den 2000er-Jahren als Vertreter einer Nichtregierungsorganisation (NGO) in die Entwicklung des Landesverkehrskonzepts eingebunden und hat vor Jahren die Umweltinitiative Transform gegründet. Postner steht nach eigenen Angaben mit mehreren betroffenen Eigentümern in Kontakt und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Projektwerber: So berichtet er etwa von Fällen, in denen Rückfragen nicht beantwortet worden seien – und das bereits in einem frühen Stadium. „Wie soll man sich da gütlich einigen?”

Neben dem Umgang mit den Betroffenen sieht Postner auch technische und juristische Probleme, etwa bei bestehenden Erdsondenanlagen für Wärmepumpen. Besonders kritisch beurteilt er die zeitlichen Abläufe: „Der Stadttunnel muss laut UVP-Bescheid im Jahr 2030 fix fertiggestellt sein. Bedenkt man, dass im Rahmen eines Enteignungsverfahrens auch Alternativprüfungen beantragt werden können, geht sich das niemals aus.“ Eine Fristverlängerung hält er ebenfalls für problematisch, weil sich dann auch die Grundlagen der Umweltverträglichkeitsprüfung verschieben könnten. „Die Zahlen zur Verkehrsentlastung und andere Parameter stimmen ja jetzt schon nicht mehr.“
Derweil schreiten die Vorarbeiten für das Großprojekt voran. Vor dem künftigen Tunnelportal wurde eine Felsnase abgetragen, Hangsicherungen sollen einen sicheren Zugang schaffen. Der Vortrieb des Haupttunnels beginnt im Herbst 2025 und wird voraussichtlich bis Sommer 2028 dauern. Die Fertigstellung ist laut UVP-Bescheid für das Jahr 2030 vorgesehen