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„17.000 im Stadion sangen die Hymne“

05.10.2020 • 16:48 Uhr
„17.000 im Stadion sangen die Hymne“
Alexander Antonitsch macht für die NEUE einen Rückblick auf das legendäre Davis-Cup-Duell gegen Amerika, das im Praterstadion gespielt wurde. GEPA

Vom 21. bis 24. September 1990 fand im Praterstadion das Davis-Cup-Halbfinale Österreich gegen USA statt. Alexander Antonitsch blickt auf das Jahrhundert-Tennis-Ereignis zurück.

Was sind Ihre ersten Gedanken, wenn Sie an das Davis-Cup-Halbfinale im Praterstadion zurückdenken?
Alexander Antonitsch: Dass es das geilste Erlebnis war, das ich im Tennis erleben durfte – auch, wenn wir verloren haben. Es war einfach der Wahnsinn. Wir haben uns dieses Halbfinale Stück für Stück erarbeitet. 1988 schafften wir gegen Großbritannien den Aufstieg in die Weltgruppe, dann warteten schon die ersten Gänsehaut-Momente. In der ersten Runde schlugen wir zu Hause im Dusika-Stadion Australien mit 5:0. Auch das war ein Traum, wobei das glorreicher klingt, als es war. Denn die Partie war auf Sand, und natürlich war das nicht der Lieblingsbelag der Australier, während wir im Einzel Thomas Muster und Horst Skoff hatten. Tom und ich gewannen sensationell auch das Doppel gegen Pat Cash und John Fitzgerald, ein Weltklasse-Duo.

Im Viertelfinale verloren wir dann zu Hause gegen Schweden.
Antonitsch: Tom fehlte damals verletzt, nachdem er in Key Biscane von einem betrunkenen Autofahrer angefahren wurde. Gegen Schweden schlug die große Stunde von Horsti, das wird mir zu sehr vergessen, ständig wird nur von seinen Niederlagen in den entscheidenden Spielen gegen eben die USA 1990 und 1994 gegen Deutschland gesprochen. Doch ohne Horst wären wir 1990 nicht ins Halbfinale gekommen, er hat damals in der ersten Runde Sergi Bruguera auf Sand geschlagen. Gegen Schweden jedenfalls hat er auf Sand Mats Wilander nach sechs Stunden besiegt, das war ein episches Match.

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Horst Skoff schlug 1989 im Davis Cup Mats Wilander, verlor allerdings das fünfte und entscheidende Spiel gegen die Amerikaner. aPA

Dabei hatten wir uns eher etwas gegen Stefan Edberg ausgerechnet, weil Sand dessen schwächster Belag war. In Wahrheit gewann er alle drei Partien.
Antonitsch: Gegen ihn haben wir kein Land gesehen damals, aber die Niederlage war verkraftbar, weil wir in unserem ersten Jahr in der Weltgruppe nicht gegen den Abstieg spielen mussten. 1990 starteten wir mit dem Sieg bei den haushoch favorisierten Spaniern, die hatten ja nicht nur Emilio Sanchez und Sergi Bruguera, sondern im Doppel auch Sanchez/Casal. Ich muss sagen, das sind wirklich schöne Erinnerungen. Im Viertelfinale haben wir dann Italien, auch wieder im Dusika-Stadion, mit 5:0 besiegt, und die Euphorie haben wir dann mitgenommen bis in den Herbst zu unserem Halbfinale gegen die USA.

Die Euphorie war riesig, und wir rechneten uns ja damals wirklich Chancen auf den Finaleinzug aus.
Antonitsch: Ja, weil im Davis Cup alles passieren konnte. Das waren keine normalen Spiele, für niemanden. Wenn du auswärts gespielt hast, hat das Publikum während deiner Aufschlagbewegung reingepfiffen, bei Punkten von dir wurde nicht geklatscht, dafür haben die Tribünen gebebt, wenn du einen Fehler gemacht hast. Das war Länderspielstimmung, der Unterschied zwischen Heim- oder Auswärtsspiel war mindestens so groß, wie er es beim Fußball ist. Als Gastgeber durftest du ja nicht nur den Belag auswählen, sondern auch die Bälle – und du hast die Linienrichter gestellt, ohne, dass es das Hawk-Eye gab. Da spielten sich Szenen ab, die unglaublich waren. Ich habe es erlebt, dass die Linienrichter abklatschten, wenn sie einen Fußfehler gaben.

