Erfahrungen mit der Altenpflege: Vorarlberger teilen ihre Geschichten

Seit dem umstrittenen Todesfall im Senecura-Sozialzentrum in Hard steht die Pflege unter Kritik. Die NEUE hat sich bei den Vorarlbergern zu ihren Erfahrungen mit der Altenpflege umgehört.
“Ich bin seit sieben Monaten im Pflegeheim Birkenwiese in Dornbirn und bin sehr zufrieden damit“, erzählt Hildegard Betancourt, als die NEUE Vorarlberger Tageszeitung im Rahmen einer Umfrage am Dornbirner Marktplatz eintrifft. Die 71-Jährige hat sich selbst ohne ihre Kinder für den Schritt entschieden, in eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Balkon im Pflegeheim Birkenwiese einzuziehen. Die Entscheidung traf sie also alleine und würde sie wieder so fällen: „Ich bin froh und kann es nur empfehlen.“
Folgen von Diabetes
Grund war für sie eine Operation am Bein in Folge ihrer Diabeteserkrankung. Im Dezember 2022 wurde sie operiert, dann war sie bei der Nachsorge und auf Reha. Danach fiel ihre Entscheidung, dass sie ins Pflegeheim will. Durch den amputierten Fuß profitiert sie im Heim nun vom Lift im Gegensatz zu vorher. Ihre Tochter war erst überzeugt, dass Betancourt mit 70 Jahren noch zu jung fürs Heim sei. „Meine Tochter hat mir erst ein Loch in den Bauch geredet“, erinnert sich Betancourt daran zurück. Als die Tochter das neue Zuhause dann gesehen habe, habe sie gesagt: „Das ist das beste, was du machen konntest, Mama!“
Neue Freundschaften
Was ihr am Leben im Heim so gut gefällt? „Ich kann gutes Essen bestellen. Am Mittag trinkt man gemeinsam einen Kaffee. Und wenn was ist, schaut man auf mich. Die Pfleger sind einmalig“, schwärmt sie regelrecht. Und das wichtigste: Sie hat neue Freundschaften geschlossen.

Schwierigkeiten beim Ergattern eines Platzes im Pflegeheim hatte sie keine. Sie hat innerhalb von zwei Monaten einen Platz bekommen, als die vorherige Bewohnerin gestorben ist. Dies begründet sie jedoch mit ihrer finanziellen Ausgangslage.
Jung und verliebt
Schließlich hat sie 27 Jahre in Venezuela gewohnt und war dort Hausfrau, weshalb sie heute keine Pension bezieht. Ihren Exmann hat sie mit 19 Jahren auf einer Reise in Spanien kennengelernt. Es blieb nicht bei einer Urlaubsromanze – aus einem geplanten Monat wurden sechs. Später heirateten sie und zogen nach Südamerika. „Man muss jung und verliebt sein, um sich das zu trauen“, resümiert sie heute. „Ich möchte es nicht missen. Ich habe eine schöne Zeit gehabt in Venezuela.“

Reuters/LEONARDO FERNANDEZ VILORIA
Aufgrund der Scheidung und der Diabeteserkrankung kehrte sie zurück nach Vorarlberg. In Venezuela hatten sich mit der Zeit die Rahmenbedingungen verändert. Die Pension von ihrem Exmann, der Ingenieur war, reichte gerade für eine Busfahrt im Monat. Ihre Schwägerin in ihrem Alter muss als Augenärztin aus finanziellen Gründen immer noch arbeiten. Obwohl sie Venezuela vermisst ist sie dankbar, dass sie in Vorarlberg etwas zum Wohnen und zu Essen hat.
Nach diesen ereignisreichen Jahren in Übersee genießt sie die Ruhe in der Birkenwiese. Dort wird ihr nicht langweilig. Besonders gerne spielt sie dort mit den anderen Rummikub oder sitzt am Balkon.
Senecura
Ihre Mutter hingegen lebt im Senecura Sozialzentrum Dornbirn. Doch dazu will sie sich nicht äußern: „Kein Kommentar.“ Eines wird auch bei den Gesprächen mit anderen Passanten deutlich: Teilweise haben sie eine Meinung zum Thema Pflege, wollen sich aber nicht öffentlich äußern.

Ein Enkel über seine Oma
Die NEUE hat auch mit Jannis Kadgien gesprochen. Die Großmutter väterlicherseits von Jannis Kadgien ist in einem Altersheim in Friedrichshafen. Zuvor hat sie alleine gelebt und es laut ihrem Enkel „gut gemacht“. Grund für diese Entscheidung der Familie war, dass sie nach einem Sturz das Leben alleine nicht mehr derart gut bewältigen konnte.
Und in ihrer unmittelbaren Nähe gab es nur wenige Familienangehörige, die die über 90-Jährige unterstützen hätten können. „Für sie war es schwerer als für uns, weil sie gerne daheim war“, resümiert er.
Für ihn persönlich ist es sogar ein Vorteil, weil die Anreise zur Oma nun kürzer für ihn ist. Der Hittisauer benötigte davor vier Stunden zum vorherigen Wohnort in Deutschland – jetzt ist Friedrichshafen näher. „Es ist eine gute Entscheidung gewesen“, so der 18-Jährige. Inzwischen besucht er sie alle ein bis zwei Monate.
„Fühle mich etwas allein gelassen“
Frau Kaufmann war entsetzt, als sie vom tödlichen Fall im Senecura-Sozialzentrum erfahren hat. Die 76-Jährige hatte selbst zwei Pflegefälle in der Familie – ihren Mann und ihre Mutter. Sie bezeichnet den Fall als schwer zu beurteilen. „Viele tun alles, manche tun zu wenig“, spricht sie über ihre Erfahrung mit Pflegepersonal. „Viele sind sehr bemüht und hilfsbereit.“ Sie persönlich wünscht sich mehr Unterstützung für ältere Menschen: „Ich fühle mich jetzt schon alleine gelassen. Ich habe Verwandte, aber die sind alle mit Arbeit beschäftigt oder wohnen nicht da.“ Sie schafft das meiste alleine, doch das Putzen fordert sie. Bei der Suche nach Reinigungskräften würde sie sich Institutionen wünschen, die ihr helfen und einschätzen, wer vertrauenswürdig ist. Auch in Sachen Technik bräuchte sie niederschwellige Hilfe.
„Kann es mir vorstellen“

“Ich hab einige Freundinnen in meinem Alter, die sagen, mir geht es so gut. Ich hab alles, was ich brauche“, erzählt die 80-jährige Erika Diem über ihre Bekannten in Pflegeheimen in Dornbirn. Andere sagen: „Herrlich habe ich es.“ Aktuell gehe es ihr gut, betont sie. So ist ein Pflegeheim für sie kein Thema. Bei Bedarf könnte sie sich aber schon irgendwann vorstellen, in einem Pflegeheim zu wohnen.
„Es ist nichts anderes als Wahlkampfbetreiberei“
Ein Bregenzerwälder, der anonym bleiben will, muss nicht lange nachdenken, als die NEUE Vorarlberger Tageszeitung ihn auf das Thema Pflege anspricht. Er hat mehrere Kontaktpunkte mit der Pflege. Seine Kinder arbeiten in der Pflege – daher weiß er, dass Pflegepersonal oft überstrapaziert und ausgelaugt sei. Seine 89-jährige Mutter wird zu Hause gepflegt. „Wir Geschwister wechseln uns ab. Wir haben zwei Mal in der Woche Mohi, ein Mal kommt die Krankenschwester. Bis jetzt geht es“, meint er. „Wir merken aber, die Betreuung wird mehr und mehr.“ Er möchte das so lange fortführen, wie es funktioniert. „Wenn wir merken, dass es ist nicht mehr machbar ist, dann wird es in eine andere Richtung gehen.“ Aktuell ist ein Pflegeheim noch keine Option für ihn: „Es ist oft auch schwierig, einen Platz zu bekommen. Ich denke, wenn es geht, muss man sich dem Wunsch des Elternteils anpassen. Dann sollte man versuchen, es zu ermöglichen.“
Zu den Vernachlässigungsvorwürfen im Senecura-Heim in Hard möchte er kein Urteil fällen, weil er keine Hintergründe weiß. Generell kritisiert er jedoch, dass das Thema zum Politikum gemacht werde. „Es ist nichts als Wahlkampfbetreiberei“, übt er Kritik. Eines ist für ihn besonders wichtig: Dass ältere Menschen würdevoll altern dürfen. Der Bregenzerwälder ist hingegen überzeugt, dass auch alte Menschen sich verändern. Was er ablehnt: Wenn man alles dem Pflegeheim in die Schuhe schiebt.