“Ich möchte eine Lanze für Gestaltungsbeiräte brechen”

Der neue Gemeindeverbandspräsident Walter Gohm spricht im NEUE-Interview über die angespannte Finanzlage der Kommunen, Gemeindefusionen und die Rolle von Gestaltungsbeiräten in Bauverfahren.
Sprechen wir zu Beginn über das größte Thema der Gemeinden: die finanzielle Situation. Vorarlberger Gemeinden haben die höchste Pro-Kopf-Verschuldung im Bundesländervergleich. Das Land hat vergleichsweise niedrige Schulden. Wie bewerten Sie diese Situation?
Walter Gohm: Die Situation ist bekannt und für die Gemeinden sehr herausfordernd. Die Schere geht momentan massiv auseinander: Die Ertragsanteile sind gesunken, während die Ausgaben, etwa für Sozialfonds und Personal, stark gestiegen sind. Vor fünf Jahren blieben von 100 Euro aus den Ertragsanteilen noch 44 bei den Gemeinden, heute sind es nur noch 35. Damit müssen alle kommunalen Aufgaben gestemmt werden. Das führt dazu, dass viele Gemeinden sogenannte „Abgangsgemeinden“ sind – sie müssen den laufenden Betrieb fremdfinanzieren. Das ist auf Dauer nicht tragbar.
Welche Maßnahmen müssen dahingehend auf Landes- und Bundesebene getroffen werden?
Gohm: Bund, Land und Gemeinden sind in derselben Situation – überall ist es erforderlich, Einsparungspotenzial zu suchen. Es gilt, einen Schulterschluss auf Augenhöhe zu finden, sodass jede Verwaltungsebene den erforderlichen Spielraum hat, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Sparmaßnahmen sollten nicht nur diskutiert, sondern auch umgesetzt werden.

In welchen Bereichen kann konkret gespart werden? Und wo darf auf keinen Fall gekürzt werden?
Gohm: In allen Bereichen ist Optimierungspotenzial vorhanden. Wir stehen aufgrund der demografischen Entwicklung im Sozialbereich vor sehr großen Herausforderungen. Da gilt es, das Leistungsangebot auch zukünftig sicherzustellen. Das wird nur dann funktionieren, wenn man zielgerichtet fördert, aber Parallelförderungen und Doppelgleisigkeiten vermeidet.
In Vorarlberg gibt es 96 Gemeinden, ein Drittel davon haben weniger als 1000 Einwohner. Wäre es angesichts der finanziellen Lage nicht angebracht, über Zusammenlegungen zu sprechen?
Gohm: Wenn mir jemand heute das Einsparpotenzial aufzeigen kann, würde man das machen. Demokratiepolitisch halte ich das für bedenklich. Gemeinden sind ein Stück weit Identität für die Bewohner. Und man darf nicht vergessen: Es gibt rund 300 interkommunale Kooperationen im Land – von Altstoffsammelzentren bis zum ÖPNV. Die Gemeinden zeigen also bereits große Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Zusammenlegung die Haushalte der Gemeinden saniert.
„Wenn mir jemand heute das Einsparpotenzial aufzeigen kann, würde man das machen.“
Walter Gohm sieht Gemeindezusammenlegungen kritisch.
Also wäre der Einsparungseffekt gering, wenn man beispielsweise aus Blons, St. Gerold, Raggal, Sonntag und Fontanella eine Gemeinde „Großes Walsertal“ machen würde?
Gohm: Ich bin nicht davon überzeugt, dass das die Haushalte der Gemeinden saniert. Natürlich ist es erforderlich, an mehreren Schrauben zu drehen. Aber im Bereich Kooperation und Zusammenarbeit sind die Gemeinden schon viel in Vorleistung gegangen, um Qualität sicherzustellen und Kosten zu sparen. Eine Kooperation bringt im ersten oder zweiten Jahr nicht die finanzielle Entlastung für die Gemeinden, sondern es braucht eine bestimmte Zeit, bis sich das eingespielt hat.

