„Profitiere von der Welle der Gleichstellung“

Frauen in der Wissenschaft gab es einst wenige. Dies hat sich verändert. Katrin Paldán ist eine von den forschenden Köpfen in Vorarlberg.
Heute werden wie jedes Jahr am 11. Februar mit dem „International Day of Women and Girls in Science” weltweit Mädchen und Frauen ermutigt, den Weg in die Wissenschaft einzuschlagen oder weiterzuführen. Geschafft hat dies etwa auch Katrin Paldán – sie hat als erste ihrer Familie an einer Universität in Stuttgart studiert, dort promoviert und forscht und lehrt nun an der Fachhochschule Vorarlberg qualitative Sozialforschung und Digital Health. Dort ist die Wissenschaftlerin Vorsitzende des Ethik-Rats und entwickelt derzeit die Onlineplattform „Telecare Services“. Das Projekt soll österreichweit pflegende Personen unter anderem mit Coaching für Pflege und rechtliche Informationen etwa bei Demenz versorgen. Dabei soll durch eine Chatberatung auf das Problem der langen Wartezeiten auf Arzttermine reagiert werden.
Mädchen oder Frauen, die ebenso über eine Karriere als Wissenschaftlerin nachdenken, würde sie raten, die Chancen der europaweiten Vernetzung zu nutzen, selbst Anschluss an eine Forschungsgruppe zu suchen und offen für englische Fachliteratur zu sein. Außerdem sei Kritikfähigkeit und ein stärkenorientierter wertschätzender Umgang untereinander gefragt.
“Club der toten Dichter”
Weg in die Wissenschaft gefunden? Der Film „Der Club der toten Dichter“ hatte bereits vor dem Studium einen „Wow-Effekt“ für die Wissenschaft in ihr ausgelöst. Themen, wie das Gewinnen von Erkenntnissen, Bildungschancen, Forschung und Selbstverwirklichung, faszinierten sie an dem Film. „Dass Forschung Teamarbeit ist, hat mir immer sehr gut gefallen“, erläutert sie darüber hinaus weitere positive Aspekte des Berufs. Wie genau der Alltag als Forschende aussieht, war für sie jedoch nicht immer klar.
„Vor dem Studium hat man keinen Schimmer, was es bedeutet, zu forschen“, spricht sie die Mengen an Wissen an, die während des Studiums gelernt und später miteinander verknüpft werden. Als Studentin der Gesundheitsdidaktik musste sie darüber hinaus ihrer Großmutter häufig erklären, was sie eigentlich macht – weil das nicht so greifbar für sie war wie etwa das Arbeiten im Labor mit Kittel oder ein Medizinstudium. Doch sie hatte nie Zweifel, einen Job zu finden.

„Man muss manchmal Mut haben und nicht den gesellschaftskonformen, sondern den eigenen Weg gehen“, meint sie. Das Thema Frauen in der Forschung hat sich laut der Wahrnehmung der 43-Jährigen im Gegensatz zur Vergangenheit verändert. „Mir würden auch mehr Wissenschaftler als Frauen einfallen“, resümiert sie beim Gedanke an die bekannten Gesichter, die vor über 100 Jahren lebten. „Marie Curie ist die einzige, die mir einfällt“, meint sie. Inzwischen hat sich wohl aber viel verändert. Frauen seien zwar noch etwas unterrepräsentiert in der technischen Forschung, beschreibt sie die aktuelle Lage, jedoch nicht allgemein in der Wissenschaft. „Es werden einem keine Steine in den Weg gelegt“, meint sie und zählt Beispiele an erfolgreichen Frauen an der FHV auf. Ebenso die Bezahlung sei nicht geschlechtsspezifisch unterschiedlich, erzählt sie von ihrem Einblick in die Forschungsanträge, wo der Stundenlohn angegeben werden muss.
Unterstützung durch Land und FH
„Ich hab das Gefühl, ein Privileg zu haben. Ich profitiere von der Welle der Gleichstellung“, so die gebürtige Deutsche. So gäbe es für Frauen viel Unterstützung an der FHV, wie etwa ein Förderprogramm des Landes Vorarlberg oder Weiterbildungsmöglichkeiten. Sie selbst nahm etwa am Kurs für Selbstmarketing für Akademikerinnen teil, wo sie gelernt hat, sich selbst in den Vordergrund zu stellen. „Es ist wichtig, dass man viel kann, aber es geht auch darum, schnell jemand anderen zu überzeugen“, erzählt sie eine Geschichte, wie sie früher ihren Betreuer der Doktorarbeit meist gleichzeitig mit ihrem Namen genannt hat, wenn sie sich vorgestellt hat.
“Es braucht mehr Flexibilität”
Nur bei den Führungspositionen sieht sie noch eher eine Männerdomäne. Sie hätte zwar während ihrer früheren Arbeit an der Universität wahrgenommen, dass Stellen bei gleicher Qualifikation bei den Bewerbern mit Frauen besetzt wurden oder Frauen als Anwärterinnen für die Stelle gewünscht waren. Dafür brauchte es jedoch auch Frauen, die sich für Führungspositionen interessieren. Pardán selbst habe sich auch schon gefragt, warum sie sich nicht für eine derartige Stelle bewerbe. Führungspositionen seien generell durch die langen Arbeitszeiten, hohes Arbeitspensum und dass viele Führungskräfte schlecht schlafen würden, nicht attraktiv – sowohl für Männer und Frauen, ist ihre Antwort.
Doch für Frauen kommt dann oft noch das Thema Familie dazu. „Es braucht mehr Flexibilität“, ist ihr Fazit in Sachen Vereinbarkeit von Führungspositionen und Familie. Es brauche Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit in Führungspositionen. „Wenn das Kind krank ist, dann hat es Priorität“, stellt sie fest.

