Rüscher beantwortet Leserfragen zur Spitalsreform und gibt zu: “Uns ist nicht gelungen, Bevölkerung ausreichend zu informieren”

Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher äußert sich im Interview umfassend zu den Fragen, Sorgen und Anliegen der NEUE-Leserschaft zum Projekt Spitalscampus.
Im Rahmen der NEUE-Umfrage zur Spitalsreform kamen mehr als 650 Rückmeldungen in der Redaktion an – teils mit Namen, teils anonymisiert. Die NEUE sammelte eine Auswahl der besten Anliegen, Wünsche und Kritikpunkte, verpackte sie Fragestellungen und stellte diese Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher (ÖVP).
Eine Mehrheit unserer Leserschaft (71 Prozent) begrüßt grundsätzlich die Spitalsreform. Ein Leser wünscht sich „die Bündelung der Abteilung an verschiedenen Standorten im Land, damit der Standard gehalten werden kann bzw. erhöht werden kann, sodass keine ‚Ausflüge‘ nach Innsbruck mehr erforderlich sein werden.“ Kann die Spitalsreform das gewährleisten?
Martina Rüscher: Diesen Wunsch können wir leider nicht erfüllen. Der österreichweite Strukturplan Gesundheit gibt vor welche Leistungen die Länder selbst erfüllen und welche nicht. Gewisse Krankheitsbilder mit wenigen Fallzahlen, zum Beispiel Schwerbrandverletzungen, bündelt man und da ist unser überregionales Versorgungszentrum Innsbruck. Jedenfalls werden wir aber unseren hohen Eigenversorgungsgrad halten. Momentan können wir nur drei Prozent der Patientinnen und Patienten nicht in Vorarlberg versorgen. Im Österreichschnitt sind es pro Bundesland 11 Prozent.

46 Prozent der Befragten kritisieren, die Verantwortlichen hätten sich in puncto Information zum Spitalscampus falsch verhalten. Beispielhaft diese Rückmeldung: „Nur Transparenz schafft Vertrauen – etwas, das in der aktuellen, nahezu desaströsen Kommunikation deutlich zu kurz kommt.“ Finden Sie, die Bevölkerung ist ausreichend informiert?
Rüscher: Ich nehme das sehr ernst und ich glaube nicht, dass es uns gelungen ist, die Bevölkerung über diese Schritte ausreichend zu informieren. Wir sind aber noch nicht am Ende: Erst am 18. Dezember wird der finale Beschluss des regionalen Strukturplans Gesundheit in der Landeszielsteuerungskommission gefasst. Bis dahin sind wir in einer internen Entwicklungsphase mit externen Fachleuten und den Menschen, die in den Abteilungen arbeiten. Davor wäre es zu früh, breite öffentliche Informationen zu schaffen. Wir werden den Patientennutzen der Reform noch besser erklären und anhand von praktischen Beispielen aufgleisen: Ich habe die Erkrankung A – was tue ich jetzt, wohin gehe ich, wer hilft mir?
Hat man also bis dato Fehler in der Kommunikation gemacht?
Rüscher: Ich würde es gar nicht so sehr als Fehler benennen. Man kann es natürlich so bezeichnen, wir könnten noch viel mehr in die Bevölkerung gehen. Allerdings finde ich, wir können dann kommunizieren, wenn wir sicher wissen, dass es so wird.

