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Wie kann man Mörder und Vergewaltiger verteidigen, Frau Concin?

26.04.2025 • 21:36 Uhr
Wie kann man Mörder und Vergewaltiger verteidigen, Frau Concin?
Strafverteidigerin zu sein ist für Andrea Concin mehr als ein Beruf, „es ist eine Berufung“. Hartinger

NEUE-Serie “Hinter den Kulissen des Rechts”: Strafverteidigerin Andrea Concin spricht über drei prägende Fälle ihrer Karriere, bewegende Momente im Gerichtssaal, die Kraft des Schweigens und die Frage, warum jeder Mensch Anspruch auf eine starke Verteidigung hat.

“Das Hindernis ist der Weg.“ Unübersehbar, in weißen Lettern auf schwarzem Grund, steht dieser Satz auf einer Wand in Andrea Concins Kanzlei. Er stammt aus der Feder des römischen Kaisers und Philosophen Marc Aurel – eine der bekanntesten Stimmen der antiken Stoa, einer Denkschule, die heute vor allem in Ratgeberliteratur und Podcasts neue Popularität erlebt. Für Concin ist der Satz jedoch mehr als ein dekorativer Spruch – eine Haltung, wie gemacht für ihren Beruf als Strafverteidigerin, wo Schwierigkeiten zum Alltagsgeschäft gehören.
Mit der viel zitierten stoischen Ruhe hat es Andrea Concin allerdings nicht so. Geduld sei nicht gerade ihre Stärke, gibt sie unumwunden zu. Und auch im Gespräch wird klar: Die Juristin liebt das Tempo, sie denkt und spricht schnell, ist direkt und oft auch emotional bei der Sache. Früher habe sie sich „aufgrund mangelnder Erfahrung des Öfteren in unnötige Auseinandersetzungen verrannt“, sagt sie. Heute sei sie etwas ruhiger – und vor allem strategischer. „Mit den 40ern kommen Strafverteidiger in die Hochblüte. Da hat man schon Erfahrung, ist aber noch mutig genug“, stellt sie fest. Unverändert groß sei ihr Einsatz für ihre Mandanten, wenngleich sie niemandem einen Freispruch versprechen könne.

Der Weg ins Strafrecht

Dass sie einmal fast ausschließlich als Strafverteidigerin arbeiten würde, war nicht geplant. Andrea Concin stammt aus Tirol, studiert hat sie in Innsbruck. Ihre ersten Berufsjahre verbrachte sie in einer Wirtschaftskanzlei – das Strafrecht hatte sie damals nicht einmal ansatzweise auf dem Schirm. Der Zugang kam über die Verfahrenshilfe. Was als Pflicht begann, wurde schnell zur Überzeugung. „Das Strafrecht hat mich gefunden, nicht ich das Strafrecht“, sagt sie heute.
Was sie an dem Rechtsgebiet fasziniert, ist die Unmittelbarkeit. „Ich kann mir nicht vorstellen, emotional bei einem Bauprozess dabei zu sein, bei dem es drei Jahre um ein Loch im Dach geht.“ Im Strafrecht gehe es um Entscheidungen, die gleich spürbar sind. „Das passt besser zu meiner Ungeduld“, schmunzelt Concin. Gleichzeitig wurde ihr schnell klar, wie viel man in Strafverfahren bewirken kann, wenn man genau hinschaut. „Man findet immer wieder Fehler in Ermittlungsakten – mehr, als man denkt.“

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Andrea Concin in ihrer Kanzlei am Jahnplatz in Feldkirch. Hinter ihr ein Zitat von Marc Aurel, römischer Kaiser und Philosoph. Hartinger