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Antonitsch und Muster waren ein bewährtes Doppel. APA

Was war das für ein Gefühl, in einem Fußballstadion vor 17.000 Zuschauern zu spielen?
Antonitsch: Ich sage ehrlich, mich hat es überwältigt. Vor dem Doppel war immer die offizielle Eröffnung, da wurde die Nationalhymne gespielt. Es stand 1:1, spätestens jetzt war klar, dass wir wirklich eine Chance hatten, obwohl die Amerikaner mit Agassi, Chang und Leach/Pugh fast schon ein Dream Team hatten. Alle im Stadion sangen bei der Hymne mit, 17.000 Menschen, das sind Momente, die vergisst du nicht. Mir ist es kalt den Rücken runtergelaufen. Ich brauchte einen ganzen Satz lang, um im Spiel anzukommen.

War Ihnen, dem österreichischen Davis-Cup-Team, bewusst, dass im Prater Historisches passierte?
Antonitsch: Über die geschichtliche Tragweite haben wir uns Gott sei Dank keine Gedanken gemacht, aber so geil es war, es war schon auch eine große mentale Herausforderung. Es heißt ja immer, man soll den Moment genießen, aber so einfach ist das nicht. Ich hatte zwar mein bestes Jahr hinter mir, mit dem Turniersieg in Seoul, dem Finale in Hongkong – in Queens habe ich gegen Becker 7:9 im dritten Satz verloren. Aber so eine Atmosphäre war ich ja nicht mal ansatzweise gewohnt.

1990 führten Sie in Wimbledon im Achtelfinale gegen Ivan Lendl mit 1:0 in Sätzen.
Antonitsch: Ich war sogar Satz und Break vorn, habe es danach aber, und ich weiß, das klingt verrückt, etwas zu leicht genommen. Ich wurde zu verspielt und kämpfte nicht mehr wirklich, was sich dann relativ schnell ausgewirkt hat. (lacht) Ich hatte also sehr wohl schon bedeutende Spiele in den Beinen. Der Kontrast auf der Tour war aber, dass man in der ersten oder zweiten Runde auf einem Außenplatz gespielt hat, und da ging die Post nun wirklich nicht ab. Tom hat die Stimmung im Praterstadion beflügelt, er hat sich in den großen Spielen noch gesteigert. Von solchen Spielern gab es nicht viele, damit bewegte er sich in der absoluten Meisterklasse.

Wie war eigentlich die Stimmung im Team? Muster und Skoff haben sich ja zutiefst verachtet.
Antonitsch: Über die Jahre gesehen sind bei uns immer wieder die Fetzen geflogen, da hat sich keiner was geschenkt. Doch am Ende wussten wir, dass wir es im Davis Cup nur als Mannschaft schaffen konnten. Wir haben uns also immer zusammengerauft für die paar Tage, so war das auch damals gegen die USA.

Sich für ein paar Tage zusammenraufen klingt so einfach, aber die gegenseitige Abneigung verschwindet ja nicht einfach.
Antonitsch: Na ja, es war damals generell anders als heute. Da gab es viele Spieler auf der Tour, die alles andere als nett waren, da war wirklich Feuer drin. Das ist kein Vergleich zu den vielen netten Burschen von heute. Tom, Horsti und ich haben lange einen Fehler gemacht – dass wir unsere Streitereien und Kämpfe öffentlich ausgetragen haben. Irgendwann schafften wir es dann, zumindest zwischendurch den Journalisten keinen neuen Stoff zu liefern. Beim Davis Cup gab es Phasen, da haben wir wenig bis nix miteinander gesprochen. Aber ich erinnere mich auch an die Auswärtspartie in Neuseeland, wo Horst und ich eine gute Zeit verbrachten. Und damals im Halbfinale im Praterstadion sind wir am Montagmorgen alle mit zum Warm-up von Horst, sein Spiel gegen Chang musste am Sonntag ja nach drei Sätzen abgebrochen werden.

