Causa Wirtschaftsbund geht in womöglich letzte Etappe

Schriftliches Urteil zugestellt, jetzt entscheidet das Oberlandesgericht Innsbruck über Rechtsmittel. Die NEUE sprach mit Bertram Grass, dem Verteidiger von Alt-Landestatthalter Karlheinz Rüdisser.
Die strafrechtliche Aufarbeitung der Wirtschaftsbund-Causa tritt in ihre womöglich letzte juristische Etappe. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils am 7. Mai haben sowohl die Angeklagten als auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vier Wochen Zeit, Rechtsmittel einzulegen. Die WKStA hat bereits Strafberufung erhoben, eine ursprünglich angekündigte Nichtigkeitsbeschwerde im Zusammenhang mit den Freisprüchen vom Untreuevorwurf jedoch zurückgezogen. Die Verteidiger der vier Angeklagten werden wie angekündigt sowohl Berufung als auch Nichtigkeitsbeschwerde einbringen.
Die Urteile
Im Zentrum des Verfahrens steht – aufgrund seiner früheren politischen Funktion und Bekanntheit – Alt-Landesstatthalter Karlheinz Rüdisser, der zur fraglichen Zeit auch stellvertretender Wirtschaftsbundobmann war. Wie berichtet, wurde er im März wegen Vorteilsannahme zur Beeinflussung zu einer Geldstrafe von insgesamt 27.500 Euro, die Hälfte davon bedingt, verurteilt. Der Richter sah es als erwiesen an, dass Rüdisser als Amtsträger vom Wirtschaftsbund über Jahre hinweg Weihnachtsessen für seine Führungskräfte im Landhaus bezahlen ließ – und sich dadurch einen ungebührlichen Vorteil verschaffte. Die Beträge der einzelnen Feiern reichten von rund 1.700 bis 2.250 Euro, die Gesamtsumme beläuft sich auf 12.980 Euro. Durch diese Zuwendungen, so das Gericht, sei ein Abhängigkeitsverhältnis geschaffen worden – auch ohne unmittelbare Gegenleistung.

Neben Rüdisser wurden auch drei weitere Funktionäre des Wirtschaftsbunds verurteilt: Die beiden früheren Direktoren Jürgen Kessler und Walter Natter sowie der ehemalige Wirtschaftsbundobmann Hans Peter Metzler, der auch Präsident der Wirtschaftskammer Vorarlberg war. Sie wurden der Vorteilszuwendung zur Beeinflussung schuldig gesprochen. Die Höhe der verhängten Geldstrafen betrug zwischen 10.000 und 15.000 Euro, jeweils zur Hälfte bedingt. Auch der Wirtschaftsbund selbst fasste eine nicht rechtskräftige Verbandsgeldbuße aus. Vom Vorwurf der Untreue– dabei ging es um die Übernahme der Kosten für Rüdissers Abschiedsfeier im Jahr 2019 – wurden der frühere Landesstatthalter sowie Kessler und Metzler hingegen freigesprochen.
Schriftliches Urteil „nicht überzeugend“.
Rüdissers Verteidiger Bertram Grass hält das schriftliche Urteil für „nicht überzeugend“. Von einer Beeinflussung könne keine Rede sein, sagt der Bregenzer Rechtsanwalt im NEUE-Gespräch. Grass spricht von einer „inkonsequenten Bewertung“ durch die Justiz. Wie berichtet, hat die WKStA in mehreren vergleichbaren Fällen auf eine Anklage verzichtet, da sie einen Beeinflussungsvorsatz im Zweifel nicht feststellen konnte.
Deutlich wird das etwa bei den Kaffeelieferungen, die zwischen Februar 2015 und November 2017 erfolgten. Der Wirtschaftsbund finanzierte in diesem Zeitraum Kaffee im Wert von rund 19.773 Euro, der teils an die Wirtschaftskammer und teils an das Büro Rüdissers geliefert wurde. Die Abwicklung erfolgte informell über Rüdissers Chauffeur, ohne schriftliche Dokumentation oder Kontrolle. In der Einstellungsbegründung, die die NEUE einsehen konnte, wurde festgehalten, dass die bestreitende Verantwortung Rüdissers im Hinblick auf den Beeinflussungsvorsatz nicht widerlegt werden konnte – insbesondere aufgrund seiner Doppelfunktion als Vertreter des Landes und des Wirtschaftsbunds.
