Forumtheater: Ein Schulprojekt, das berührt und Grenzen sprengt

Klaus Hartinger
Seit vier Jahren arbeitet der Theaterpädagoge, Schauspieler und Lehrer Michael Schiemer mit Schulklassen erfolgreich mit der interaktiven Methode Forumtheater.
Es fördert die Kreativität, den Klassenzusammenhalt, die sozialgesellschaftliche Wahrnehmung, das Selbstwertgefühl. Es ist ein realer Demokratieprozess, sie lernen, konstruktive Kritik anzunehmen und zu geben.“ Das sind nur ein paar der Punkte, die Michael Schiemer aufzählt, wenn er nach den positiven Aspekten des Forumtheaters gefragt wird.
Schiemer ist gelernter Schauspieler und Volksschullehrer. Seit Herbst ist er als Theaterpädagoge am Landestheater. Zuvor war er elf Jahre lang Lehrer an einer Volksschule in Lustenau und Schultheatercoach. Mit Schule hat bei ihm auch das eingangs erwähnte Forumtheater zu tun. Dabei handelt es sich um eine interaktive Methode, mit der Schiemer seit etwa vier Jahren mit Schulklassen arbeitet.

Entwickelt hat sich das Forumtheater aus dem Theater zum Leben, dessen Grundlage wiederum im Theater der Unterdrückten des Brasilianers Augusto Boal zu finden ist. Die Methode hat einen gesellschaftspolitischen, pädagogischen Ansatz, wobei es auch darum geht, Handlungsalternativen gemeinsam mit dem Publikum zu finden.
Konkret arbeitet Michael Schiemer eine Woche lang, von Montag bis Freitag, mit einer Schulklasse – von der 4. Klasse Volksschule bis zur Maturaklasse – am Projekt. In dieser Woche haben die Kinder und Jugendlichen keinen Unterricht. Ausgangsbasis ist ein Thema, das ergebnisoffen ist, etwa Vertrauen, Freundschaft, falsch. Zunächst werden dazu körperliche Übungen gemacht und Reflexionen angestellt. Letztlich mündet die Arbeit in eine kurze Szene, also ein fünf- bis 15-minütiges Theaterstück, das immer in einer Katastrophe endet, auf die das Ganze zusteuert – „die einzige wichtige Vorgabe“.

Gespielt wird dann öffentlich für Eltern, Freunde, Bekannte sowie zwei Schulvorstellungen für alle Schülerinnen und Schüler der Schule. Dabei wird die Szene jeweils zwei Mal exakt gleich gespielt. „Der Unterschied ist der, dass die Zuschauer beim zweiten Mal das Gefühl haben, dass da was schiefläuft“, erklärt Schiemer. Daher sollte die Szene möglichst so aufgebaut sein, dass „es die Leute nicht aushalten“. Sie können das Stück dann mit „Stopp“ anhalten, auf die Bühne kommen und versuchen, anders weiterzuspielen – um vielleicht die Katastrophe abzuwenden. Die Schauspielerinnen und Schauspieler sind angehalten, Widerstand zu leisten, aber nicht unüberbrückbaren, erläutert der Leiter.
Reflexionsphase
Nach dieser „Intervention“ gibt es eine kurze Reflexionsphase. Man redet darüber, wobei es nicht wichtig ist, ob der Eingriff gut oder schlecht funktioniert hat. Dann wird die Szene wieder vom Moment vor der „Intervention“ aufgenommen und weitergespielt, wobei auch wieder eingegriffen werden kann. „Es ist wichtig, dass was passiert“, sagt Schiemer – und das ist bei den Aufführungen immer der Fall. Der Theaterpädagoge selbst agiert dabei als „Joker“, der das Bindeglied zwischen Darstellenden auf der Bühne und dem Publikum ist. Er ist es auch, der das Geschehen dann irgendwann beendet, wobei die ursprünglich kurze Szene häufig zu einem eineinhalb bis zweistündigen Abend wird, so seine Erfahrungen.

Zuletzt hat Schiemer mit einer Klasse der Mittelschule Bregenz-Stadt gearbeitet. Da waren alle auf der Bühne. Es sei nicht immer der Fall, dass alle mitspielen wollen, aber meistens, erzählt er. Das sei aber insofern wichtig, als dabei auch „Blasen durchbrochen“ werden. Von zentraler Bedeutung ist bei dieser Arbeit die Biographie der Jugendlichen, sagt Schiemer.
Bei einem Forumtheater an einer Schule in Hard gab es zum Beispiel das Thema Freundschaft, erzählt er. „Da ging es dann unmittelbar um Mobbingszenen und sie sind teilweise extrem ins Detail gegangen.“ Die Dinge müssen laut Schiemer aus der eigenen Erfahrungswelt der Jugendlichen kommen, sonst funktioniere es nicht, sprich, sie können kein hungerndes afrikanisches Kind oder einen einsamen Pensionisten spielen – das haut nicht hin.

Das Forumtheater wird derzeit vom Landestheater angeboten, auch die Landesinitiative Double Check ist beteiligt. Das Interesse und die Nachfrage sind riesig, es brauche aber eine finanzielle Absicherung, betont Schiemer. Mittelfristig soll es, wenn es nach ihm geht, das Programm jährlich an allen Bregenzer Mittelschulen geben. Zudem soll es in Richtung Forumtheaterfestival gehen und auch vermehrt in Schulen außerhalb der Landeshauptstadt angeboten werden. Dafür bräuchte es aber zusätzliche personelle Ressourcen.
„Die, die das Forumtheater erlebt haben, möchten es unbedingt wieder“, beschreibt Schiemer die Reaktionen. Man müsse es erlebt haben, dabei sein. Beschreibungen würden oft nicht ausreichen, um es wirklich greifbar zu machen. Und die, die dabei waren, sind begeistert, so Schiemers Erfahrungen. Darunter seien auch Verantwortliche der Koordinationsstelle Mobbing der Bildungsdirektion, des Landeselternverbands oder der ifs-Schulsozialarbeit.

Und um noch mal auf die Eingangsfrage zurückzukommen, was dieses Theaterprojekt den Schülerinnen und Schülern bringt: „Unfassbar viel“, lautet da Schiemers Antwort. „Es lässt sie wirksam werden. Es ist etwas, das völlig unabhängig davon ist, woher sie kommen, ob sie Deutsch können, im Rollstuhl sitzen oder ADHS haben.“
Sein Ziel sei es, dass dabei jede und jeder ihren und seinen Platz findet – unabhängig von persönlichen Voraussetzungen. „Die Prämisse ist: Es gibt keine Fehler. Es ist eine Befreiung“, gerät Schiemer über die Methode ins Schwärmen. „Ich habe das Gefühl, dass die Jugendlichen damit die Möglichkeit haben zu erleben, dass sie Talente haben. Sie erkennen, dass es Lösungen gibt, dass man Fehler machen darf und dass sie nicht allein sind.“
Und ganz oft sei es sehr bewegend, sagt Schiemer dann noch: „Es gibt ganz viele berührende Szenen, die mich zu Tränen rühren.“