Big Brother im Studentenheim? Leitung und Land kontern Vorwürfen

Eine Vorarlberger Studentin des Internationalen Studentenhauses in Innsbruck spricht von Überwachung, Bespitzelung und maroder Infrastruktur. Land und Geschäftsführung weisen die Vorwürfe zurück.
Es klingt, wie eine Szene aus einem Film: Mehrere Kameras im Eingangsbereich, ein Chip, der aufgeladen werden muss, um in die eigene Wohnung zu kommen und Kontrollrundgänge, bei denen Fotos von privaten Gegenständen gemacht werden. Es sind Bilder, die für Studentinnen und Studenten, die im Internationalen Studentenhaus in Innsbruck leben, Alltag sind. Seit Jahren ist der Zustand der Studentenunterkunft umstritten, Studierende wehren sich, geändert habe sich allerdings nicht viel, klagen sie.

Eine von ihnen ist die 21-jährige Stefanie F. (Name von der Redaktion geändert), die aus Angst ihre Wohnung zu verlieren, lieber anonym bleiben möchte. Sie lebt und studiert seit Oktober 2024 in Innsbruck. Ursprünglich wollte sie gar nicht ins „in’s“, wie das Internationale Studentenhaus umgangssprachlich genannt wird. „Das andere Studentenheim war voll, das ‚in’s‘ war das einzige Heim, das noch freie Plätze hatte“, erklärt sie. Viele der Studierenden würden das Studentenhaus nur vorübergehend, höchstens für ein Jahr, verwenden, erzählt F. Außerdem wohnte ihre beste Freundin bereits dort. Ein weiterer Grund, sich schlussendlich doch für das „in’s“ zu entscheiden.

“Wie im Gefängnis”
Eine Entscheidung, die der Studentin mittlerweile Bauchschmerzen bereitet. „Man lebt mit ständiger Unsicherheit, wie unter ständiger Überwachung. Es ist wie im Gefängnis“, sagt sie. Das „in’s“ hat sein Hauptgebäude mitten im Zentrum von Innsbruck. Die zentrale Lage ist für viele Studierende ideal.
Zusätzlich gibt es weitere Gebäude über die Stadt verteilt, in einem solchen lebt auch F. Fotos bestätigen die Berichte der Studentin: bereits am Eingang des Hauptgebäudes finden sich zwei Überwachungskameras. Diese reihen sich auch im Innenhof weiter aneinander und das, obwohl der Portier eigentlich direkt gegenüber wäre. „Dieses Gebäude wird zu Ihrer Sicherheit videoüberwacht“, informiert ein Schild unter den Kameras.
Bespitzelung und Strafen
Doch ein Sicherheitsgefühl entsteht dadurch für F. nicht, im Gegenteil. „Es wird kontrolliert, wann man wieder kommt und auch mit wem“, erzählt sie. „Das ist meiner Meinung nach ein extremer Eingriff in die Privatsphäre.“ In dem Gebäude, in dem sie untergebracht ist, gibt es keine sichtbaren Kameras, doch für die 21-Jährige ist das kein Grund zur Beruhigung. „Wir sind auf der Suche danach, wir sind sicher, dass auch an unserem Gebäude welche angebracht sind“, sagt F.

Noch schwerwiegender lastet allerdings der Vorwurf der Bespitzelung. Dabei geht es um unangekündigte Besuche von „Reinigungspersonal“. Dieses sollte eigentlich die Sanitärräume der Studentenhäuser reinigen, doch das geschieht nicht. Stattdessen gehen diese Mitarbeiter in die Wohnungen der Studierenden, um Fotos der Räumlichkeiten zu machen und sie anschließend der Heimleitung vorzulegen. Die Studentinnen und Studenten würden dann mit „Regelverstößen“ konfrontiert und mit Geldstrafen belastet. Der Vorwurf ist dabei das „Versperren von Fluchtwegen“, erzählt sie. „Jemand hat sich bei seinem oder ihrem Einzug einen kleinen Esstisch und ein paar Stühle gekauft und in die Ecke seiner oder ihrer Wohnung gestellt. Es war bereits vor dieser Person ein Tisch da, der ihm oder ihr allerdings nicht so gefiel“, sagt F. Auch das galt für die Heimleitung bereits als Versperren eines Fluchtwegs. Die Person weigerte sich allerdings, eine Strafe zu zahlen.
Ex-Mitarbeiter macht schwere Vorwürfe
Auf der Plattform „reddit“ äußern sich seit Jahren User zum Internationalen Studentenhaus. Es werden Erfahrungsberichte ausgetauscht, die teils 20 Jahre zurückreichen und noch Eltern von jetzigen Studierenden betreffen. Ein Kommentar fällt dabei besonders ins Gewicht. Ein ehemaliger Mitarbeiter meldet sich mit schweren Vorwürfen zu Wort. „Man wird quasi dazu gezwungen, etwas zu finden, was die Studenten falsch machen, nur um dann bei der Endabrechnung mehr verlangen zu können. Zimmer wurden von uns unerlaubterweise und ohne dem Wissen der Studenten, mit irgendwelchen schwindligen Begründungen und Rechtfertigungen, betreten. Jede Kleinigkeit muss notiert und gemeldet werden“, teilt der Ex-Mitarbeiter.