Ebenso wurde die Einstellung bei anderen Zuwendungen damit begründet, dass kein konkreter Vorteil im strafrechtlichen Sinn gegeben sei – so etwa bei einem Geschenkabonnement der Zeitung „Die Zeit“ oder einem Rumgeschenk zu Weihnachten. Auch die Kostenübernahme zweier Werbefilme, einer davon anlässlich von Rüdissers Ausscheiden aus der Politik, wurde von der WKStA nicht verfolgt.
“Kein ungebührlicher Vorteil”
Die Verteidigung argumentiert auch damit, dass Rüdisser weder für sich selbst noch für einen Dritten einen ungebührlichen Vorteil angenommen hat. Solche Vorteile sind dann nicht ungebührlich, wenn sie im Sinne des Parteienförderungsgesetzes des Landes Vorarlberg gesetzlich erlaubt sind oder „in einer Veranstaltung gewährt werden, an deren Teilnahme ein amtlich oder sachlich gerechtfertigtes Interesse besteht“, wie es im Strafgesetzbuch heißt. Dass die vom Wirtschaftsbund bezahlten fünf Weihnachtsfeiern zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen, ist für Verteidiger Bertram Grass nicht nachvollziehbar
Doppelfunktion
Ein weiteres zentrales Argument betrifft die politische Doppelfunktion Rüdissers. Als stellvertretender Obmann des Wirtschaftsbunds und zugleich Landesstatthalter sei er gar nicht in der Lage gewesen, sich selbst zu beeinflussen – das sei „denkunmöglich“, wie Grass formuliert. Auch die WKStA gestand in der Einstellungsbegründung zu anderen Sachverhalten zu, dass sich aus der engen organisatorischen Verflechtung zwischen Partei und öffentlicher Funktion ein komplexes Wirkungsverhältnis ergibt, das nicht per se korruptiv sei. Dass ein Politiker die Interessen seiner Partei vertrete, sei im Gegenteil sogar seine demokratische Aufgabe.
Das Gericht folgte der Argumentation der Verteidigung nur insoweit, als Rüdisser vom Vorwurf der Untreue im Zusammenhang mit diesen Weihnachtsessen freigesprochen wurde. Zwar betonte Richter Theo Rümmele, dass er bei Rüdisser weder Absicht noch persönliches Fehlverhalten erkenne („Ich glaube nicht, dass Sie irgendetwas falsch gemacht haben“), doch sei das strafrechtlich nicht entscheidend. Maßgeblich sei, dass durch die wiederholte Übernahme der Kosten durch den Wirtschaftsbund ein Abhängigkeitsverhältnis entstanden sei, das geeignet sei, die Unabhängigkeit amtlichen Handelns zu beeinträchtigen. Damit sei der Tatbestand der Vorteilsannahme zur Beeinflussung erfüllt – auch ohne Bereicherungsabsicht.
Wie es jetzt weitergeht
Ob diese Argumentation vor dem Oberlandesgericht Innsbruck standhält, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Das Berufungsgericht kann die Schuldsprüche bestätigen, Rüdisser und die anderen Angeklagten freisprechen oder die Rechtssache an das Erstgericht zurückverweisen.
Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens ist bereits jetzt klar: Die ursprünglich weitreichende Causa hat sich letztlich auf fünf Essenseinladungen reduziert. Sämtliche anderen Vorwürfe – auch jene gegen Landeshauptmann Markus Wallner und Landesrat Marco Tittler – wurden eingestellt, ebenso ein Großteil der Anschuldigungen gegen Rüdisser selbst.
Das von der Staatsanwaltschaft Feldkirch geführte Finanzstrafverfahren wegen des Verdachts der Abgabenhinterziehung wurde vor wenigen Wochen ebenfalls eingestellt. Der Wirtschaftsbund hatte im Zuge einer Steuerprüfung rund 484.000 Euro an Umsatzsteuer, 388.000 Euro an Körperschaftsteuer sowie 106.000 Euro an Zuwendungsabgabe nachzahlen müssen. Diese Zahlungen wurden von der ÖVP-Teilorganisation teilweise beeinsprucht.
Ein endgültiger Abschluss steht noch aus. Für alle Angeklagten gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung.