Ein Gutachter für fast alle Fälle: So häufig wurde der Ex-Landesbedienstete aus der Führerschein-Causa beauftragt

Nationalratsabgeordnete Nina Tomaselli (Grüne) stellte parlamentarischen Anfrage, die NEUE hat sich die Antwort von Justizministerin Anna Sporrer angesehen. Das Dokument fördert eine auffällige Gutachter-Häufung ans Tageslicht.
Der ehemalige Landesbedienstete, der als zentrale Figur in der Führerschein-Causa gilt, war wie berichtet nicht nur als Fahrprüfer tätig. Über Jahre hinweg trat er auch als gerichtlich zertifizierter Sachverständiger auf – und das in einem außergewöhnlichen Ausmaß. Laut einer parlamentarischen Anfragebeantwortung des Justizministeriums war der Mann in den vergangenen fünf Jahren für nahezu alle verkehrstechnischen Gutachten in Strafverfahren in Vorarlberg verantwortlich.
Aus den von Justizministerin Anna Sporrer übermittelten Zahlen geht hervor, dass zwischen 2021 und 2025 294 Strafverfahren mit Sachverständigen für Verkehr und Fahrzeugtechnik geführt wurden. 286 dieser Gutachten stammen von ein und derselben Person. Dabei handelt es sich unter anderem um Verfahren, die sowohl Verkehrsunfälle als auch strafrechtliche Ermittlungen rund um § 57a-Kontrollen betreffen – also um Fälle, in denen etwa Pickerl-Prüfungen oder technische Mängel an Fahrzeugen Gegenstand von Ermittlungen waren.
Auch im Zivilbereich war der Gutachter stark präsent: Er wurde in 209 von 962 Verfahren beauftragt. Insgesamt hat der ehemalige Landesmitarbeiter damit rund 500 Gutachten in fünf Jahren erstellt. Die Daten stammen aus der Verfahrensautomation Justiz. Die Anfrage stellte die Vorarlberger Nationalratsabgeordnete Nina Tomaselli (Grüne).
Gutachten an Vorarlbergs Gerichten (2021–2025)

Parallel dazu spielte der Gutachter offenbar eine Schlüsselrolle in der Führerschein-Causa, in der es um ein mögliches Netzwerk von Prüfern mit auffällig hohen Durchfallquoten geht. Das Land untersagte ihm bereits 2024 die Prüfertätigkeit, im September 2025 endete sein Dienstverhältnis einvernehmlich.
“Nachvollziehbar”
Auf die parlamentarische Frage , ob es der üblichen Praxis entspreche, dass vor allem ein Sachverständiger für Straßenverkehr und Unfallanalyse immer wieder in ähnlichen Verfahren – insbesondere bei Pickerl-Causen – herangezogen werde, erklärte Justizministerin Sporrer, die Auswahl liege ausschließlich bei den Gerichten im Rahmen der unabhängigen Rechtsprechung. Demnach würden vorrangig Personen bestellt, die in die Sachverständigen- und Dolmetscherliste eingetragen sind. Diese müssten über „Professionalität, Fachkenntnis und Objektivität“ verfügen. Nur wenn keine eingetragene Person zur Verfügung stehe, könne ein anderes geeignetes Gutachten beauftragt werden. Dass Gerichte und Staatsanwaltschaften dabei häufig auf dieselben Personen zurückgreifen, sei laut Ministerium „nachvollziehbar“: Es sei legitim, Sachverständige heranzuziehen, die sich im Rahmen früherer Bestellungen bewährt haben, solange keine Befangenheits- oder Ausschließungsgründe bestehen.
“Keine Anhaltspunkte” für mögliche Befangenheiten
Zum Aspekt möglicher Befangenheiten hielt das Ministerium fest, es gebe „bisher keine Anhaltspunkte“ für Unregelmäßigkeiten. Eine Befangenheit müsse von den Gerichten geprüft und könne von Verfahrensparteien geltend gemacht werden.

Tomaselli: “Mein Verdacht hat sich bestätigt”
Für die Vorarlberger Nationalratsabgeordnete Nina Tomaselli (Grüne), die die Anfrage eingebracht hatte, offenbaren die Zahlen dennoch ein strukturelles Problem. Ihr Verdacht, dass der frühere Hauptzuständige für Fahrprüfungen zusätzlich als Dauer-Gutachter tätig war, habe sich bestätigt: Der Mann habe rund 100 Gutachten pro Jahr zusätzlich zu seiner Vollzeitstelle als Landesbediensteter erstellt, so Tomaselli. Nach ihren Berechnungen dürfte das einem Nebenverdienst von deutlich über 100.000 Euro entsprechen. „Umgekehrt waren bis vor Kurzem auch Staatsanwälte und Richter als Fahrprüfer tätig – und sich damit ebenfalls ein beachtliches Zusatzeinkommen sichern konnten. Das ergibt jedenfalls ein ungutes Bild“, sagt sie. Von Justizministerin Sporrer hätte Tomaselli sich „eine klare Einordnung“ erwartet. Sie fragt: „Wird diese enge Zusammenarbeit mit dem ‚Führerscheinjongleur‘ am Landesgericht Feldkirch tatsächlich fortgesetzt, oder zieht die Justiz endlich Konsequenzen?“
Ermittlungen und offener Anfangsverdacht
Laut Anfragebeantwortung werden derzeit fünf Ermittlungsverfahren und fünf Hauptverfahren wegen Amtsmissbrauchs im Zusammenhang mit § 57a-Begutachtungen („Pickerl“-Überprüfungen) am Landesgericht Feldkirch geführt. Der Verdacht, Prüfkandidatinnen und -kandidaten absichtlich durchfallen zu lassen, werde derzeit von der Staatsanwaltschaft Innsbruck geprüft; die sogenannte Anfangsverdachtsprüfung sei noch nicht abgeschlossen, heißt es in der Anfragebeantwortung (Stand 5. September 2025).
Aktuell übt laut Ministerium kein Richter und keine Staatsanwältin oder kein Staatsanwalt am Standort Feldkirch mehr eine Nebentätigkeit als Fahrprüferin oder Fahrprüfer aus.