Sorgen macht einem Leser: „Große Spitalzentren noch größer zu machen – quasi zu Gesundheitsfabriken – führt zu einer anonymen, unpersönlichen Patientenbetreuung.“ Wie wird gewährleistet, dass Ärzte genügend Zeit für einzelne Patienten haben?
Rüscher: Diese Sorge können wir nehmen, weil wir mit unseren Größenordnungen niemals große Zentren haben. In Vorarlberg haben wir rund 410.000 Einwohnende, die im Moment sieben Krankenhäuser zur Verfügung haben – im Schnitt alle 20 Minuten ein Spital. Im Vergleich mit anderen Bundesländern ist das eine sehr hohe Dichte. Das zu bündeln hilft, um stärkere Teams, mehr Qualität, mehr Spezialisierung und eine bessere Versorgung zu haben. Ich bin überzeugt, dass das Menschliche jedenfalls erhalten bleibt. Denn wir haben sehr empathische Menschen mit hoher Fachkompetenz an allen Standorten im Einsatz.
53 Prozent der Umfrageteilnehmer begrüßt die Verlegung der Dornbirner Geburtenstation. Exemplarisch dafür der Leserwunsch, „dass die fachlichen Gründe für die Spitalsreform über dem ‚Kirchturmdenken‘ der Politiker (vor allem Bürgermeister in Dornbirn) stehen.“ Würden Sie dem Dornbirner Bürgermeister ebenfalls ein Kirchturmdenken unterstellen?
Rüscher: Das würde ich ihm so explizit nicht unterstellen. Er hat seine Rolle – als Bürgermeister versucht er, für seine Stadt die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich habe eine andere Rolle, ich bin für alle Krankenanstalten, alle Patienten und alle Mitarbeitenden zuständig. Insofern macht jeder das Bestmögliche, wiewohl ich die Haltung, alles behalten zu wollen, nicht ganz habe nachvollziehen können. Wir haben eine grundsätzliche Offenheit signalisiert bekommen, aber in den Details dann wieder weniger, wenn die Änderungen den eigenen Standort betreffen. Wir sind in einem laufenden Austausch und haben eine gute Gesprächsbasis.
Es gibt aber auch Bedenken. Ein Leser aus Dornbirn schildert: „Ich wünsche mir, dass meine Nachkommen in Dornbirn zur Welt kommen. Was wenn es ab sofort nur noch in Bregenz geborene Kinder gibt? Sterben dann die Dornbirner als größte Stadt im Land aus?“
Rüscher: Ich verstehe die Emotion, aber möchte betonen: Sehr viele Menschen in Vorarlberg haben ihre Heimatgemeinde nicht in der Geburtsurkunde stehen – und die Gemeinden gibt es immer noch. Entscheidend ist, dass die Geburt in einem sicheren und hochwertigen Umfeld stattfindet. Ich würde gern ein tolles Geburtshilfezentrum in Bregenz entwickeln. Wir sind mit den Hebammen in Vorarlberg im Austausch, ob wir das für neue Angebote öffnen, die wir noch nicht haben: Zum Beispiel, dass eine Haushebamme die Frau vor einer Geburt zu Hause begleitet, dann quasi eine ambulante Hausgeburt im Krankenhaus macht und danach die Frau wieder mit nach Hause nimmt.

Ein Leser aus dem Rheintal schreibt: „Das wird der ÖVP bei den nächsten Wahlen definitiv auf den Kopf fallen. An den über 50.000 Stimmen wie in Dornbirn geht das nicht spurlos vorüber.“
Rüscher: Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, machen wir nicht unter dem Titel Wählerstimmenmaximierung, sondern weil die Qualität der Versorgung und attraktive Arbeitsplätze für alle Mitarbeitenden im Zentrum stehen. Am Ende werden Wählerinnen und Wähler entscheiden, ob uns das gelungen ist oder nicht. Aber ich würde gern an den Taten gemessen werden und bitte darum, dass man uns die Chance gibt, zu beweisen, dass es gelingt und richtig ist.
Lydia Metzler aus dem Bregenzerwald fordert: Das Krankenhaus Dornbirn muss mit der Geburtenstation und Frauenheilkunde bleiben. Für den Hinterbregenzerwald ist Dornbirn am schnellsten erreichbar. Ich wünsche mir, dass auch auf die entlegenen Talschaften Rücksicht genommen wird.“
Rüscher: Dornbirn und Bregenz sind auf der Autobahn zehn Minuten voneinander entfernt. Das ist überhaupt keine große Entfernung, in anderen Bundesländern sind die Wege weit länger. Und schon jetzt hat man aus dem hinteren Bregenzerwald eine relativ lange Anfahrt und muss sich überlegen, wann man losfährt, wenn man vor einer Geburt steht. Wenn man über den Achraintunnel fährt, ist es nahezu ident, ob man nach links Richtung Krankenhaus Dornbirn oder nach rechts Richtung Krankenhaus Bregenz abbiegt. Beide Standorte haben ihre Vor- und Nachteile: Wir haben die Messeparkkreuzung mit großen Stauerscheinungen in Dornbirn. Wir haben in Bregenz am Morgen manchmal Stauerscheinungen. Da ist kein Standort besser oder schlechter erreichbar.

Heinrich Sandrell aus dem Montafon beschäftigt etwas Ähnliches. Er sagt: “Was soll eine gebärdende Mutter sagen, wenn sie beispielsweise von Partenen in die Geburtenstation nach Feldkirch muss?” Exemplarisch führt er den Skiverkehr im Montafon an.
Rüscher: Wir haben diese Frage rund um die Verlegung der Geburtshilfe in Bludenz intensiv diskutiert, gerade mit den Gemeinden im Montafon. Ihnen haben wir eine Anleitung übermittelt und gesagt: “Bitte etwas die Sorge nehmen.” Wir haben das auch mit dem Roten Kreuz intensiv diskutiert. Die sagen, die Fahrzeit nach Feldkirch ist natürlich länger, aber im Rahmen von Geburtssituationen jedenfalls in der Regel einschätzbar und planbar. Sollte es wirklich einmal zu einer Notsituation kommen, stehen die Rettungstransporte zur Verfügung – dann kann man auch Stausituationen besser bewältigen. Wir gehen aber aufgrund der Zahlen davon aus, dass das nur in sehr geringem Ausmaß der Fall sein wird.