Und dann ist da noch etwas: Die Arbeit mit Menschen. Keine abstrakten Verträge, sondern existenzielle Situationen. „Da sitzt dir jemand gegenüber, bei dem es um alles geht.“ Dass dabei oft mehr auf dem Spiel steht als nur Freispruch oder Schuldspruch, sei vielen nicht bewusst, sagt sie. Es gehe auch um Diversionen, Tagessätze, die für den Arbeitgeber nicht im Strafregister aufscheinen, den Erhalt der Gewerbeberechtigung – kleine, aber entscheidende Unterschiede für das weitere Leben eines Menschen.
Kurzum: Für Concin ist Strafverteidigung nicht nur ein Beruf, den sie jedem wärmstens empfehlen kann, sondern Berufung. Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger seien nicht nur Vertreter einzelner Mandanten, sondern die „Speerspitze des Rechtsstaats“.

„Nichts Unwürdiges“

Fünfzehn Jahre lang arbeitet Andrea Concin nun schon als Rechtsanwältin und Strafverteidigerin. Neben ihrer Kanzlei in Vorarlberg hat sie auch ein Büro in Wien. Seit 2022 ist sie Vizepräsidentin der Vereinigung österreichischer StrafverteidigerInnen (VÖStV). Ihr Alltag ist geprägt von kleinen und großen Fällen – von jenen, die kaum Aufsehen erregen, und jenen, die die Öffentlichkeit beschäftigen. Der 83er (Körperverletzung, Anm.) sei ihr Paragraf, sagt sie und lacht. Concin vertritt aber auch die großen Kaliber: Mutmaßliche Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder. Zuletzt verteidigte sie einen ehemaligen Polizisten, der wegen sexuellen Missbrauchs seiner Enkelinnen nicht rechtskräftig zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde.

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Andrea Concin ist seit 15 Jahren Rechtsanwältin und Strafverteidgerin. Vor zehn Jahren machte sie sich selbstständig. Hartinger


Gerade bei solchen Fällen kommt unweigerlich die Frage: Wie kann man so jemanden verteidigen? Concin kennt diese Reaktionen. Und sie hat eine klare Antwort. Verteidigung bedeutet nicht, sich mit der Tat zu identifizieren, sondern einem Menschen zur Seite zu stehen, der in einer Verdachtslage allein dasteht. Strafverteidigung habe nichts mit Moral zu tun, sie sei Teil des Rechtsstaats – und wesentliche Garantie, dass Verfahren fair geführt werden. „Jemandem zur Seite zu stehen, der beschuldigt wird, ist ja nichts Unwürdiges“, sagt Concin. Ein Satz, den einst ein Verteidiger im O. J. Simpson-Prozess prägte, bringt für sie das Wesen ihres Berufs auf den Punkt: „Manchmal braucht es jemanden, der den Raum betritt, wenn alle anderen ihn längst verlassen haben.“ Schließlich könne jeder einmal in die Mühlen der Strafjustiz geraten. Zu denken, man sei davor sicher, sei schlichtweg naiv. Concin nimmt nicht jeden Fall an. Ihre Grenze verläuft allerdings nicht entlang des Delikts. Wenn Mandanten etwa objektive Beweise nicht anerkennen wollen, dann lehnt sie ab.

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Neben dem Strafrecht ist Andrea Concin auch auf Famlienrecht spezialisiert. hartinger

Fall 1: Überfall auf Kloster und Vergebung

Einer jener Fälle, die Andrea Concin zum Strafrecht gebracht haben, war der Überfall auf das Salvatorkolleg in Hörbranz im Jahr 2013. Ein Mann, kokain­abhängig und in einer tiefen persönlichen Krise, stürmte gemeinsam mit einem Komplizen das Kloster – bewaffnet mit einer Gaspistole. Ziel war ein Tresor, die Beute: mehrere tausend Euro. Concin verteidigte den reumütigen Erstangeklagten, der letztlich zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde.
„Diesen Ordensbruder werde ich nie vergessen“, sagt sie. In der Hauptverhandlung stand der Geistliche dem Angeklagten gegenüber – und vergab ihm. „Man muss sich vorstellen, dem wurde beim Überfall eine Gaspistole an den Kopf gehalten“, sagt Concin. Und dennoch sei es dem Mann ein ernsthaftes Anliegen gewesen, öffentlich zu vergeben und den Angeklagten mit auf den Weg zu geben, dass ihre Tat nicht von Gott ge­sühnt werde. „Sowas gibt es selten“, weiß die Strafverteidigerin.


