Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: “Viele Opfer haben Angst, gekündigt zu werden”

29.06.2025 • 17:45 Uhr
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: "Viele Opfer haben Angst, gekündigt zu werden"
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Die Wenigsten melden deie Vorfälle, vieles bleibt im Dunkeln. Getty Images

Jede vierte berufstätige Frau in Österreich hat laut Statistik Austria sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Im Interview erklärt Arbeitsrechtsexpertin Barbara Hofer-Gunz von der AK Vorarlberg, was als Belästigung gilt und welche Rechte Betroffene und welche Pflichte Arbeitgeber haben.


Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist kein Randphänomen, sondern ein weit verbreitetes Problem – auch in Vorarlberg. Besonders rund um Firmenfeiern in den Sommermonaten oder in der Vorweihnachtszeit verzeichnet die Arbeiterkammer Vorarlberg vermehrt telefonische Anfragen zu diesem Thema. Aber was gilt eigentlich als sexuelle Belästigung? Was sollten Betroffene tun? Welche Verantwortung tragen Arbeitgeber? Arbeitsrechtsexpertin Barbara Hofer-Gunz von der Arbeiterkammer Vorarlberg gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.

1. Was schildern Betroffene am häufigsten?
Antwort: Nach Erfahrung von AK-Arbeitsrechtsexpertin Barbara Hofer-Gunz berichten Betroffene häufig, „dass Kollegen oder Vorgesetzte anzügliche und unerwünschte Bemerkungen machten oder dass ein nicht gewollter Körperkontakt stattfand“. Auch das Aufhängen von Pin-up-Postern sei insbesondere in männerdominierten Betrieben nach wie vor aktuell.

2. Wer ist am häufigsten betroffen?
Antwort: Laut Hofer-Gunz sind vor allem Frauen, meistens junge Frauen, Berufseinsteigerinnen, Lehrlinge oder Praktikantinnen betroffen. Aber auch LGBTQIA+-Personen werden genannt. Selbst Männer – konkret junge Männer – seien von sexuellen Belästigungen betroffen, insbesondere in männerdominierten Berufen. Entscheidend sei laut der Juristin nicht allein das Geschlecht, sondern häufig das Machtverhältnis am Arbeitsplatz. Viele Betroffene würden aus Scham oder Angst schweigen. Man müsse deshalb von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, sagt Hofer-Gunz. Laut einer Studie der Statistik Austria habe jede vierte Frau in Österreich, die mindestens einmal in ihrem Leben erwerbstätig war, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt.

3. Wo beginnt sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?
Antwort: Sexuelle Belästigung beginnt nicht erst bei körperlichen Übergriffen. „Sexuelle Belästigung ist jede Form von sexuell bestimmtem Verhalten, welches unerwünscht ist und die Würde einer Person verletzt“, erklärt die Arbeitsrechtsexpertin. Dabei gehe es nicht nur um das bekannte „Angrapschen“, sondern ebenso um das Anstarren bestimmter Körperteile. Auch anzügliche Bemerkungen, sexuell ausgerichtete Witze sowie das Aufhängen pornografischer Bilder fallen laut Hofer-Gunz unter den Begriff der sexuellen Belästigung.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: "Viele Opfer haben Angst, gekündigt zu werden"
Barbara Hofer-Gunz vo der AK Vorarlberg. AK Vorarlberg


4. Wie wird sexuelle Belästigung rechtlich definiert?
Antwort: In Österreich regelt vor allem das Gleichbehandlungsgesetz sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Das Gesetz schütze alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, unabhängig von Geschlecht, Alter oder Position. Sexuelle Belästigung, so erklärt AK-Expertin Hofer-Gunz, sei ein zur sexuellen Sphäre gehörendes Verhalten, das die Würde einer Person beeinträchtige und für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig sei. Als sexuelle ­Belästigung am Arbeitsplatz gelte dieses Verhalten dann, wenn es vom Arbeitgeber, einem Kollegen oder auch einem Dritten – etwa einem Kunden – ­ausgehe, und der Arbeitgeber es schuldhaft unterlasse, eine ­angemessene Abhilfe zu schaffen.