Stefanie Brandner aus Dornbirn wünscht sich, dass „nicht über Zahlen, sondern über Menschen diskutiert wird – in diesem Fall über Frauen.“ Dazu merkt sie an: „Würden Männer Kinder zur Welt bringen, hätten wir dieses Thema nicht. Dann würde es in jedem Dorf eine Geburtshilfe geben.“
Rüscher: Im Ansatz kann ich die Rückmeldung nachvollziehen. Allerdings möchte ich beruhigen: Es planen ganz viele Frauen diese Prozesse. Auch ich selbst bin eine Frau und habe drei Kinder entbunden. Von ganz schnell bis ganz langsam habe ich alles erlebt. Ich kann mich sehr gut hineinfühlen in Frauen, die in diesen Situationen sind, sehe aber auch durch meine Aufgabe, was rund um Geburtsvorgänge alles passieren kann, wenn es anders läuft. Ich glaube, wenn jemand bei uns in ein Krankenhaus geht, wird man dort auf höchstem Niveau versorgt wird. Die Schritte, die wir jetzt tun, sind notwendig, um Frauen diesen Rahmen auch in Zukunft anbieten zu können. Wir werden sorgsam auf die Frauengesundheit in Vorarlberg achten, das kann ich als Frau versichern.

Elke Capelli aus Nüziders wünscht sich die Planung und Errichtung einer ME/CFS-Ambulanz. Was ist hier konkret geplant?
Rüscher: Seit vielen Monaten wird diskutiert, wie wir das in Vorarlberg abwickeln. Eine Anlaufstelle oder Versorgungszentrum sind nicht Aufgabe einer RSG-Planung, sondern sind wie viele andere Angebote und Leistungen bei uns in der Vorarlberger Gesundheitsversorgung abzubilden. Dieses Jahr haben wir uns genommen, die ME/CFS-Versorgung österreichweit zu akkordieren, damit wir alle nach demselben Standard arbeiten. Ich habe jetzt die Freigabe gegeben, dass wir in die Planung einsteigen und uns mit dem Versorgungszentrum in Innsbruck kurzschließen und das bestehende Angebot weiterentwickeln, sodass es dem Standard entspricht. Das wird bei uns in der Landeszielsteuerungskommission im Dezember beschlossen. Ich gehe davon aus, dass wir nächstes Jahr mit den Arbeiten starten. Hinzufügen möchte ich: Es geht nicht nur um die medizinische Diagnose und Therapiemöglichkeit, sondern auch um die finanzielle Absicherung von ME/CFS-Patienten. Es ist Aufgabe der Patientenversicherungsanstalt, schwer Betroffenen Zugang zur Invaliditätspension zu ermöglichen. Dazu braucht es die Abstimmung auf Bundesebene.

Günter Lammer aus Mäder erklärt: „Die Bevölkerung gehört in den Prozess mit einbezogen und gefragt. Am besten wäre eine Volksabstimmung.“ Stand das je zur Debatte?
Rüscher: Da bin ich völlig anderer Meinung. Es gibt Bereiche, die von Fachleuten geplant werden müssen. Wenn wir die Menschen fragen, wo sie sich ein Spital wünschen, liegt es nahe, dass jeder am liebsten eines in der eigenen Gemeinde hätte. Dann hätten wir wahrscheinlich 96 Spitäler in Vorarlberg. Wenn die nächste Frage kommt, wie diese personell bestückt werden sollen, gibt es vermutlich keine Antwort mehr. Dann muss auch noch geklärt werden, wie das finanziert wird. Es ist also keine Entscheidung der Öffentlichkeit. Sehr wohl ist aber unsere Aufgabe, die Öffentlichkeit so weit einzubinden und mitzunehmen, dass man die Entscheidungsgrundlagen nachvollziehen kann und Verständnis dafür aufbringt.
Eine letzte Rückmeldung: „Für eine richtige und nachhaltige Spitalsreform müssten mindestens 2 – 3 Spitäler geschlossen werden oder in Nachbehandlungszentren umgestaltet werden. Aber da traut sich kein politisch Verantwortlicher drüber.“
Rüscher: Das hat weniger mit dem Trauen zu tun, denn wir haben das schon geprüft. Wir haben uns überlegt, wenn wir alle Krankenhäuser abbrechen würden und ein neues bauen – was würde das für Vorarlberg bedeuten? Wäre das der richtige Weg? Aber solche wesentlichen Veränderungen brauchen eine fundierte Planung und Zeit. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass eine weitere Bündelung der Fächer, auch im Unterland, jedenfalls erfolgen muss. Man muss sich fragen, ob ein Schwerpunkthaus für rund 400.000 bis 600.000 Einwohner ausreicht, ob es zwei oder drei Standorte braucht, wie die Gebäude nachgenutzt werden, und so weiter. Das ist weiterhin Grundlage vieler Gespräche und Planungen, wird aber die kommenden Jahre in Anspruch nehmen.