Wie tief sich dieser Moment bei ihr eingeprägt hat, merkte sie später in einem ganz anderen Verfahren. Eine ihrer Mandantinnen hatte eine Rolex-Uhr aus dem Haushalt ihrer Arbeitgeberin gestohlen, gestand die Tat aber noch vor Beginn der polizeilichen Ermittlungen. In der Hauptverhandlung bat die Diebin um Entschuldigung, aber die Geschädigte lehnte ab. Sie wolle keinesfalls eine Ode auf Diebstahl anstimmen, sagt Concin, aber sie habe noch nie erlebt, dass eine ehrlich gemeinte Entschuldigung im Gerichtsaal ausgeschlagen wurde – und das, wegen einer Uhr. Vielleicht, so ihre Überlegung, „haben sich die Werte der Menschen verändert“. Im Fall ihrer Mandantin mündete das Verfahren schließlich in eine Diversion – ein Abschluss ohne Strafregistereintrag.

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In Erinnerung geblieben ist Andrea Concin auch ein Moment, der sich am Rand des Verfahrens um den Raub im Salvatorkolleg abspielte. Am Kaffeeautomaten des Gerichts sah sie damals einen kleinen Buben – sechs, vielleicht sieben Jahre alt, mit Brille, weinend. Es war der Sohn ihres Mandanten. Seine Mutter – ob Noch-Ehefrau oder schon Ex-Frau, daran kann sich Concin nicht mehr genau erinnern – hatte ihr Kind bewusst mit ins Gericht gebracht, um ihm zu zeigen, wie sein Vater in Handschellen vorgeführt wird.


Concin erinnert sich, wie sehr sie das damals aufgeregt habe. „Wie soll ein Kind das einschätzen, wenn es den eigenen Vater in Handschellen sieht?“ Sie habe die Mutter dann direkt darauf angesprochen. Viele Jahre später kreuzten sich ihre Wege erneut: Aus dem Buben war ein junger Mann geworden, der Hilfe in einer strafrechtlichen Angelegenheit benötigte. Concin übernahm seine Verteidigung, denn sie arbeitet gerne mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. „Ich sage nicht, dass jeder, der kriminelle Eltern hat, kriminell wird. Aber die Umstände, in die man hineingeboren wird, sind natürlich prägend.“

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Andrea Concin im NEUE-Gespräch. Hartinger

Fall 2: Disco-Schlägerei und „Less is more“.

Ein völlig anderes Bild bot sich bei einem großen Verfahren im Jahr 2017 – dem Prozess um eine mutmaßliche Schlägerei auf der Tanzfläche des Sender-Club in Lustenau. Fünf in Deutschland und der Schweiz lebende Männer aus dem Rockermilieu standen vor Gericht, vorgeworfen wurde ihnen absichtlich schwere Körperverletzung. Andrea Concin verteidigte damals zwei der Angeklagten. Insgesamt 17 Zeugen sagten an drei Verhandlungstagen aus. Doch am Ende konnte das Gericht nicht mit der nötigen Sicherheit feststellen, wer in welcher Form an den Übergriffen beteiligt war. Die Aussagen blieben widersprüchlich, die Beweislage lückenhaft. „Zeugen, die angeblich auf Lichtbildbeilagen Menschen erkannt haben, waren im Gerichtssaal nicht mehr in der Lage, Personen zu identifizieren“, erinnert sich Concin.
Sie und ihre Kollegen setzten damals auf eine ungewöhnliche Strategie: konsequentes Schweigen. „Die fünf Angeklagten sagten keine Silbe“, erzählt Concin. „Less is more“ (dt. Weniger ist mehr, Anm.) – das sei die Überlegung gewesen. „Wir haben gesagt: Beweist es uns.“ Schweigen als Schutz – nicht, um etwas zu verschleiern, sondern aus Überzeugung, für die Tat nicht verantwortlich zu sein, sagt sie.
Am Ende sprach das Schöffengericht alle fünf Angeklagten frei. Für Concin ein wichtiges Zeichen dafür, dass Gerichte bereit sind, Beweisergebnisse nüchtern zu prüfen – auch dann, wenn der öffentliche Druck groß ist. Ein anderer Mann aus der Gruppe, der das Opfer später mit einem Messer attackiert haben soll, wurde in einem getrennten Verfahren wegen versuchten Mordes zu 13 Jahren Haft verurteilt. Aber das ist eine andere Geschichte.