Auch dazu hat F. ein Beispiel erfahren. „Es werden irgendwelche Handwerker in die Wohnungen geschickt, um Dinge zu reparieren, die gar nicht repariert werden müssen. Ich lebe in einem Neubau, der hat Reparaturen absolut nicht nötig“, schildert sie. „Bei mir stand einmal einfach so ein Mann in meiner Wohnung, noch während ich in Unterwäsche im Bett lag“, erzählt F. „Bis heute habe ich Angst, dass so etwas wieder passiert.“

Vor verschlossenen Türen
Doch damit ist noch nicht genug. Wer unerlaubt Besuch bei sich übernachten lässt, zahlt eine Strafe von 150 Euro. Dieser ist als einer der wenigen Punkte allerdings auch in der Hausordnung vermerkt. Zudem müssen die Chips, um in die Wohnungen zu kommen, in dreimonatigem Abstand im Hauptgebäude aufgeladen werden. „Ich bin einmal nach einem Wochenende zu Hause spätabends mit dem Zug in Innsbruck angekommen und musste noch für eine Prüfung am nächsten Tag lernen. Mein Chip war allerdings abgelaufen und ich kam nicht mehr in meine Wohnung. Mein Handy hatte keinen Akku mehr, ich musste durch die halbe Stadt fahren, um den Chip im Hauptgebäude aufzuladen“, erzählt F. Da dieses aber nur bis Mitternacht geöffnet ist, stehen Studierende teilweise mit leeren Händen vor ihren Wohnungen. Ein weiterer Vorwurf lautet darauf, dass sich die Wassertemperatur nicht wärmer als 35 Grad stellen ließe, was angesichts der oftmals winterlichen Temperaturen in Innsbruck schnell zum Problem werden kann. „Als ich das der Heimleitung gemeldet habe, hieß es, das sei der Verbrühungsschutz. Ich habe mich erkundigt, so etwas brauchen lediglich Kindertagesstätten“, zeigt sich die Studentin empört. „Temperatur würde jeder anders wahrnehmen“, hieße es in einem E-Mail der Heimleitung. Auch dieser Vorwurf findet sich in mehreren Kommentaren auf „reddit“.
“Interne Dokumentationszwecke”
Auf Anfrage der NEUE beim Internationalen Studentenhaus heißt es: „Bilder werden für interne Dokumentationszwecke mit Kameras oder Handys, die im Besitz des ISH sind, angefertigt.“ Der Reinigungsplan sei den Studierenden indes bekannt.
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„Diese Dokumentation wird lediglich von nicht erlaubten Gegenständen, welche den Bewohnern und Bewohnerinnen bekannt sind, angefertigt und nicht willkürlich vom gesamten Innenraum, Personen oder personenbezogenen Daten“, heißt es weiter. Die Dokumentation diene ausnahmslos als Nachweis bei Gesprächen mit betroffenen Personen. Eine Weitergabe an unbeteiligte Dritte oder eine Veröffentlichung der Bilder finde zu keinem Zeitpunkt statt. „In besonderen Fällen, zum Beispiel bei abgeklebten Rauchmeldern, wird die Dokumentation im Vertragsakt der jeweiligen Person abgelegt.“ Die Installation der Kameras sei seitens der Polizei dringend empfohlen worden. „Das Sicherheitskonzept wird von der Mehrheit der Studierenden und deren Familien sehr geschätzt.“ Auch ein „in’s“-Studierenden-Vertretungssprecher meldet sich in der Stellungnahme zu Wort. „Durch die Zusammenarbeit mit der Heimleitung finden wir für die meisten Fälle rasch Lösungen. Deshalb weise ich die haltlosen Vorwürfe zurück. Ich lade alle ein, sich selbst ein Bild von unserem Heim zu machen, statt es als Gefängnis zu diffamieren.“
Aufsichtsratssitzung
Das Land Vorarlberg ist als einer von vier Gesellschaftern mit einem Anteil von 12,5 Prozent am „in’s“ beteiligt und hat jährlich das Recht auf 95 Betten. In einem Statement weist man auch hier die Vorwürfe zurück. „Aufgrund der Berichterstattung in Tiroler Medien hat sich der Aufsichtsrat in seiner Sitzung am 18. März intensiv mit den Vorwürfen auseinandergesetzt. An keinen der Gesellschafter sind in den letzten Jahren Beschwerden herangetragen worden. Auch die Studierendenvertretung des ISH stellt sich hinter die Geschäftsführung und hält das Vorgehen der ÖH für zumindest fragwürdig“, heißt es in einer Stellungnahme.
Es gelte, eine Balance zwischen dem Wunsch nach Sicherheit und auf der anderen Seite dem Wunsch nach persönlicher Freiheit zu finden. Bei der Größe des Studentenhauses seien gewisse Sicherheitsregelungen notwendig. „Sollte es zu Vorfällen kommen, bei denen Personen zu Schaden kommen, wären wahrscheinlich schnell die Schuldigen aufgrund eben fehlender Sicherheitsvorkehrungen gefunden.“