Der unvergessene Kaiser vom Bodensee

Am 3. Februar wäre der Vorarlberger Fußball-Gigant Bruno Pezzey 70 Jahre alt geworden. Auftakt einer mehrteiligen Serie zu Ehren des besten Liberos seiner Zeit, der mit Österreich bei der WM zwei Mal die Zwischenrunde erreichte, mit Frankfurt den UEFA-Cup gewann und auch in Deutschland eine unvergessene Ikone des Fußballs ist.
Bruno Pezzey. Ikone. Vorbild. Mensch. Als am 31. Dezember 1994 sein Herz aufhörte zu schlagen, blieb rund um den Globus für einen Augenblick die Fußballwelt stehen. Es war am gerade noch frühen Nachmittag, so um 15 Uhr herum. Im ORF lief eine alte Komödie mit Fritz Eckhardt und Peter Weck, es muss wohl „Wenn der Vater mit dem Sohne“ gewesen sein, als plötzlich auf einer Schlaufe eine Meldung am unteren Rand über den Bildschirm flimmerte: Bruno Pezzey ist tot. Es war eine Nachricht, die einen erzittern ließ. Bruno Pezzey tot? Das konnte nicht wahr sein. Er war doch noch so jung! Das musste ein Irrtum sein. Ganz sicher. Doch die Meldung lief erbarmungslos immer und immer wieder über den Bildschirm. Im Teletext war die Nachricht von Pezzeys Tod die Eilmeldung. Dann wurde auch im Radio berichtet, und schließlich wurde das TV-Programm unterbrochen. Es stimmte. Mein Gott, Bruno Pezzey war tot.
Defensivstratege
30 Jahre ist dieser Schicksalsschlag inzwischen her, und es dauert gar nicht mehr so lange, bis Pezzey länger tot ist, als er gelebt hat. Doch der Innenverteidiger und Libero bleibt unvergessen. Nicht nur wegen seiner überragenden Klasse, die ihn international in höchste Sphären aufsteigen ließ. Sondern auch, weil er einer dieser Sportler war, die einen in den Bann zogen: Dass Pezzey der Beckenbauer vom Bodensee genannt wurde, lag nicht nur an seiner Edeltechnik und daran, dass er in der deutschen Bundesliga mehr Tore erzielte als der Kaiser selbst; sondern auch an Pezzeys Erscheinung und natürlichen Autorität als Führungsspieler. Als man ihn bei Werder Bremen Mitte der 1980er-Jahre zum Kapitän machen wollte, lehnte der Vorarlberger ab, wie der inzwischen ebenfalls verstorbene langjährige Werder-Manager Willi Lemke im Juli 2019 im Interview mit der NEUE erzählte: „Bruno sollte eigentlich unser Kapitän werden, aber er wollte nicht mit dem bestehenden Kapitän in Konkurrenz treten, sagte, dass er auch ohne Kapitänsbinde Verantwortung übernimmt.“ Lemke schilderte auch, was so besonders am Führungsstil von Pezzey war: „Er war jemand, der mit seiner Art der Menschenführung der Mannschaft eine eigene Handschrift verpasst hat.“
Wo Pezzey war, war Erfolg. Als schicksalsträchtig erwies sich für den Lauteracher, wie für so viele Österreicher damals, der 3:2-Sieg gegen Deutschland bei der WM 1978 in Cordoba. Nach dem Abpfiff tauschte Österreichs Abwehrchef mit Eintracht-Frankfurt-Legende und Weltmeister Bernd Hölzenbein das Trikot, auf den Zuschauerrängen war Jürgen Grabowski, noch ein Frankfurter aus Deutschlands 74er-Weltmeisterelf, begeistert von Pezzey und informierte danach sofort die Vereinsführung der Eintracht: „Das ist ein Weltklassespieler, das ist ein Abwehrästhet am Ball.“
Frankfurt bemühte sich intensiv um die Verpflichtung von Pezzey und stach im Werben um den Vorarlberger den damaligen deutschen Meister 1. FC Köln und Borussia Dortmund aus. Die Eintracht schaltete daraufhin einen Radiospot mit dem Wortlaut: „Ihr habt Bruno Pezzey gewollt, wir haben ihn geholt“. Die Bild-Zeitung titelte: „Frankfurt holt Europas besten Libero“. Die Hessen ließen sich damals den Transfer umgerechnet 5,8 Millionen Schilling kosten, eine unvorstellbare Summe für einen Abwehrspieler. Das Besondere an dem Transfer war auch, und das vergisst man oder weiß man heute gar mehr, dass damals nur zwei ausländische Spieler erlaubt waren – und diese Legionärsplätze wurden für gewöhnlich mit Offensivspielern besetzt. Die Abwehrbolzen stellte man aus den eigenen Reihen. Doch Pezzey war eben kein Bolze, sondern ein torgefährlicher Defensivstratege, der den Spielaufbau seiner Mannschaft bestimmte.
