Talent 3: Die Geschichte eines Debakels

Nach der gescheiterten Beschaffung von Talent 3 Triebzügen für Vorarlberg gehen die Vorwürfe hin und her.
Seit klar ist, dass Bombardier Transportation keine Talent-3-Züge für Vorarlberg an die ÖBB liefern wird, stellt sich die Frage, wer für das Beschaffungsdebakel verantwortlich ist. Im Zentrum der Oppositionskritik steht Landesrat Johannes Rauch (Grüne). Er hatte sich schließlich bei mehreren Gelegenheiten mit dem Testmodell ablichten lassen und die Vorzüge des neuverhandelten Verkehrsdienstevertrages gepriesen, auf dessen Basis die ÖBB die Anschaffung neuer Züge beschlossen.
SPÖ-Landtagsabgeordneter Thomas Hopfner ortete in einer Anfrage an Rauch im Dezember des Vorjahres ein „G’schmäckle“ an der ganzen Sache. Schließlich habe die ÖBB von vornherein das Konkurrenzprodukt von Siemens bevorzugt, sich aber „aufgrund der vehementen Intervention der Vorarlberger Landesregierung“ für den Talent 3 von Bombardier entschieden. In seiner Antwort bestritt Rauch, dass es Interventionen gegeben habe. Die ÖBB wollten auf NEUE-Anfrage nicht beantworten, ob die Unterzeichnung des Verkehrsdienstevertrages von der Beschaffung der Bombardier-Züge abhängig gemacht wurde. Wer also war verantwortlich?
Land sucht Zug
Die Schaffung zusätzlicher Bahnkapazitäten stand schon vor dem Einstieg der Grünen in die Landesregierung auf der Agenda, wurde vom neuen Mobilitätslandesrat Rauch jedoch forciert. Zunächst stand die Schaffung eines einheitlichen Verkehrsdienstevertrages im Vordergrund. Über ihn bezahlt das Land ÖBB-Dienstleistungen im Nahverkehr. Zuvor hatte Vorarlberg je ein Abkommen mit den ÖBB und dem Bund. Diese wurden nun in einen Vertrag verschmolzen. Rauch setzte gegenüber den ÖBB durch, dass diese ihre Kalkulation offenlegen mussten, und fand Einsparungspotenziale. Damit machte man sich in Wien wohl nicht nur Freunde.
Gleichzeitig legten langjährige Netzwerke zwischen Siemens, ÖBB und SPÖ die Beschaffung neuer Züge des Typs Desiro nahe. Die Vorarlberger wollten aber einen längeren Zug, der über mehr Türen verfügte, um im dichten Haltestellengefüge des Rheintals die Aus- und Einstiegszeiten kurz zu halten. Außerdem sollte die Anfahrgeschwindigkeit den kurzen Strecken zwischen den Bahnhöfen entgegenkommen. Man regte 2016 eine Neuausschreibung an, vor allem aus Skepsis gegenüber den bisher kalkulierten Preisen und den angebotenen Konfigurationen.

Der Kauf des Talent 3 war nach der Neuauschreibung naheliegend. „Die Beschaffung von Rollmaterial war damals und ist auch heute eine Angelegenheit des Eisenbahnverkehrsunternehmens“, heißt es dazu aus Rauchs Büro. Die Ausschreibung erfolgte über die ÖBB, mit den Parametern, die das Land vorgegeben hatte. Dort erwartete man sich, „dass die im Verkehrsdienstevertrag detailliert festgeschriebenen Fahrzeugeigenschaften erfüllt werden“.
Dass Bombardier die Ausschreibung für 21 Garnituren um 150 Millionen Euro gewann, überraschte im September 2016 nur noch wenige. Die ÖBB brauchten nach Einreichungsende nur drei Tage, um sich für den Anbieter zu entscheiden. Tatsächlich dürfte man sich damals auch an der ÖBB-Spitze zum Siemens-Konkurrenten durchgerungen haben. Der Talent galt als guter Zug. Im Dezember 2017 schlossen die ÖBB einen Rahmenvertrag mit Bombardier über die Lieferung von bis zu 300 Talent-3-Triebzügen um 1,8 Milliarden Euro.
