„Daraufhin bin ich in Tränenausgebrochen“

Am Mittwoch verlor der Alpla HC Hard das entscheidende Finalspiel drei zu Hause gegen Linz mit 30:31. Es war das letzte Spiel von Luca Raschle, der seine Karriere beendet.
Wie groß ist auch drei Tage danach noch die Enttäuschung über den verpassten Meistertitel?
Luca Raschle: Es wird langsam etwas besser. Aber natürlich ist die Enttäuschung noch immer riesig groß. Nach so einem intensiven Kampf den Titel zu verpassen tut weh, doch so ist der Sport. Es gibt Sieger und Besiegte. Vielleicht waren wir in den entscheidenden Situationen nicht clever genug.
Hard führte am Mittwoch schnell mit 5:3, war dann sogar in Überzahl und verpasste in dieser Situation mehrfach, die Führung auf mehrere Tore zu erhöhen. Hat man damit Linz ins Spiel geholt?
Raschle: In einem Spiel gibt es immer ein Auf und Ab, ich glaube nicht, dass wir das Finale in dieser frühen Phase aus der Hand gegeben haben oder dass Linz nicht ins Spiel gefunden hätte, wenn wir früh höher geführt hätten. Klar, ein kleines Polster hätte uns geholfen. Aber das Spiel wäre danach ja noch sehr lange gegangen. Wenn wir über die erste Halbzeit sprechen, dann eher über die Phase vor der Pause, als wir plötzlich mit vier Toren in Rückstand waren. Da waren wir zwei, drei Mal nicht konsequent genug in der Rückwärtsbewegung und fingen uns viel zu einfache Tore. Über das gesamte Spiel gesehen hatten wir sehr wenig Torhüterleistung, was in so einem Spiel ein sehr wichtiger Faktor ist. Ich glaube, mit einer Standardtorhüter-Leistung, wie wir sie über die gesamte Saison hin immer mindestens hatten, hätten wir das Spiel relativ locker gewonnen. Wirklich dumm hergeschenkt haben wir es in der Verlängerung, als wir plus zwei in Führung waren – da haben wir dann wirklich völlig unnötig das Spiel aus der Hand gegeben. Diese Szenen habe ich im Kopf, die Situation bei 5:3 kann ich im Augenblick gar nicht abrufen.

Was ist in der Verlängerung nach der 29:27-Führung passiert?
Raschle: Eigentlich hat die Verlängerung optimal begonnen. Wir haben den Ball, gehen in Führung, damit war Linz gleich unter Druck. Wir verhindern den Ausgleich und gehen plus zwei in Führung. Danach leisten wir uns zwei Fehlwürfe, in der zweiten Halbzeit der Verlängerung unterläuft Nico Schnabl ein technischer Fehler. Wenn ein Spiel minus eins ausgeht und man nach Erklärungen sucht, dann landet man bei solchen Situationen oder eben der Torhüterleistung. Das ist nicht als Vorwurf gemeint, sondern einfach eine sachliche Auflistung. Ich muss aber auch sagen, dass es Linz in der Schlussphase einfach sehr clever nach Hause gespielt hat.
Letztendlich war der Ausfall von Ivan Horvat nicht zu kompensieren, und Karolis Antanavicius ist ja de facto ebenfalls ausgefallen – auch wenn es Dominik Schmid überragend gemacht hat.
Raschle: Dominik hat ein ganz, ganz großes letztes Spiel gemacht. Trotzdem hat uns Ivan Horvat sehr gefehlt. Er hätte eine Routine mitgebracht, die uns sehr gutgetan hätte, außerdem ist er ein sehr wurfgefährlicher Spieler, der verlässlich trifft. Seine Tore haben uns schon in Linz enorm gefehlt. Ivan hat ein überragendes erstes Finalspiel gemacht, elf Tore erzielt, das bekommst du nicht kompensiert. Dann kommt noch dazu, dass durch Ivans Ausfall Nico Schnabl viel weniger Entlastung bekommen hat, der war vorne und hinten im Dauereinsatz. Dadurch entsteht dann leider die Situation, dass er in der 65. Minute nicht mehr ganz so frisch ist und ihm ein Fehler unterläuft, der ihm normalerweise nicht passiert. Es ist wirklich sehr bitter, dass Ivan in den zwei wichtigsten Spielen der Saison ausgefallen ist. Und wie Sie es richtig sagen: Karolis Antanavicius ist eigentlich auch ausgefallen. Er hat so halb und halb gespielt, hat alles probiert, war aber weit davon entfernt, topfit zu sein. Mit den beiden sind uns unsere Zugpferde im Angriff, aber auch in der Verteidigung ausgefallen. Natürlich haben uns die zwei sehr gefehlt, etwas anderes zu behaupten, wäre unehrlich.

