Putin rüstet sich für den langen Krieg

(C) ALEXEY NIKOLSKY
Kommentar. Die Ablöse von Verteidigungsminister Schoigu liefert einen seltenen Einblick in die Blackbox Kreml.
Die Bilder aus Sibirien gehörten viele Jahre lang zum Standardprogramm in den russischen Medien. Wladimir Putin und Sergej Schoigu schickten fotografische Urlaubsgrüße aus der fernen Taiga, vom gemeinsamem Angelausflug mit nacktem Oberkörper, vom zünftigen Picknick in der Wildnis mit Pelzjacken im Partnerlook oder auch vom Kräutersammeln. Viel nachdrücklicher lässt sich eine Männerfreundschaft im technokratisch kalten russischen Machtapparat nicht inszenieren.
Nun muss Schoigu auf Geheiß des Präsidenten aber den Sessel als Verteidigungsminister räumen. Ihm folgt mit Andrej Beloussow ein Mann nach, der zwar keine militärische Vergangenheit hat, dafür aber viel wirtschaftliche Kompetenz mitbringt. Er soll die russische Rüstungsindustrie ausbauen und besser mit der Gesamtwirtschaft verzahnen.
Wie gut das gelingt, wird sich wohl eher in Jahren als in Monaten zeigen. Die Rochaden in Moskau geben aber schon jetzt einen seltenen Einblick in die Entscheidungsprozesse im Kreml, der normalerweise eine fast undurchdringliche Blackbox ist. So ist der Umbau im Verteidigungsministerium vor allem ein Beleg dafür, wie wichtig Loyalität im auf Belohnung und Bestrafung basierenden System Putin ist. Schoigu, der wohl großen Anteil am militärischen Scheitern Russlands in den ersten beiden Kriegsjahren hat, wird nicht aufs Abstellgleis gestellt, sondern quasi weggelobt. Der Putin stets treu ergebene 68-Jährige soll künftig den durchaus einflussreichen nationalen Sicherheitsrat als Sekretär leiten.
Die Bestellung des Wirtschaftsexperten Beloussow zum neuen Verteidigungsminister zeigt aber auch, dass Putin sich in gewissen Bereichen nach wie vor von faktenbasierten Argumenten leiten lässt. Der Kriegsherr im Kreml hängt mit seiner Vorstellung, dass die Ukrainer nur ein vom Westen und einer in Kiew herrschender „Nazi“-Clique verführtes Brudervolk sind, das der Befreiung harrt, zwar einem völlig irrationalen Traum nach. Die Entscheidung, die Produktionskapazitäten der schon seit Monaten im Kriegswirtschaftsmodus laufenden russischen Industrie noch weiter auszubauen, ist nach Putins Logik des allumfassenden Kriegs aber rational. Denn eine militärische Entscheidung in der Ukraine wird nicht durch das Geschick von Generälen oder durch Überraschungsoffensiven herbeigeführt werden, sondern durch Abnutzung und materielle Überlegenheit auf einer der beiden Seiten.
Putin rüstet sich also für langen Krieg. Für die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer bedeutet das nichts Gutes. Denn während der russische Präsident alles auf eine Karte setzt, fehlt Europa und USA die Entschlossenheit. Das Hochfahren des militärisch-industriellen Komplexes geht – auch mangels klarer Zielsetzungen – nur langsam voran und die politischen Eliten verlieren sich in Endlosschleifen-Diskussionen über rote Linien und die Zulässigkeit der Lieferung bestimmter Waffensysteme.