Deswegen zünden wir jährlich in den Vorarlberger Gemeinden einen Funken an

Wir bestaunen jährlich einen Funken – aus Tradition. Doch woher kommt eigentlich dieser Brauch, und gehört die Hexe dazu?
Die Debatte über die Funkenhexe ist emotional. Gegner orten eine Verbindung mit dem Verbrechen im Mittelalter und Befürworter argumentieren mit Worten wie „Brauchtum“ und „Tradition“. Der Funken gehört zu Vorarlberg dazu und ist für viele ein Pflichtprogramm. Doch warum bestaunen wir jährlich am Funkenwochenende einen lichterloh brennenden Scheiterhaufen?

Michael Kasper
Woher der Funkenbrauch genau kommt und seit wann diese Tradition hier praktiziert wird, ist nicht vollkommen rekonstruiert. „Über die ursprünglichen Hintergründe wissen wir nicht näher Bescheid“, so der Direktor des Vorarlberg Museums, Michael Kasper. Grund für die Durchführung ist laut Kasper ein Fruchtbarkeitsritual. Das Abbrennen des Feuers und das Fackelschwingen an den Ecken der Fluren und Parzellen sollte ursprünglich also Fruchtbarkeit und Erntesegen für das kommende Jahr bringen. „Es stand weniger das Vertreiben des Winters als vielmehr die Hoffnung auf ein fruchtbares Jahr im Vordergrund“, erklärt der Historiker.

Der genaue Startzeitpunkt dieser Praxis im Land ist wohl nicht bekannt. Jedoch sind die ältesten Belege Verbote des Scheibenschlagens und Fackelschwingens im 17. Jahrhundert. Funkenfeuer hingegen werden erst später im 18. Jahrhundert genannt.
Von kleinen Ästen zu hohen Holztürmen
Der Brauch hat sich jedoch zum Teil stark verändert. Zu Beginn dienten lediglich Reisig und kleine Äste als Brennmaterial. „Holz in der heute üblichen Dimension hätte man niemals verbrannt“, erläutert Kasper. Wichtig sei damals vielmehr das Fackelschwingen und vor allem auch das Scheibenschlagen gewesen, bei dem die glühenden Scheiben weithin ins Tal geschlagen wurden. Jede Scheibe wurde laut den Erzählungen Kaspers einer Person gewidmet. Dies wird teilweise auch noch heute praktiziert, etwa in Gortipohl, wie die NEUE gestern berichtete. Andere Merkmale, die wir heute kennen, wie die großen Holzstöße und vor allem die Funkenhexe, datiert Kasper erst in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie seien durch die Zentralisierung durch Funkenzünfte hinzugekommen. Vorher sei die männliche Jugend einer Nachbarschaft Träger des Brauches gewesen.
2010 wurde der Funkenbrauch in die Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. In ihr wird diese starke Veränderung in der Geschichte auch bestätigt.

Müllverbrennung und Autoreifen
Der Brauch ist somit ständig im Wandel, auch noch in den vergangenen 50 Jahren entwickelte sich die Ausübung des Brauchs in mehreren Aspekten weiter. In Sachen Brennmaterial erzählt der Obmann der Funkenzunft Brederis, Reinhard Metzler, von einer Entwicklung während seiner Zeit bei der Funkenzunft. Dort hat er bereit mit 14 Jahren angefangen, seinem Vater zu helfen, und wurde mit der Leidenschaft, dem „Funkenvirus infiziert“. Dieses Jahr hat er den 49. Bresner Funken errichtet. Die Rückenschmerzen und den Muskelkater nimmt der Unternehmer jährlich für seine große Leidenschaft gerne in Kauf. Denn das spätere Feuer bedeutet für ihn Sehnsucht und die Wärme und Farbenpracht würden bei ihm immer viele Gedanken im Kopf auslösen.

