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Das wurde aus den Ländle-Nazis

11.03.2023 • 22:30 Uhr
Die neue künstlerische Intervention gegen eine Vorwehe des Anschlusses in Bregenz. <span class="copyright">Fritsch</span>
Die neue künstlerische Intervention gegen eine Vorwehe des Anschlusses in Bregenz. Fritsch

Beim Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich vor 85 Jahren machten in Vorarlberg viele Nazis Karriere – die bei manchen auch nach 1945 noch andauerte.

Vor 85 Jahren endete Österreichs Unabhängigkeit mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht. Auch in Vorarlberg krochen damals aus allen Löchern illegale Nazis, um Machtpositionen einzunehmen. Die Landesregierung wurde abgesetzt, an ihre Stelle trat Oberregierungsrat Rudolf Kopf als „Landesstatthalter“. Oppositionelle wurden verhaftet, die Verfolgung der jüdischen Vorarl­berger begann.

Nach am Tag zuvor hatten die Vorarlberger Zeitungen dazu aufgerufen, bei der Volksabstimmung für die Selbstbestimmung Österreichs zu votieren. Das Plebiszit war vom Schuschnigg-Regime angesetzt worden – der deutsche Einmarsch sollte seine Abhaltung verhindern. Blickt man auf die Zeitungen des folgenden Tages, wirkt es, als wäre ein Schalter umgelegt worden. Alle Blätter, die am 11. März noch für Österreich trommelten, verkündeten am 12. jubelnd den Anschluss. Die unter Zensur stehende ehemals sozialdemokratische Zeitung „Vorarlberger Wacht“ hatte am 11. März noch versucht, die Arbeiter für die Abstimmung zu mobilisieren. Die Regierung des sogenannten Ständestaates hatte eine freie Wahl für den Gewerkschaftsbund in Aussicht gestellt. Der Versuch, durch einen Ausgleich mit den Roten die braune Übermacht noch abzuwehren, kam jedoch zu spät.

Die Zeitungsredaktionen wurden beim Anschluss als erstes besetzt. Sie produzierten nun im Gleichschritt Propagandameldungen: „Schaffende Volksgenossen! Deutsche Arbeiter und Arbeiterinnen!“ hieß es nun in der „Wacht“, die von Innsbruck aus mit NS-Artikeln bestückt wurde. Die Nazis versuchten, die vom Bürgerkrieg 1934 frus­trierten Sozialdemokraten nun auf ihre Seite zu ziehen: „In unseren Reihen gibt es keine Klassen, sondern nur deutsche Arbeiter“, wurde geworben.

Altes Gift

Der Deutschnationalismus, der Österreich als Teil der deutschen Nation propagierte und den mit Ausnahme von Kommunisten und Monarchisten alle politischen Strömungen der Ersten Republik propagiert hatten, erwies sich nun als fatal. Das lange gesäte Gift wurde von den Nazis gekonnt eingesetzt, um ihrer Politik zum Durchbruch zu verhelfen. Der Anschluss, den 1918 noch alle gewollt hatten, wurde 1938 zur Todesstunde der österreichischen Demokratie. Die Nazis konnten auf Vorhandenem aufbauen: „Deutsche Art in Ehr und Pflicht erblüh’ in Gottes Luft und Licht!“ stand bis vor Kurzem noch über dem Eingang der 1913/14 errichteten Mittelschule Stadt in Bregenz. Der Schriftzug wurde erst kürzlich mit einer Intervention des Künstlers Marbod Fritsch überdeckt.

Der Anschluss wurde so am 12. März auch aufgrund der deutschnationalen Vorprägung in Vorarlberg stürmisch begrüßt. Angehörige des früheren Regimes und dessen Unterstützer wurden verhaftet. Der Chefredakteur des schwarzen „Vorarlberger Volksblatts“, Pfarrer Georg Schelling (1906-1981) wurde von der Gestapo nach Innsbruck und schließlich nach Dachau gebracht. Sowohl das „Volksblatt“ als auch die „Wacht“ wurden bald nach dem Anschluss eingestellt. Als einziges Propagandainstrument blieb das früher liberal, dann deutschnational ausgerichtete „Vorarlberger Tagblatt“, das nun als NS-Sprachrohr fungierte. Der Journalist Hans Nägele, über den Severin Holzknecht eine Biografie aufgelegt hat, fungierte dort im Neusprech der Nazis als „Hauptschriftleiter“ und verantwortete Beiträge mit Titeln wie „Vorarlbergs Dichter als Künder des großdeutschen Gedankens“.

Neue Pfründe für alte Nazis

Die Vorarlberger Nazis versuchten nach dem Anschluss, das Land als eigenen Gau zu etablieren, was allerdings nicht gelang. Nägele schrieb für den Kurzzeitstatthalter Kopf vergeblich Eingaben nach Berlin – Vorarlberg wurde 1939 mit Tirol vereint.

Nach dem Krieg versuchte Kopf, der schon ab 1934 illegales NSDAP-Mitglied gewesen war, seinen Einsatz als Verteidigung der Vorarlberger Unabhängigkeit darzustellen. So habe er als katholischer Nazi verhindert, dass das Kloster Mehrerau in eine SS-Ordensburg umfunktioniert wurde. Hauptschriftleiter Nägele konnte als ehemaliger Nazi zunächst nicht mehr publizieren, fand aber schon ab 1949 wieder Erwähnung in den Vorarlberger Zeitungen. Er verlegte sich vor allem auf His­torisches. Schließlich fand er auch als freier Mitarbeiter bei schwarzen wie roten Zeitungen Verwendung. Als Journalist hatte er maßgeblichen publizistischen Einfluss auf später in leitender Funktion tätige Kollegen. Ehemalige Nazis, wie es sie unter den Dornbirner Industriellen zahlreich gab, versorgten Nägele außerdem mit Aufträgen. Hatte er 1939 noch über die Geschichte Vorarlbergs als „Hauptsitz der ostmärkischen Baumwollindus­trie“ geschrieben, publizierte er nach seiner „Entnazifizierung“ neutralere Abhandlungen zum Thema Stickerei. Weiters engagierte er sich im Landesmuseumsverein. 1962 erhielt Nägele eine finanzielle „Ehrengabe“ des Landes, 1968 dessen silbernes Ehrenzeichen.

Auch andere Ex-Nazis tauchten nach dem Krieg rasch wieder auf, darunter Rudolf Kopf, der mit seiner Selbstreinwaschung wieder in die Politik ging. Der „Verband der Unabhängigen“ (VdU), die Vorläuferorganisation der späteren FPÖ, rekrutierte sich auch in Vorarlberg aus Nazis der ersten Stunde. Während auf Bundesebene Männer wie der wegen Hochverrats verurteilte Ex-Nazi und spätere FPÖ-Vorsitzende Anton Reinthaller in den VdU drängten, übernahm Ländleputschist Rudolf Kopf den Vorsitz in Vorarlberg. Der Beamte war als Nationalsozialist 1945 außer Dienst gestellt und 1947 pensioniert worden. Als Politiker hielt er nun jedoch wieder Einzug ins Landhaus. In der damaligen Koalition mit der ÖVP wurde er 1954 Landesrat für den VdU. Ein Jahr später kam auch auf Verwaltungsebene ein Ex-Nazi wieder nach oben: Landesamtsdirektor Elmar Grabherr, der später mit dem sogenannten Alemannenerlass die Bevorzugung „echter“ Vorarl­berg im Landesdienst durchsetzen wollte. Rudolf Kopf blieb für die FPÖ bis 1959 in der Landesregierung. Elmar Grabherr wurde 1976 pensioniert.