5. Macht es rechtlich einen Unterschied, ob die sexuelle Belästigung in Präsenz oder digital passiert?
Antwort: Einen grundlegenden Unterschied zwischen persönlicher und digitaler sexueller Belästigung gibt es laut Hofer-Gunz nicht. Im Gleichbehandlungsgesetz sei jedenfalls keine Unterscheidung vorgesehen. Die Juristin ergänzt, dass bei digital begangenen Formen jedoch strafrechtlich weitere Tatbestände verwirklicht werden könnten.

6. Welche Fristen gelten für rechtliche Schritte?
Antwort: Wer rechtlich gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorgehen will, muss Fristen einhalten. Vor dem Arbeits- und Sozialgericht oder der Gleichbehandlungskommission müssen entsprechende Vorfälle innerhalb von drei Jahren geltend gemacht werden. Maßgeblich sei dabei der Zeitpunkt, zu dem die betroffene Person sowohl vom Schaden als auch vom Schädiger Kenntnis erlangt habe, erklärt AK-Arbeitsrechtsexpertin Hofer-Gunz.

7. Was können Betroffene tun?
Antwort: Die belästigende Person sollte bestimmt darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihr Verhalten unerwünscht ist, rät Hofer-Gunz. Ansprechpartner seien Betriebsräte, Betriebs­ärzte oder auch Frauenbeauftragte. Die Betroffenen könnten sich aber ebenso an die Arbeiterkammer, die Fachgewerkschaft oder an die Gleichbehandlungsanwaltschaft wenden.

8. Welche Verpflichtungen haben Arbeitgeber?
Antwort: Den Arbeitgeber treffe eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Arbeitnehmern, erklärt die Juristin. Er sei verpflichtet, das unerwünschte Verhalten abzustellen – egal, von wem die Belästigung ausgehe. Der Schutz des Arbeitnehmers habe oberste Priorität. Oft werde nur anlassbezogen reagiert, erklärt Hofer-Gunz. Wichtig wäre aus ihrer Sicht, dass Arbeitgeber auch präventiv gegen sexuelle Belästigung im Unternehmen vorgehen. „Dies könnte zum Beispiel durch den Erlass von Leitlinien oder verpflichtende Schulungsmaßnahmen für Führungskräfte geschehen“, sagt sie.

9. Welche rechtlichen Folgen hat sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?
Antwort: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Abhilfe gegen sexuelle Belästigung zu schaffen. Er könne den Belästiger versetzen, verwarnen oder aber auch das Arbeitsverhältnis beenden, erklärt Hofer-Gunz. Darüber hinaus kann eine sexuelle Belästigung strafrechtlich geahndet werden und stellt einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz dar. Den Betroffenen steht ein Schadenersatz in Höhe von mindestens 1000 Euro zu. Dieser Anspruch besteht nicht nur gegenüber dem Belästiger, sondern auch gegenüber dem Arbeitgeber, wenn dieser es unterlässt, die sexuelle Belästigung zu beenden.

10. Welche Empfehlungen gibt es für die Betroffenen?
Antwort: Hofer-Gunz empfiehlt, den Belästiger bestimmt aufzufordern, unangemessenes und unerwünschtes Verhalten sofort zu beenden. Kommt es wiederholt zu sexueller Belästigung, sollten die Betroffenen die Vorfälle dokumentieren – mit Datum, Uhrzeit, Ort, Beteiligten und möglichen Zeugen. Auch sollte man sich an eine Vertrauensperson im Unternehmen wenden oder eine Rechtsberatung durch die Arbeiterkammer, die Gewerkschaft oder die Gleichbehandlungsanwaltschaft in Anspruch nehmen. Wichtig sei auch, dass der Arbeitgeber umgehend informiert wird, da dieser nur dann aktiv werden könne, wenn er von der sexuellen Belästigung Kenntnis hat. Viele Betroffene hätten Angst, nach einer Meldung gekündigt zu werden. Wird tatsächlich eine Kündigung gegenüber der betroffenen Person ausgesprochen, so könne diese Kündigung angefochten werden.

11. Was können Kolleginnen und Kollegen tun?
Antwort: „Jeder, der Kenntnis einer sexuellen Belästigung hat, sollte Zivilcourage zeigen“, sagt Arbeitsrechtsexpertin Barbara Hofer-Gunz. Wegschauen helfe nur dem Täter, Opfer seien über jede Art der Unterstützung froh, weiß die Juristin.