Spardruck herrscht auch im Gesundheitsbereich, wo sich die Hinweise verdichten, dass die Geburtenstation am LKH Bludenz geschlossen werden könnte. Welche Folgen hätte das für die Region?
Gohm: Wir sind informiert, dass im Rahmen des Projekts „Spitalscampus Vorarlberg“ die angebotenen Disziplinen und Facheinrichtungen überprüft werden. Ziel ist es, die Qualität zu sichern und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Jede Veränderung bringt Verunsicherung mit sich, das muss man ernst nehmen und genau schauen, ob man damit einen Versorgungsauftrag nicht mehr erfüllen kann. Aber Stand jetzt ist keine Entscheidung gefallen.
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Komplexe Bauverfahren kosten viel Zeit und belasten besonders die kleinen Kommunen. Was muss sich in diesem Bereich ändern?
Gohm: Viele kleine Gemeinden arbeiten schon in Kooperationen zusammen – etwa über gemeinsame Baurechtsverwaltungen. Das ist wichtig, um den gesetzlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Natürlich sind auch die Städte und Gemeinden vielfach Bauträger. Die Behörde, die für uns zuständig ist, sind die Bezirkshauptmannschaften. Diese unterschiedlichen Zuständigkeiten machen das Ganze nicht einfacher und nicht billiger, weil Verfahren in die Länge gezogen werden. Deshalb braucht es eine Evaluierung der rechtlichen Rahmenbedingungen und mehr Kompetenzen für Gemeinden, speziell im Baurecht – denn wer weiß besser, was im Dorf passiert, als die jeweilige Gemeinde?

Gestaltungsbeiräten wird vorgeworfen, sie würden Bauverfahren in die Länge ziehen. Braucht es sie noch?
Gohm: Ja, die braucht es definitiv. Ich kann aus eigener Erfahrung berichten, dass wir in Frastanz sehr gute Erfahrungen mit dem Gestaltungsbeirat machen. Da möchte ich schon eine Lanze für die Freiberufler im Gestaltungsbeirat brechen. Die Frage ist immer, wie wir miteinander umgehen. Wenn ich eine Entscheidung nur ideologisch oder aus einem Standpunkt getrieben treffe, dann ist es meistens eine schlechte. Wenn ich mich arrangiere und versuche, gemeinsam einen gangbaren Weg für alle Beteiligten zu finden, dann hat der Gestaltungsbeirat nach wie vor seine Berechtigung.
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Welche Verantwortung haben Gemeinden bei leistbarem Wohnen?
Gohm: Jede Gemeinde möchte jungen Familien ermöglichen, sich in ihrer Wohngemeinde ein Eigentum zu schaffen oder einen qualitativ hochwertigen Wohnraum zu mieten. Es gibt Baukosten, an denen können die Gemeinden nicht viel machen. Über den Grundstückspreis haben die Gemeinden einen gewissen Spielraum. Es wird aber immer mehr in Richtung Verdichtung gehen, da wird man sich stärker bewegen müssen, sodass bereits gewidmete Bauflächen vernünftig erweitert und verdichtet werden können.
Wie kann der bereits bestehende Wohnraum optimal genutzt werden? Braucht es eine Leerstandsabgabe?
Gohm: Es gibt einige Gemeinden in Vorarlberg, die eine Leerstandsabgabe bereits beschlossen haben. Ich weiß nicht, ob das der Weisheit letzter Schluss ist. Sicherlich ist das in Tourismusgemeinden wichtig, aber im ländlichen Bereich, der nicht so stark touristisch geprägt ist, ist die Leerstandsabgabe kein riesengroßes Steuerungsmittel.

Wie verlief die Amtsübergabe mit Andrea Kaufmann? Welche Themen hat sie Ihnen zum Weiterverfolgen ans Herz gelegt?
Gohm: Ich durfte einen breiten Blumenstrauß an Themen übernehmen, wobei ich mich schon in mehreren Einrichtungen als Vertreter der Gemeinden eingebracht habe. Somit sind mir diese Themen nicht gänzlich unbekannt. Die Übergabe hat gut funktioniert. In diesem Amt gibt es keine 100-Tage-Frist, das macht es spannend. Es ist eine sehr herausfordernde Aufgabe, speziell in dieser Zeit, weil es um sehr viel geht für die Gemeinden. Es geht um die finanzielle Ausstattung der Gemeinden, und die kann nur geändert werden, wenn man sich die Kostentreiber – Spitalsfonds, Gesundheit, Kinderbetreuung – anschaut.
zur person
Walter Gohm (*1966) ist seit 2010 als ÖVP-Gemeindevertreter in Frastanz aktiv. Im Jahr 2019 übernahm er das Bürgermeisteramt und wurde bei den Wahlen 2020 und 2025 jeweils im Amt bestätigt. Im Mai 2025 wurde er zudem als Nachfolger von Andrea Kaufmann zum Präsident des Vorarlberger Gemeindeverbands gewählt. Der Gemeindeverband ist die Interessensvertretung aller 96 Kommunen in Vorarlberg.