Mittendrin bei der WM mit Manuel Ganahl

Ein Gastbeitrag von Eishockey-Crack Manuel Ganahl mit ganz persönlichen Einblicken zur WM in Prag.
Hinter mir liegt die wahrscheinlich magischste Woche meiner Karriere. Gegen Weltmeister Kanada ein 1:6 aufzuholen, gegen Olympiasieger Finnland nach 0:2-Rückstand noch zu gewinnen, und das mit einem hochemotionalen Tor 0,2 Sekunden vor dem Ende. Das sind Augenblicke, die brennen sich ganz tief in einem ein – und ich bin mir sehr sicher, dass ich diese beiden Partien nie vergessen werde. Schon gegen die Schweiz haben wir eine starke Leistung gezeigt, da war viel Pech dabei, dass wir das Spiel verloren haben. Es folgte das Kanada-Spiel. Wir waren in den ersten beiden Dritteln relativ chancenlos gegen die Kanadier.

Kabinenluft
In der Kabine ging es nach 40 Minuten sehr rational zu – auch dieses Mal möchte ich euch genau für diesen Moment mit in die Mitte nehmen. Keiner von uns hat sich noch irgendwas ausgerechnet, ich meine, es stand 1:6 gegen den Weltmeister. Die Ansage war: Wir wollen weiter dagegenhalten, aber es gilt, jetzt auch clever zu sein und keine unnötigen Wege mehr zu gehen. Dann gingen wir raus und erzielten das 2:6, was ein netter Achtungserfolg war. Als wir dann das 3:6 erzielten, haben wir gespürt, dass hier was in der Luft lag. Ganz ehrlich, das waren Momente, da man sich auf der Bank, aber auch auf dem Eis verwundert anschaute und sich gegenseitig fragte: Was ist da los? Wir drückten immer mehr aufs Tempo und haben immer mehr die Zuschauer geschlossen hinter uns gebracht. Als dann das 4:6 fiel, wussten wir, dass hier tatsächlich was drin war. Denn wir haben gespürt, dass die Kanadier plötzlich nervös wurden.
Sehr eindrücklich war für mich auch, dass die Kanadier den Schalter nicht mehr umlegen konnten. Selbst so eine Mannschaft mit so vielen Weltstars schafft es nicht mehr, zurück ins Spiel zu finden, wenn der Gegner im Flow ist und bei den Gegenspielern alles funktioniert.
Das Coolste überhaupt
Es war ein Drittel zum Genießen. Dann erzielten wir das 5:6, und von diesem Moment an gab es überhaupt kein Halten mehr. Auf der Bank ist keiner mehr gesessen, auf dem Eis sind wir regelrecht geflogen. Die ganze Halle hat gebebt, die Kanadier waren völlig ratlos. 49 Sekunden vor dem Ende erzielen wir den Ausgleich. Wir sind kreuz und quer herumgesprungen, sind uns in den Armen gelegen, ich weiß jetzt gar nicht, ob das von außen nachvollziehbar ist, aber auf eine gewisse Weise hat uns diese Situation emotional überfordert. Wenn du gegen Kanada nach 40 Minuten mit 1:6 in Rückstand bist, dann bist du im Normalfall schon froh, wenn es nicht zweistellig wird. Und wir glichen die Partie aus.
Nach dem Ausgleich hat unser Trainer ein paar Augenblick gebraucht, um zu entscheiden, welche Linie er aufs Eis schicken sollte. Er wählte die dritte, also meine Reihe aus. Man könnte vielleicht glauben, dass wir extrem nervös waren, doch wir sind den Shift mit ganz viel Vertrauen angegangen und spielten sehr ruhig. Speziell diesen Wechsel werde ich, glaube ich, nie mehr vergessen. Das war vielleicht sogar das Coolste am Abend überhaupt – wie routiniert wir die Uhr runtergespielt haben. Und dann war die reguläre Spielzeit vorbei. Dass wir dann in der Overtime sofort das 6:7 kassieren, war natürlich schade – wahrscheinlich lief da einfach schon zu viel Kopfkino bei uns allen ab.