Muster hatte davor sowohl gegen Chang als auch gegen Agassi gewonnen.
Antonitsch: Er war einfach unsere Leitfigur, zu Hause war er eine Macht. Im Doppel mussten wir zusammen gegen die wohl Weltbesten antreten: Leach/Pugh. Das war ziemlich sicher das erste Duo, das sich voll aufs Doppel konzentrierte.

Dennoch wurde das Doppel eine knappe Partie. Sie verloren 6:7, 6:3, 0:6, 5:7. Gibt es verlorene Schlüsselpunkte, an die Sie sich erinnern und über die Sie sich noch ärgern?
Antonitsch: An einzelne Ballwechsel erinnere ich mich nicht mehr, ich weiß noch, dass wir immer wieder unsere Chancen hatten. Mir persönlich ist nicht entgegengekommen, dass es ständig nieselte und deshalb die Bälle feucht und schwer waren.

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Antonitsch und Ronnie Leitgeb. APA

Skoff lag im fünften und entscheidenden Spiel mit 2:0 in Sätzen vorn gegen Chang. Hat das Spiel entschieden, dass es nach dem dritten Satz auf Montag verschoben werden musste?
Antonitsch: Geholfen hat es ihm nicht, denn das ist wahrscheinlich für einen Tennisspieler das Schlimmste, so ein Spiel nicht an einem Tag fertig zu spielen.

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Alexander Antonitsch in Aktion. Reuters

Bis heute hält sich das Gerücht, dass Skoff am Sonntagabend den Sieg schon vorfeierte und ein paar Bier getrunken haben soll?
Antonitsch: Aus meiner Sicht ist da nichts dran. Wir wissen vom Masseur, dass er da war, um die Häuser gezogen ist er sicher nicht. Ich glaube Horsti aber gern, dass er aus Nervosität kaum geschlafen hat. Ich hab’ ja selbst am nächsten Morgen bei seinem Warm-up gemerkt, wie nervös er war, und mich gefragt, ob das gutgehen kann. Aber nach einigen Minuten hatte er bei der Fortsetzung seine Nervosität im Griff, Chang war ja auch nervös, der hat sogar Krämpfe bekommen.

Muster-Manager und Veranstalter Ronnie Leitgeb sowie Davis-Cup-Kapitän Filip Krajcik haben Skoff danach schwer kritisiert.
Antonitsch: Was hat Filip gesagt?

Dass Skoff das Konzept nicht durchgezogen hat.
Antonitsch: Ich habe Horsti nie Vorwürfe gemacht, weil der Druck in einem Entscheidungsspiel enorm ist. Ich bestritt in Neuseeland das fünfte und entscheidende Spiel, als ich nach fünf Sätzen den Matchball verwandelt habe, fiel eine Last von mir ab. Und für Horst war der Druck gegen die USA, auch wegen der Verschiebung auf Montag, noch viel höher. Er und ich hatten unsere Spannungen, ich bin aber froh, dass wir am Ende ein gutes Verhältnis hatten. (Anm.: Skoff verstarb 2008.)

Die Enttäuschung wird sicher groß gewesen sein, als die 2:3-Niederlage gegen die USA feststand?
Antonitsch: Das war keine Niederlage, die man einfach so weggesteckt hat. Bei mir kam dazu, dass ich eine Entzündung im Schlagarm hatte und schon vor dem Davis Cup im Hinterkopf hatte, dass ich danach ausfalle.