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„Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger sind die Speerspitze des Rechtsstaats“: Andrea Concin. hartinger

Fall 3: Der Tote im Schwimmbecken.

Manche Fälle lassen sich abschließen, andere bleiben. Der Prozess um einen tragischen Badeunfall in einer Rankweiler Gesundheitseinrichtung gehört für Andrea Concin zu den letzteren. Einer, der sie tief berührt hat – so sehr, dass sie bei der Hauptverhandlung selbst mit den Emotionen kämpfen musste.
Im Herbst 2023 kam es in einem Schwimmbecken einer Gesundheitseinrichtung in Rankweil während eines Therapiebads zu einem folgenschweren Unglück: Ein geistig und körperlich schwer beeinträchtigter 53-Jähriger, ein Nichtschwimmer, wurde reglos im Wasser entdeckt. Elf Tage später starb er auf der Intensivstation eines Krankenhauses. Angeklagt wurde eine damals 27-jährige Sozialbetreuerin. Andrea Concin übernahm ihre Verteidigung. Der Vorwurf: grob fahrlässige Tötung. Die Betreuerin selbst schilderte, sie habe den Mann nur kurz aus den Augen gelassen, um einem anderen Betreuten ein Handtuch zu bringen.

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In erster Instanz sprach das Landesgericht Feldkirch die junge Frau frei. Doch die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein. Das Oberlandesgericht Innsbruck hob das Urteil auf und verurteilte die Betreuerin schließlich wegen einfacher fahrlässiger Tötung zu einer teilbedingten Geldstrafe von 5400 Euro. Für Concin ein Fehlurteil – mit gefährlicher Signalwirkung. „Das stellt die gesamte Lebenshilfe und viele andere Betreuungseinrichtungen vor ein riesiges Problem“, sagt sie. Jeder Betreuer, jede Betreuerin müsse nun damit rechnen, kriminalisiert zu werden, wenn ein Unfall passiere – selbst in komplexen, kaum kontrollierbaren Situationen. Der Fall ist für sie emotional nicht abgeschlossen. „Das geht einem nach.“ Gerade weil dieser Prozess so deutlich zeige, wie dünn die Linie geworden sei zwischen beruflichem Risiko und strafrechtlicher Verantwortlichkeit.

Ausgleich: Laute Musik, altes Waffenrad

Was Concin trägt, wenn das Berufliche – wie im letzten Fall – schwer wird, sind kleine Fluchten: In die Musik – Hauptsache laut, egal ob Wiener Philharmoniker, Coldplay oder Austropop. In Bücher – ja, auch blutige Krimis, aber ganz besonders Marc Aurels „Selbstbetrachtungen“. Und wenn das alles nicht mehr hilft, schwingt sie sich auf ihr altes Waffenrad mit Elektroantrieb, das sie ihren „Lieblingsgegenstand“ nennt. Zu einer Richterin habe sie einmal im Scherz gesagt: „Wenn mir jemand das Fahrrad stiehlt, habe ich eine Diversion frei, denn den Dieb hau’ ich nieder.“,