Plötzlich Talentlos
Bald danach begannen jedoch die Probleme, die man zunächst noch dem erfolglosen, aber zeitraubenden Einspruch eines Mitbewerbers in die Schuhe schob. Doch die Verzögerungen summierten sich auf Jahre. Ein Modell konnte 2019 besichtigt werden. Ein Testzug gondelte erst ab Herst 2020 durchs Land, allein, er erhielt keine dauerhafte Zulassung der obersten Eisenbahnbehörde. Nachdem im Mai 2021 klar wurde, dass Bombardier die notwendigen Verbesserungen nicht durchführen würde, begann die Suche nach Verantwortlichen.
Rauch zeigte sich irritiert, dass zwei so große Unternehmen wie Bombardier und die ÖBB einen solchen Auftrag nicht erfolgreich abschließen konnten. Die ÖBB wollten sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Die Opposition wiederum erging sich in Kritik an Rauch, dessen zahlreiche Pressefotos mit dem Zug Anlass zu Spott gaben. Ersatzweise fahren nun Züge aus Niederösterreich und Wien durchs Land.
Tatsächlich wurden auch andere durch die Lieferprobleme vor Schwierigkeiten gestellt: Das deutsche Zugunternehmen Vlexx hatte nach den ÖBB im Jänner 2017 ebenfalls 21 Züge bestellt, aber nach Lieferverzögerungen im heurigen Mai erst sieben erhalten. Der baden-württembergische Bahnbetreiber SWEG wurde erst vor Kurzem wieder vertröstet. Die für den 13. Juni angekündigten Talent-3-Züge konnten nicht geliefert werden und sollen nun erst in den nächsten Tagen eingesetzt werden.
Softwareprobleme
Die Ursachen für die gescheiterte Lieferung nach Vorarlberg sind letztlich beim Hersteller zu suchen. Bombardier hatte ein Angebot gelegt, das man nicht erfüllen konnte. Hauptgrund sind Softwareprobleme. Die Hardware der für Vorarlberg bestimmten Züge war bereits seit Oktober 2019 fertiggestellt, konnte aber nicht ausgeliefert werden. Die Programmierung hatte man ausgelagert, mit fatalem Ergebnis. Der von der physischen Ausstattung her im Grunde einwandfreie Zug konnte die Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen.
„Wir haben die Bedeutung der Software unterschätzt“, gibt auch Landesrat Rauch zu. Allerdings wäre es eben Aufgabe der ÖBB als Käuferin gewesen, deren Funktion sicherzustellen. Hinzu kamen Umstrukturierungen im Zuge der Übernahme von Bombardier Transportation durch den französischen Hersteller Alstrom. Dieser muss das Talent-3-Werk bei Berlin aus wettbewerbsrechtlichen Gründen verkaufen. Alstroms Interesse am Zug und dessen Defiziten ist somit enden wollend. Beim Hersteller dürfte allerdings noch mehr im Argen liegen. Zuletzt nahm die Deutsche Bahn 25 IC2-Züge von Bombardier wegen technischer Mängel nicht ab.
Der Vorarlberger Testzug wurde mittlerweile an Bombardier zurücküberstellt. Das Land erhält Pönalzahlungen für die nicht bereitgestellten Züge. Die ÖBB bereiten eine Ersatzvergabe vor. Vermutlich wird nun Siemens im wahrsten Wortsinn zum Zug kommen. Das Land will dabei aber auf seinen Anforderungen beharren: „Die Grundkonfiguration wird bleiben“, bestätigt Rauch. Seine Maxime sei immer gewesen: „Der beste Zug zum besten Preis.“