Er beschreibt den Funken bei einem Rückblick auf seine Anfangszeiten noch als „Müllverbrennungsveranstaltungen“, bei denen Haushaltsmüll, Möbelstücke mit Lack und Autoreifen angezündet wurden. Durch Altöl der Bauern wurde eine besonders wirksame Flamme erzeugt. Unrat findet man heute nicht mehr in den Funkentürmen – er darf der Umwelt zuliebe nicht mehr verbrannt werden.
Hexendebatte
Zu Metzlers Anfangszeit bei der Funkenzunft sei die Hexe „überhaupt nicht thematisiert oder tabuisiert“ worden, erinnert der Rankweiler sich zurück. „Es war wichtiger Teil des Funkens“, erzählt der 63-Jährige, der später ein Vorreiter in der Hexendebatte wurde. „Ich bin gereift in dem Thema“, reflektiert er selbst sein Umdenken. Erst schaffte er die Böllerladung der Hexe ab und zündete stattdessen Böller am Boden. Grund dafür war eine gefährliche Situation, bei der der Böller nicht nach Plan zündete, jedoch niemand verletzt wurde. Vor etwa 15 Jahren hat er die Hexe ganz weggelassen, nicht ganz ohne Widerstand aus den eigenen Reihen. „Ich hab den Leuten gesagt, wir können nicht etwas Gutes verbrennen“, erklärt er und weist darauf hin, dass „Hexen“ früher Leute heilten. Stattdessen entzündet sich am Funken nun eine Sonne. Doch ganz hat er die Hexe nicht verbannt. „Xenia“ ist noch im Logo und zündet über einen Seilzug den Funken an, darf aber weiterleben. Grund dafür war, dass er unter den Gästen Stimmen wahrgenommen hat, welche kritisiert hatten, dass ein Mensch symbolisch verbrannt wird.

Diese Analogie ist auch für Kasper offensichtlich: „Durch das Verbrennen einer Frauenfigur auf einem Scheiterhaufen werden die historischen Hinrichtungen von Frauen, die als Hexen bezeichnet wurden, nachgeahmt.“ Kasper wünscht sich aber eine Deeskalation der Hexendebatte. „Aus meiner Sicht ist die Funkenhexe nur eine Nebensache, die irgendwann hinzugekommen ist und nunmehr auch wieder weggelassen werden kann“, beschwichtigt er.
Rückbesinnung

„Die zum Teil kunstvoll aufgerichteten Funken, das Abbrennen des beeindruckend großen Feuers mit den Millionen kleinen Funken, die in den Himmel aufsteigen, das Erleben der Gemeinschaft bei einem Becher Glühmost und Funkaküachle, das Fackelschwingen und Scheibenschlagen, das etwa in Gortipohl, Beschling und Nenzing noch praktiziert wird, all das macht doch den Funkensonntag oder -samstag aus“, führt Kasper aus.
Ähnlicher Meinung ist auch Metzler. Er empfindet es ebenfalls so, dass in der Vergangenheit das ursprüngliche Familienfest im Dorf sich zu einem zu überdimensionalen Spektakel entwickelt hat und die Feiernden den Ursprung wohl aus den Augen verloren haben. Die Funkenzünfte und auch er als Obmann hätten immer größere, höhere Funken angestrebt, die eindrucksvollsten Klangfeuerwerke in den Himmel zaubern zu wollen. „Wir haben Feuerwerke hinaufgeschossen wie in der Großstadt.“ Er erzählt von Reisebussen aus Stuttgart und großen Gästemengen. Es sei nur mehr um das Spektakel und nicht mehr um Funkenküachle, Wurst, Funken und das soziale Vernetzen mit alten Freunden aus dem Ort gegangen.
Zurück zum Familienfest
Inzwischen hat Metzler die Aufmachung des Events verändert. Die Gästeanzahl hat sich wieder reduziert. Da er selbst als Jäger das Klangfeuerwerk aufgrund des Tierschutzes und der Umwelt mit seinem Gewissen nicht mehr vereinen konnte, hat er dieses vor etwa acht Jahren auf eine Feuershow reduziert. Heuer hat es dies aus Kostengründen jedoch zum ersten Mal gar nicht mehr gegeben. Metzler wünscht sich, dass spätestens bis zum 50-Jahr-Jubiläum des Bresner Funkens 2025 dieser wieder mehr zum Familienfest wird, wo die Gesellschaft sich trifft.