Wie gehen Sie damit um, dass Sie mit so einer Partie Ihre Karriere beenden?
Raschle: Das Spiel an sich war der Hammer. Das wünschst du dir, mit so einem großen Spiel aufzuhören, einem Finalspiel drei in der eigenen Halle: Die Stimmung war gigantisch, die Halle rappelvoll, einen besseren Rahmen kannst du dir nicht wünschen. Natürlich wäre es schön gewesen, wenn die Partie anders ausgegangen wäre, aber das lässt sich jetzt nicht mehr ändern.
Das klingt sehr gefasst.
Raschle: Der Eindruck täuscht. (lächelt) Ich wollte das Spiel unbedingt gewinnen. Wenn mir jemand vor dem Spiel gesagt hätte, dass ich für den Titel wo runterspringen muss und mir dabei beide Beine breche, ich hätte es mir zumindest überlegt. Aber es nützt halt nichts. Wir haben verloren. Meine Familie hat mich direkt nach dem Spiel in der Halle aufgefangen, das war sehr wichtig, denn die Familie ist ja auch der Grund, warum ich aufhöre. So bitter die Niederlage ist, ich spüre, dass ich damit umgehen kann. Viel mehr getroffen hätte mich, wenn ich mich vor vier Wochen verletzt hätte und meine Karriere nicht auf der Platte beenden hätte können. Ich konnte bis zur letzten Sekunde dabei sein, dass es mit dem i-Tüpfelchen nichts geworden ist, gehört in dem Fall ab sofort zu meiner Karriere dazu. Ich werde lernen, das zu akzeptieren, ich habe mit Hard viele Titel gewonnen und einige verloren: Wie gesagt, so ist der Sport.

Ist in Ihrem Kopf schon angekommen, dass Ihre Karriere jetzt vorbei ist?
Raschle: Die Erkenntnis kommt in Schüben. Ich habe schon ein paar Mal Tränen vergossen. Ich glaube, ganz schwer wird es im Herbst, denn der jetzige Ablauf unterscheidet sich ja nicht vom Rhythmus in den Vorjahren: Jetzt geht es wie in den anderen Jahren in den Urlaub, erst danach hätte die Vorbereitung angefangen, und erst im September wären die ersten Pflichtspiele angestanden. Ich glaube, um die Zeit herum wird mir dann endgültig klar, dass es vorbei ist – weil von da an mein Leben anders verlaufen wird, wie ich es gewohnt war.
Anders gefragt: Nach dem Spielende dominierte bei Ihnen sicherlich zunächst die Niedergeschlagenheit über den verpassten Meistertitel. Wie war danach der Moment, als Ihnen klar wurde: Okay, wir sind nicht Meister geworden, aber das war es jetzt für mich, meine Karriere ist zu Ende?
Raschle: Das war wirklich ein sehr emotionaler Moment. Zuerst war da die Enttäuschung über die Niederlage, als ich dann mit den Spielern abgeklatscht habe, kam plötzlich die Klarheit: Es ist vorbei. Ich bin daraufhin in Tränen ausgebrochen, weil ich in diesem Augenblick realisiert habe, dass ich nicht mehr zurückkomme. Es fällt mir auch jetzt schwer, darüber zu sprechen, Sie merken es vielleicht an meiner Stimme.

Darf ich trotzdem nachfragen: Wie war dieser Gefühlssprung von nicht Meister geworden zu sein zu – meine Karriere ist vorbei?
Raschle: Ich dachte: Scheiße, scheiße, scheiße. Wir sind nicht Meister. Im nächsten Augenblick dachte ich mir: Und das war es jetzt. Dann kamen die Tränen.
Sie wurden mit Hard sechsfacher Meister und dreifacher Cupsieger. Ihre schönsten Erinnerungen?
Raschle: Die Titelgewinne waren der Hammer, aber das Schönste an meiner Karriere war, dass ich durch den Sport sehr viele Menschen kennenlernen durfte. Besonders war auch, dieses gemeinsame harte Arbeiten an einem gemeinsamen Ziel, das hatte etwas sehr Verbindendes.
Ein Highlight waren sicher auch immer die Derbys gegen Bregenz.
Raschle: Natürlich, das waren schon in der Hauptrunde die geilsten Spiele des Jahres. Die Halle war voll, ihr von den Medien habt schon tagelang davor emotional berichtet, meine Vorfreude auf die Derbys war immer sehr groß. Als Harder Junge, der seit der Jugend beim Alpla HC Hard gespielt hat, wird dir natürlich von Kindesbeinen an eingepflanzt, wie wichtig es ist, gegen Bregenz alles zu geben und zu gewinnen. Wenn es dann in den Play-offs zum Derby kam oder im direkten Duell um Titel ging, war das einfach der Wahnsinn. Ein Highlight war auch, dass wir uns 2022/23 für die Gruppenphase der EHF European League qualifiziert haben. Das war sportlich etwas Besonderes, aber auch die Reisen ins Ausland waren sehr speziell.
Gibt es ein Spiel, das Sie gerne nochmal spielen würden?
Raschle: Eh das Spiel vom Mittwoch. Um nochmals die fantastische Atmosphäre zu genießen, und um einen anderen Spielausgang herauszuholen. (lacht)

