Nach Gewessler-Ja: ÖVP zeigt Umweltministerin an

Die EU-Staaten mit Österreichs Stimme haben dem Renaturierungsgesetz zugestimmt. Das Kanzleramt kündigte eine Nichtigkeitsklage beim EuGH sowie eine Strafrechtsanzeige wegen Amtsmissbrauchs an.
Das EU-Renaturierungsgesetz ist mit einer knappen Mehrheit im Rat der EU-Staaten angenommen worden. Das gab der belgische Ratsvorsitz bekannt. Möglich wurde dies durch die Zustimmung von Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne), die damit allerdings gegen den Willen ihres Koalitionspartners ÖVP handelte. Das Kanzleramt kündigte daraufhin eine Nichtigkeitsklage beim EuGH als fix an.
Gewessler hat mit ihrem Ja eine veritable Koalitionskrise ausgelöst. „Österreich wird Nichtigkeitsklage beim EuGH einbringen“, teilte die Sprecherin von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) der APA nach der Abstimmung mit. „Das Votum von Bundesministerin Gewessler entspricht nicht dem innerstaatlichen Willen und konnte daher nicht verfassungskonform abgegeben werden.“ Diese Entscheidung gelte es dann abzuwarten. „Wir gehen davon aus, dass der EuGH so rechtzeitig entscheiden wird, dass eine Vorlage von nationalen Wiederherstellungsplänen vorab nicht notwendig sein wird und damit die nicht notwendige Überregulierung unwirksam bleibt.“ Klimaschutz sei ein wichtiges Anliegen und die Bundesregierung habe in vielen Bereichen wesentliche Maßnahmen gesetzt, hieß es in der Stellungnahme. „Klar ist aber auch: Die Verfassung gilt auch für Klimaschützer. Niemand steht über dem Recht.“ Formal einbringen wird die Klage laut Kanzleramt Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP).
Koalition in schweren Turbulenzen
Zusätzlich hat ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker erklärt, gegen Gewessler eine Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch einzubringen: „Es besteht der Verdacht, dass Leonore Gewessler mit ihrer Zustimmung rechtswidrig und wissentlich gegen die klaren Vorgaben des Verfassungsdienstes und gegen die Verfassung handelt – dies begründet Amtsmissbrauch. Es kann nicht angehen, dass sich Umweltministerin Gewessler mit Privatgutachten über den Verfassungsdienst hinwegsetzt und dadurch die gesetzlichen Bestimmungen missachtet. Es ist daher eine gerichtliche Klärung notwendig – die Volkspartei wird den Sachverhalt an die Gerichte in Form einer Strafanzeige herantragen.“
Damit ist weiter offen, was diese Krise für den Fortbestand der türkis-grünen Koalition bis zum kürzlich fixierten Wahltag am 29. September bedeutet. Theoretisch könnte die ÖVP auch per Mehrheitsbeschluss des Nationalrats eine Ministeranklage vor dem Verfassungsgerichtshof oder einen Misstrauensantrag herbeiführen. Jeweils wäre dies allerdings nur mit den Stimmen der FPÖ möglich, wofür die ÖVP ihr Versprechen „nicht mit der FPÖ unter Herbert Kickl“ schwer beschädigen würde.
Gewessler: „Sieg für die Natur“
„Die heutige Entscheidung ist ein Sieg für die Natur“, sagte Gewessler unterdessen in einer ersten schriftlichen Reaktion nach der Abstimmung. „Heute senden wir aus Luxemburg (wo der EU-Umweltrat stattfinden; Anm.) ein Signal – so dürfen wir nicht weitermachen. Unsere Natur hat sich unseren Schutz verdient.“
„Mein Gewissen sagt mir unmissverständlich: wenn das gesunde und glückliche Leben künftiger Generationen am Spiel steht, braucht es mutige Entscheidungen. Deshalb habe ich heute für dieses Naturschutzgesetz gestimmt“, hielt Gewessler weiter fest. Die Europäische Union stelle sich „geeint hinter den Schutz unserer Lebensgrundlage“. Das Renaturierungsgesetz sichere Zukunft: „Wir geben der wunderbaren Artenvielfalt in unserer Heimat den Platz, der ihr zusteht. Wo früher ein lebendiger Bach war, ist heute ein betonierter Kanal. Wo früher eine wilde Blumenwiese war, finden wir heute nur mehr eine Betonwüste.“
Bis zuletzt war unklar, ob die nötige qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der EU-Länder, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren) zustande kommt. Am Ende stimmten Italien, Ungarn, Polen, Finnland und Schweden dagegen. Belgien enthielt sich. Nachdem das EU-Parlament bereits für die Verordnung gestimmt hatte, kann das Renaturierungsgesetz nun in Kraft treten.