Kopfkino
Ein ganz besonderes privates Erlebnis von mir bei dem Spiel war, dass drei sehr enge Freunde von mir drei Tage in Prag waren und das Spiel gegen Kanada der Abschluss ihres Besuchs war. Ich konnte meine Freunde nach dem Spiel noch kurz sehen, da haben sie mir erzählt, dass sie mitten zwischen kanadischen Fans saßen – und am Ende hätten sogar die Kanadier gejubelt, als wir das 6:6 erzielt hatten, weil sie als echte Eishockey-Fans mitgerissen von unserer Aufholjagd waren. Ihr merkt, ich bin immer noch euphorisch, wenn ich an dieses Spiel zurückdenke. Die Stimmung in der Kabine war elektrisierend.
So was erlebst du nur einmal in deiner Karriere. Wir waren so voller Adrenalin, so aufgekratzt, keiner von uns hat gut geschlafen. Das Kopfkino ließ sich einfach nicht abstellen, die Emotionen waren so intensiv, es dauerte sehr lange bei mir, bin ich endlich schläfrig wurde. Beim Frühstück am Morgen danach waren wir alle übernächtig, weil alle lange brauchten, um einzuschlafen. Zum Glück hatten wir an dem Tag spielfrei, so hatten wir Zeit, das Spiel zu verarbeiten und alles einzuordnen. Außerdem konnten wir dadurch das Spiel noch nachgenießen, was nach so einem Erlebnis ganz wichtig ist.
Ich bin dann am Nachmittag mit Lukas Haudum, Vinzenz Rohrer und Bernd Wolf noch einen Kaffee trinken gegangen, im Laufe des Tages ist dann Schritt für Schritt der Blick wieder nach vorne gegangen. Am nächsten Tag wartete schließlich Finnland auf uns, und da ging der Wahnsinn ja weiter.
0,2 Sekunden
Das Spiel gegen die Finnen ist aus meiner Sicht noch höher einzuschätzen. Weil wir in dieser Partie über 60 Minuten auf Augenhöhe waren, ich könnte mich an keine bessere Leistung des Nationalteams erinnern, seit ich dabei bin. Das Spiel war immer offen, auch der 0:2-Rückstand hat uns überhaupt nicht aus der Ruhe gebracht.
Es brauchte in der Kabine gar keine große Ansprache, dass noch alles möglich ist, weil jeder dieses Gefühl in sich trug. Wir wussten: Wenn wir so weiterspielen und uns der Anschlusstreffer gelingt, dann werden auch die Finnen nervös. Das hat uns eben das Kanada-Spiel gelehrt, auch die großen Nationen beginnen in solchen Situationen zu zweifeln. Uns ist der Anschlusstreffer gelungen, und im Schlussdrittel konnten wir dann noch weiter zulegen. Wir waren wieder am Fliegen und steckten auch nicht nach dem aberkannten 2:2 auf, sondern machten immer weiter.
Nachdem uns dann wirklich der Ausgleich gelungen war, hatten wir das Momentum auf unserer Seite. Und dann schlagen wir im letzten Shift tatsächlich zu. Das war für uns alle noch emotionaler als gegen Kanada, weil es so so knapp vor Spielende war, für mich war es noch spezieller, weil ich beim Siegtor auf dem Eis war – außerdem war meine Familie in der Halle.

Zittern und jubeln
Mein Eindruck war, dass die Scheibe vor der Sirene drinnen war, deshalb war ich mir eigentlich sehr sicher, dass das Tor zählen müsste. Aber dann stellte sich plötzlich die Frage, wie die Sirene geschaltet war, also wie viel Zeit zwischen Ablauf der Spielzeit und dem Signal verging. Zuerst war da also der große Jubel, dann das gemeinsame Zittern, und dann konnten wir nochmals jubeln. Solche Momente schweißen dich als Team extrem zusammen. 0,2 Sekunden vor Ende das Siegtor gegen den Olympiasieger zu erzielen, ist ein Erlebnis, das dich fast überwältigt. Dieses Mal hatten wir am Tag danach ein Spiel, das heißt, wir mussten die Emotionen schneller verarbeiten. Aber weil es eine Nachmittags-partie war, schafften wir es alle, recht aufgeräumt in die Nacht zu gehen und gut zu schlafen. Auch unsere Leistung gegen Gastgeber Tschechien war stark, speziell im zweiten Drittel waren wir einem Tor sehr nahe. Und dann hätte sich das Spiel wieder in unsere Richtung entwickeln können. Die Stimmung bei dem Spiel war faszinierend, die Halle war ausverkauft, die 18.000 Zuschauer haben eine irrsinnige Atmosphäre geschaffen.
Unvergesslich
Jetzt können wir mit einem Sieg gegen Norwegen (Sonntag, 16.20 Uhr) den Klassenerhalt fixieren. Das war unser großes Ziel, dass die Entscheidung nicht im letzten Spiel fällt. Es wäre auch der optimale Zeitpunkt, eine Nation wie Norwegen zu schlagen, die zwar über uns einzuordnen ist, aber sicherlich viel mehr in Reichweite als zum Beispiel Finnland ist.
Eines kann ich auf jeden Fall schon sagen: Diese WM werde ich mein Leben lang nicht vergessen, all die Emotionen, die vielen Nachrichten, die Euphorie im Team und in ganz Österreich. Das macht riesigen Spaß. So, und jetzt muss oder darf ich zusammen mit Lukas Haudum zu einem Interview mit dem Weltverband IIHF. Danach freue ich mich auf einen Nachmittag mit meiner Familie. Und dann sind wir alle heiß auf die Spiele gegen Norwegen und Großbritannien. Wenn wir so weitermachen, lassen wir uns den Klassenerhalt nicht mehr nehmen.