Wie schwer war es, vor dem Spiel vom Mittwoch beim Ziel zu bleiben und nicht dauernd über das Karriereende nachzudenken?
Raschle: Das Loslassen hat schon im Halbfinale begonnen, da hatten wir ja auch ein Spiel drei. Schon das Spiel in Krems hätte die letzte Auswärtspartie, die letzte Auswärtsfahrt sein können. Aber du versuchst natürlich, die Gedanken vom Karriereende ganz weit wegzuschieben. Du musst dich aufs Spiel konzentrieren, deine Aufgabe, deine Leistung. Du hast keine Zeit, dich mit deinem Karriereende zu befassen, darum haben mich am Mittwoch nach dem Spiel wahrscheinlich auch so die Emotionen überwältigt.
Was werden Sie am meisten vermissen?
Raschle: Das Zusammensein mit der Mannschaft. Gemeinsam hart zu arbeiten beim Training, den lockeren Spruch, den man trotz allen Ernstes immer beim Training hatte – mir war immer wichtig, auch Spaß zu haben. Das darf auch sein. Das Kabinenleben an sich wird mir fehlen, nach einer intensiven Trainingseinheit in der Kabine zusammen mit den Mannschaftskollegen ein Bier trinken, gemeinsam lachen.

Mit Dominik Schmid haben Sie sich ganz besonders gut verstanden. Die NEUE war ja mal bei einer Auswärtsfahrt im Bus dabei, da haben Sie und Dominik sich eigentlich gegenseitig immer die Stichworte für den nächsten Lacher gegeben.
Raschle: So war das, ja. (lacht) Wir sind zusammen aufgewachsen, wir haben seit unserer frühesten Jugend zusammen gespielt. Er ist einer derjenigen, die mit meinem Karriereende nicht aus meinem Leben gehen werden. Beim ein oder anderen wird es leider so sein, aber Dominik ist ein Freund fürs Leben.
Was werden Sie in Ihrem Handball-Ruhestand nicht am Profisport vermissen?
Raschle: Ich bin sehr froh, dass ich in meinem Privatleben nun viel flexibler bin. Ich kann endlich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen und auch spontan sein. Bis jetzt hat sich unser gesamtes Familienleben am Handball orientiert. Wir haben uns dabei von Woche zu Woche gehangelt. Am Sonntag habe ich den Trainingsplan für die kommende Woche bekommen, um diesen Plan herum haben wir das Privatleben geplant. Mal am Wochenende spontan einen Ausflug zu machen, war unmöglich.

Auf Sie wartet also ein fast ganz neues Leben.
Raschle: Eigentlich schon. Das wird für alle eine Umstellung, meine Frau kennt mich nur als Handballer und damit das Leben mit mir nur so, dass ich oft weg bin. Für mich selbst wird spannend, wie ich in Zukunft meine Emotionen abbaue. Beim Training und dem Spiel konnte ich meine ganze Energie rauslassen, das kann ich ab sofort nicht mehr. Ich werde zwar weiterhin Sport machen, aber nie mehr so intensiv wie bisher, das heißt also, ich weiß noch nicht, wo ich meine Energie hin packen werde. Natürlich ändert sich jetzt auch beruflich vieles bei mir. Ich habe bisher halbtags gearbeitet und wechsle jetzt zur Vollzeit, ich bin Maschinenbauer bei Alpla.
Sie haben bei der Bekanntgabe Ihres Rücktritts erklärt, dass Sie sich in „ferner Zukunft“ vorstellen können, zum Handball zurückzukehren. Da klang mit, dass Sie erst mal Abstand wollen.
Raschle: Wenn eines Tages mein Sohn oder meine Tochter Handball spielen will, werde ich sie natürlich voll unterstützen und in die Halle begleiten. Und wer weiß, vielleicht übernehme ich dann auch eine Nachwuchsmannschaft als Trainer. Aber jetzt braucht es erst mal einen Schnitt. Unser Trainer Hannes Jón Jónsson hat mir angeboten, dass ich mittrainieren kann, wenn mir danach ist. Das wäre, glaube ich, keine gute Idee. Weil man mir dann irgendwann am Freitagabend ein Leibchen in die Hand drücken würde und mich fürs Spiel einplant. Nein, jetzt ist die Familie an der Reihe. Ich wollte es so, mein Rücktritt fühlt sich richtig an, auch wenn wir das Finale verloren haben.
Anmerkung: Luca Raschle und Dominik Schmid werden ab kommender Saison NEUE-Experten.