Warum viele Energieausweise das Papier nicht wert sind

Architekt und Baumeister Richard Haller berichtet von einer neuen Wohnanlage, wo berechneter und tatsächlicher Energieverbrauch um mehr als 100 Prozent auseinanderlagen – und hat Forderungen an die Politik.
Die Kritik an der Zuverlässigkeit und Genauigkeit von Energieausweisen für Gebäude will in Vorarlberg nicht enden. Bereits vor 14 Jahren bemängelten Bauexperten und Energieberater die teils gravierende Ungenauigkeit und die mangelnde Aussagekraft von vielen Energieausweisen. Vor drei Jahren bestätigte selbst das Energieinstitut Vorarlberg, dass geschätzte 20 Prozent der Energieausweise nicht den tatsächlichen Energiebedarf eines Gebäudes wiedergeben. Dabei handelte es sich jedoch um eine Schätzung.
Kritik
Zu den Kritikern der Zuverlässigkeit und Genauigkeit von Energieausweisen gehört auch der Rankweiler Baumeister Richard Haller von Haller+Partner und Geschäftsführer von ACK Haller GmbH. Haller hat in seiner mehr als 20-jährigen Tätigkeit mehr als 400 Wohnungen für diverse Auftraggeber geplant sowie umgesetzt und für sich selbst 32 Wohnungen mit rund 3.000 Quadratmeter Nutzfläche gebaut, die seit Jahren in Eigenregie vermietet werden. Nachdem er in dieser Zeit mit unzähligen Energieausweisen zu tun hatte, sagt Haller im wpa-Gespräch: “Theorie und Praxis stimmen einfach nicht überein. Daran gibt es keinen Zweifel.” Das sei auch in weiten Teilen der Baubranche bekannt.
Eigene Wohnanlage berechnet und dann gemessen
Ein besonders krasses Beispiel für einen völlig daneben liegenden Energieausweis liefert Haller anhand einer von ihm 2016 selbst im Eigentum errichteten und seither vermieteten Wohnanlage mit 13 Einheiten in Feldkirch-Tosters (Egelseestraße). So habe man 2016 im Jahr der Errichtung aus reinem Interesse zwei Energieausweise gemäß den geltenden Vorgaben ausgestellt. Im einen Fall habe man zur Berechnung die Bautechnikverordnung BTV2007 herangezogen, im anderen Fall die BTV2012.
Unterschied von fast 60 Prozent
Bei der Berechnung gemäß BTV2007 kam ein Endenergiebedarf (Heizung, Warmwasser und dazugehörende Systeme) von 21.429 Kilowattstunden pro Jahr heraus. Bei der Berechnung gemäß BTV 2012 kam unterdessen ein Endenergiebedarf von fast 34.000 Kilowattstunden heraus. Das entspricht von unten gerechnet einem Unterschied von beinahe 60 Prozent.
Die Realität
Jetzt allerdings kommt der eigentliche Hammer: Richard Haller hat den tatsächlichen Energieverbrauch in dem ihm gehörenden Gebäude über drei Jahre hinweg exakt gemessen. Das Ergebnis: Zwischen 2019 und 2021 lag der Endenergieverbrauch zwischen 14.400 und 15.900 Kilowattstunden pro Jahr. Das entspricht im Fall der Energieausweis-Berechnung gemäß BTV2012 einer Differenz von mehr als 100 Prozent. Dabei habe sich weder die Benutzung noch die Belegung der Wohnanlage in irgendeiner Weise geändert. Genau dieses Gebäude von Richard Haller in Feldkirch-Tosters wurde übrigens vor wenigen Wochen im Rahmen des Förderprogrammes “klimaaktiv” für seinen sehr geringen Energieverbrauch ausgezeichnet.
Richtige Schlüsse ziehen
Derartige Erfahrungen habe er auch bei anderen ihm gehörenden Gebäuden gemacht, die man hinsichtlich ihres Energieverbrauches exakt beobachte. “Es wird Zeit, dass der Gesetzgeber aus diesen Erkenntnissen endlich die richtigen Schlüsse zieht. Denn es ist nachgewiesen, dass sehr viele Energieausweise nicht stimmen und das ist auch kein Geheimnis”, so Haller. Das hänge zumeist nicht mit fehlerhaften Berechnungen der Energieausweis-Ersteller zusammen, sondern mit falschen Annahmen, welche für die Berechnung vorgegeben werden. “Man muss sowohl die Normen als auch die Bautechnik-Verordnung hinterfragen.”
Ideologie versus Fakten
Haller betrachtet Energieausweise als wichtiges Instrument, um den Energiebedarf eines Gebäudes besser einschätzen zu können. “Das soll auch keine Kritik an Energieausweisen sein. Aber sie müssen stimmen. Sonst hat das ja alles keinen Sinn.” Mitunter habe man das Gefühl, als sei die Ideologie bei diesen Themen wichtiger als Fakten.
Verkaufspreise und Mietzins
Energieausweise mit nicht einmal annähernd korrekten Werten sind keine Lappalie. Denn erstens kostet die Ausstellung teils mehrere tausend Euro je nach Gebäude. Ob korrekt gerechnet wurde, zeigt sich erst im Nachhinein bei einer genauen Messung. Jeder Neubau benötigt einen solchen Ausweis. Bei einer Vermietung oder dem Verkauf von Immobilien darf er zudem nicht älter als zehn Jahre sein. Zweitens beeinflussen Energieausweise sowohl den Kaufpreis als auch einen Mietzins einer Immobilie. Ein Energieausweis mit einem deutlich zu hoch angesetzten Energieverbrauch bringt Nachteile für Verkäufer und Vermieter, ein deutlich zu gering ausgefallener Energieausweis bringt negative Überraschungen für Käufer und Mieter.
Was ist beim Altbau?
Zudem zeigen die Beispiele von Haller, dass es nicht einmal bei Neubauten möglich ist, den Energieausweis exakt zu berechnen, obwohl die baulichen Parameter eines Gebäudes und die verwendeten Baumaterialien sowie die Stärke der Isolierungen genau bekannt sind. Um wieviel Prozent ein Energieausweis bei einem Gebäude dann aus den 1960er-Jahren wohl danebenliegt, wo Wandstärken, etwaige Isolierungen und verwendete Baumaterialien ohne teilweise Zerstörung vor Ort oft sowieso nur angenommen oder geschätzt werden können, kann man aus den Fehlerquoten beim Neubau ableiten
Günher Bitschnau/wpa