Modernes Modell
Die 43-Jährige selbst hat auch einen siebenjährigen Sohn. Die Arbeit selbst in der Wissenschaft sieht sie als familienfreundlich an: Das Zertifikat der familienfreundlichen Hochschule sei berechtigt, sagt sie lachend. Als sie nach der Karenz noch damals in Deutschland zurück an die Universität kam, war es jedoch noch nicht so einfach für sie. Obwohl sie nur 75 Prozent arbeitete, wurden 100 Prozent Leistung von ihrem Umfeld an der Hochschule erwartet. Sie stockte bald auf Vollzeit auf und ihr damaliger Partner reduzierte seine Arbeitszeit als Lehrer, um Zeit für Haushalt und Kinderbetreuung zu haben. Als sie später für ihren Job an der FHV nach Vorarlberg zog, war das dann klar, dass sie 100 Prozent arbeitet, da er sich erst einen neuen Job suchen musste. So waren sie wohl etwas die „Exoten“ in Bildstein.
Problematik mit Kettenverträgen
Mit ihrem Wechsel zur Fachhochschule hatte sie auch das Glück eines unbefristeten Vertrages. Dies ist nämlich in der Forschung nicht selbstverständlich. Generell spricht sie die Problematik von unbefristeten Verträgen an Universitäten im Gegensatz zu Fachhochschulen an. An der Universität sei es eine gängige Praxis, dass man einen befristeten Vertrag für weniger Jahre bekäme. Man müsse hingegen Professor oder Professorin sein, um unbefristet angestellt zu werden. Das bedeutet, nach der Promotion zu habilitieren und große Forschungsprojekte hochrangig zu publizieren. Das ist ein zeitintensiver Weg dahin.

Männerdominanz nicht mehr in allen Bereichen
Der internationale Tag der Mädchen und Frauen in der Wissenschaft soll Frauen für die Wissenschaft motivieren. Doch wie aktuell ist dieses Anliegen noch? Laut einem Bericht des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung zur Geschlechterpolitik in der österreichischen Forschung aus dem Jahr 2023 sorgte in den 1980ern und 1990ern der geringe Frauenanteil in Wissenschaft und Forschung für Kritik. Im Universitätsgesetz 2002 wurde die „Gleichstellung der Geschlechter“ als leitender Grundsatz für Unis verankert. 2003 gründete das Wissenschaftsressort den Frauenpolitischen Beirat für Unis, welcher das Bildungsministerium über die Umsetzung der Erhöhung des Frauenanteils in leitenden Positionen informieren soll.
Bei der FHV betrug am 31. Dezember die Frauenquote an sieben Forschungszentren 40 Prozent. Der Anteil unterscheidet sich nach Abteilung: In den Empirischen Sozialwissenschaften beträgt der Frauenanteil über 60 Prozent. „Die FHV wünscht sich dennoch, den Anteil an Wissenschaftlerinnen weiter zu erhöhen, gerade auch in den technischen Forschungszentren und Forschungsgruppen“, so Angelika Kaufmann-Pauger von der FHV.
Betrachtet man die MINT-Fächer an der Uni Wien, ergibt sich folgendes Bild: Dort liegt an der Fakultät für Informatik und der Fakultät für Physik der Frauenanteil im wissenschaftlichen Personal bei rund 25 Prozent, an der Fakultät für Chemie und Fakultät für Geowissenschaften, Geografie und Astronomie bei rund 40 Prozent und an der Fakultät für Lebenswissenschaften, den Max Perutz Labs und dem Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaften bei rund 50 Prozent.
Bei den MINT-Fächern verzeichnete die Uni Innsbruck am 1. Februar 38,4 Prozent Frauenanteil. 2020 waren es 32,8 Prozent. Zum Vergleich: in den sozialwissenschaftlichen Fächern sind aktuell 51,7 Prozent Frauen, 2020 waren es 44,6 Prozent. In den MINT-Fächern sei die Entwicklung in den vergangenen Jahren positiv, in den Geo- und Atmospährenwissenschaften etwa hat sich der Frauenanteil deutlich erhöht, in der Psychologie und Sportwissenschaft hätten die Frauen die Männer sogar überholt. An der Fakultät der technischen Wissenschaft gäbe es etwa einen deutlichen Männerüberhang. Bei einem Blick auf die Gesamtzahlen könne nur noch in einzelnen Fachbereichen von einer Männerdominanz gesprochen werden.
Auf der akademischen Karriereleiter würde jedoch die Zahl der Frauen an der Universiät Innsbruck abnehmen – Professuren sind also noch vermehrt von Männern besetzt. Die Uni Wien vermeldet hingegen bei der Förderung der Grundlagenforschung ein erfreuliches Ergebnis: ein hoher Anteil der ERC-Preisträgerinnen. 2023 gab es demnach 19 ERC-Preisträger an der Uni Wien, 14 davon waren Frauen.