Ärztin erklärt System-Kritik

Brodmann leitet Spezial-Covid-Station am LKH Uniklinikum Graz.
Marianne Brodmann leitet die Spezial-Covid-Station am LKH Uniklinikum Graz. Sie erzählt ruhig, schildert die Situation:
“Wir behandeln auf unserer Station Patienten aus der Steiermark, die nicht intensivpflichtig sind, aber eine Sonderbetreuung benötigen: Transplantierte, onkologische oder Herzpatienten.
Eine unserer Herausforderungen: Patienten, wenn sie stabil sind, wieder zurück ins Pflegeheim oder nach Hause zu bringen, damit wir neue aufnehmen können. In einigen Pflegeheimen gibt es eine regelrechte Scheu, Patienten zurückzunehmen, weil sie die Ausrüstung nicht haben. 30 Prozent der Pflegeheime sind nicht gut genug ausgestattet – und das bei der zweiten Welle! Auch bei der Hauskrankenpflege haben wir die Erfahrung gemacht, dass Schutzausrüstung fehlt.
Ich verstehe das nicht: Wir hatten von März bis jetzt Zeit uns vorzubereiten. Man hat den Sommer zur Erholung genutzt, aber nicht zur Planung. Zum Glück haben wir in vielen heiklen Situationen Hilfe. Wie durch unseren ärztlichen Direktor Wolfgang Köle oder Klinikvorstand Thomas Pieber, die sich nach oben hin durchsetzen können und nicht beim ersten Gegenwind umkippen.
Ich arbeite als Stationsführerin mit vier Turnusärzten und der aufopfernd arbeitenden Pflege. Alles ist extrem anstrengend, zeitaufwendig, alle brauchen aufgrund der Masken und der Schutzkleidung längere Ruhephasen. Und es ist nicht ungefährlich, für Ärzte nicht, für die Pflege nicht. Etwa wenn kranke Patienten die Maske vom Mund reißen. Alles passiert. Es ist nicht schön, wenn du weißt, dass Mitarbeiter, die du in die Covid-Station geschickt hast, erkranken. Jeden Tag rufst du bei ihnen zu Hause an, hoffst, dass es bald besser geht.
Wir nehmen das alle auf uns, bis zur Putzfrau, die sich nicht auf die Station traut. Du siehst die Angst in ihren Augen, sie erzählt, dass sie Kinder hat, die sie nicht anstecken will. Du redest mit allen, damit sie sich in den Dienst der Sache stellen. Wir nehmen das alle auf uns, manchmal fehlt aber der Respekt dafür.
Derzeit arbeite ich sieben Tage die Woche. Ich bin am Bauernhof aufgewachsen, außer Christtag und Ostersonntag waren wir jeden Tag zweimal im Stall. Die Aufgabe, für die ich die Verantwortung übernommen habe, endet jetzt auch nicht im Achtstundentag. Außerdem arbeite ich gerne.
Das Virus hält sich nicht an einen Lockdown. Die Kritiker der maßvollen Maßnahmen sollen diese nicht infrage stellen. Viele Kritiker waren nie auf einer Covid-Station, haben nie diese vielen sterbenden Menschen gesehen. Wenn der Lockdown aufgehoben ist, ist das Leid auch nicht weg. Covid trifft alle. Man kann den Schweregrad schwer erkennen, die vielen Todesfälle sind belastend. Manchmal weine ich abends zu Hause, weil ich diese emotionale Belastung habe. Es war ein hartes Jahr, aber: Da kommen wir durch, das schaffen wir.”