Warum der Vorarlberger Wohnbau in der Krise steckt

Die Baubranche verzeichnet starke Rückgänge in der Auftragslage. Die Branchenvertreter zeigen die Gründe dafür auf und stellen Forderungen an die Politik.
Wenn das Jahr sich dem Ende zuneigt und man beginnt, 2023 zu reflektieren, kommt man nicht umhin, von einem schwierigen Jahr zu sprechen. Die Inflation und die damit einhergehende Teuerung haben Spuren hinterlassen. Auch die Baubranche ist von der herausfordernden Wirtschaftslage betroffen. Bei der jährlichen Jahresabschlussbilanz der Bauinnung gab es also wenig gute Nachrichten zu verkünden.
Rückläufige Auftragslage
Bei der aktuellen Blitzumfrage unter den Bauunternehmen Vorarlbergs bestätigt sich, was schon letztes Jahr vermutet wurde. Die Auftragslage sei stark zurückgegangen, berichtet Innungsmeister Johannes Wilhelm: „Wir stehen vor Herausforderungen, die es so noch nie gab.“ Aktuell ist die Auftragssituation um etwa 25 Prozent schlechter als zur selben Zeit im Vorjahr. Im ersten Halbjahr 2024 soll der Trend weitergehen, man rechnet mit einem Rückgang von 30 Prozent.

Besonders im Wohnbau, wo der Rückgang mit 50 Prozent am deutlichsten ist, sind die Folgen der Inflation extrem zu spüren. Im öffentlichen Hochbau und beim Gewerbe nehmen die Aufträge jeweils um 11 beziehungsweise 10 Prozent ab, der öffentliche Tiefbau soll stabil bleiben. „Die heimischen Bauunternehmen beurteilen die Situation sehr realistisch, sowohl was die Auftragslage als auch was die sinkenden Erträge durch hohe Material- und Energiekosten betrifft“, erklärt Wilhelm. Aus Sicht der Bauunternehmen ist positiv, dass zumindest bei den Sanierungen ein kleiner Anstieg von 6 Prozent vermeldet wird. Ein logischer Trend, denn wer einen Neubau nicht bezahlen kann, renoviert lieber eine ältere Liegenschaft.
Kritik an der KIM-Verordnung
„Der Wohnbau, der Motor der Vorarlberger Bauwirtschaft, ist praktisch zum Erliegen gekommen“, zeichnet auch Günther Ammann ein düsteres Bild. Der Fachgruppenobmann der Immobilien- und Vermögenstreuhänder macht viele Gründe dafür verantwortlich, etwa die Preissteigerungen, die Inflation und die stark angestiegenen Zinsen. Eine Sache stört ihn allerdings besonders: „Die in Österreich zusätzlich verschärften Kredit-Finanzierungsmaßnahmen entmutigen junge Menschen, Wohneigentum zu erwerben. Die KIM-Verordnung muss sofort abgeschafft werden.“ Hilmar Müller, Geschäftsführer der Innung Bau bei der Wirtschaftskammer Vorarlberg, ergänzt, dass viele junge Menschen schon den Gang zur Bank scheuen, weil sie denken, sie hätten keine Chance auf einen Kredit.
KIM-Verordnung
Die Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung besagt, dass Kreditnehmer mindestens 20 Prozent des Kaufpreises an Eigenmittel besitzen müssen. Wer beispielsweise eine Wohnung um 100.000 Euro kauft und einen Kredit dafür aufnimmt, muss mindestens 20.000 Euro an Eigenkapital besitzen.
Außerdem darf die monatliche Rückzahlungsrate des Kredits nicht mehr als 40 Prozent des Haushaltseinkommens betragen. Wenn alle Erwerbstätigen in einem Haushalt zusammen 10.000 Euro verdienen, darf die Monatsrate des Kredits nicht höher als 4000 Euro sein. Die Verordnung hat zum Ziel, dass sich Kreditnehmer nicht überschulden.
Ohne diese Hindernisse wäre die aktuelle Situation gar nicht so dramatisch, führt Ammann aus: „Wir sehen am Immobilienmarkt derzeit eine Seitwärtsbewegung. Mit den neuen Wohnbauförderungsrichtlinien wäre Eigentum jetzt auch leistbar, es scheitert aber an den fehlenden Immobilienkrediten.“ Seine Forderung ist klar: „Man sollte jungen Menschen die Chance geben, Eigentum zu erwerben, wenn sie bereit dafür sind. Wir erwarten, dass sich die Landespolitik massiv für die sofortige Abschaffung der KIM-Verordnung einsetzt, wenn sie nicht eine Generation junger Menschen aus Vorarlberg verlieren will, die sich hier keine eigene Existenz mehr aufbauen kann.“
Baunutzungszahlen erhöhen
In einer weiteren Sache formuliert Günther Ammann ebenfalls eine Forderung an die Politik: „Ein großer Hebel, der den Wohnungsmarkt belebt und dem Klimaschutz hilft, ist die Erhöhung der Baunutzungszahlen.“ Für die Baunutzungszahl wird die Summe aller Geschossflächen zusammengerechnet und ins Verhältnis zur Nettogrundfläche gesetzt. Diese Berechnung darf einen Wert, den jede Kommune für sich festlegt, nicht überschreiten. Daran errechnet sich, wie hoch ein Gebäude maximal gebaut werden darf. Wird die Baunutzungszahl erhöht, wie von Günther Ammann gefordert, können auf kleineren Grundstücken höhere Gebäude errichtet werden.
Der Vorteil liegt für den Fachgruppenobmann auf der Hand: der geringere Bodenverbrauch. „Wir hinken da gesellschaftlich und ökosozial stark hinterher“, betont er und nimmt die Bürgermeister der Kommunen in die Pflicht: „Wir müssen in Zeiträumen von 50 bis 70 Jahren denken. Die nächsten Generationen brauchen eine Lösung beim Wohnbau.“
Keine Entlassungen beim Personal
In puncto Arbeitskräfte ergibt die Blitzumfrage ein klares Signal, wie Wilhelm betont: „Für 2024 sind keine Veränderungen in der Mitarbeiter- und Lehrlingszahl geplant.“ Aktuell sind rund 4100 Mitarbeitende in der heimischen Bauwirtschaft angestellt, etwa 210 davon als Lehrlinge. Fachkräfte sind Mangelware, daher lohnt es sich auch für junge Menschen, eine Karriere im Bau zu starten. „Ich gehe davon aus, dass das Handwerk wieder einen sehr hohen Stellenwert bekommt“, sagt Hilmar Müller. „Auch wenn die Digitalisierung voranschreitet, werden immer Leute gebraucht, die handwerkliche Tätigkeiten erledigen. Keine Elektroleitung lässt sich digital verlegen und kein Ziegel wird digital auf den anderen gelegt“, führt er aus.
Was bedeutet diese Situation nun für junge Menschen, die auf der Suche nach Wohnraum sind? Günther Ammann rät: „Ich empfehle jedem, der eine gute Arbeitsstelle hat und in Vorarlberg bleiben möchte, eine Wohnung zu kaufen. Bestenfalls hat man die Wohnung bis zur Pension abbezahlt und im Alter eine sorgenfreie Wohnsituation.“ Wer diesen Schritt ins Auge fasst und überlegt, wann der richtige Zeitpunkt für einen Wohnungskauf ist, dem empfiehlt Hilmar Müller: „Ich bin mir nicht sicher, ob wir bald große Preisreduktionen erwarten dürfen. Wer plant, Wohneigentum anzuschaffen, der sollte das am besten jetzt gleich tun.“