Bruno Pezzey
3.2.1955–31.12.1994
Geburtsort: Lauterach; Position: Libero, Innenverteidiger
Vereine: FC Tirol (1987–90), Werder Bremen (1983–87), Eintracht Frankfurt (1978–83), Innsbruck (1974–78), FC Vorarlberg (1973/74), FC Lauterach
Karriere: Deutsche Bundesliga: 255 Spiele, 45 Tore; DFB-Pokal: 22 Spiele, 6 Tore; Landesmeister-Cup: 12 Spiele; Pokal der Pokalsieger: 6 Spiele, 2 Tore; UEFA-Cup: 21 Spiele, 5 Tore; Österreichische Bundesliga: 216 Spiele, 24 Tore;
Größte Erfolge: UEFA-Cup-Sieger (1979/80), DFB-Pokalsieger (1980/81), vierfacher österreichischer Meister, zweifacher deutscher Vizemeister
ÖFB-Team: 84 Spiele, 9 Tore. Erfolge: WM-7. (1978), WM-8. (1982)
Ehrungen: Wahl in WM-All-Star-Team der Vorrunde (1978); bester ausländischer Spieler der deutschen Bundesliga (1981); vier Mal nominiert zur Wahl Europas Fußballer des Jahres, Ränge: 1979: 21.; 1980: 19.; 1981: 11.; 1982: 12.;
Legendäre Erfolge
Pezzeys Karriere erreichte schwindelerregende Höhen. Im Juni 1979 stieg der Lauteracher endgültig in die Riege der Weltstars auf. Beim Freundschaftsspiel gegen England am 13. Juni 1979 gelangen Pezzey gleich zwei Kopfballtore samt dem 4:3-Siegtreffer für Österreich.
Wenige Tage darauf wurde er ein erstes Mal für die Weltauswahl nominiert und sollte in Buenos Aires gegen den amtierenden Weltmeister Argentinien als Abwehrchef die Defensive des Starensembles dirigieren – Seite an Seite mit Größen wie Manfred Kaltz, Michel Platini, Zico, Paolo Rossi oder Zbigniew Boniek. Und das, vier Tage bevor er in der Mehrerau seine Silvia heiratete. Das Weltauswahlspiel am 25. Juni 1979 vor 80.000 Zuschauern in der argentinischen Hauptstadt hatte Turnier-Charakter, die Stimmung war aufgeheizt, das Tempo hoch – nein, das war kein Schaulaufen, sondern ein Duell der Besten der Besten, verlieren wollte hier keiner. Die Weltauswahl gewann schließlich mit 2:1. Eine Sensation.
Der Sieg in dem Prestigeduell war allein schon deshalb nicht hoch genug einzuschätzen, weil die Partie für die Gauchos ein wichtiger Test vor der Copa América war. So wollte sich der junge Diego Maradona aufseiten des Weltmeisters profillieren. Er traf zwar, blieb sonst aber blaß. Pezzey spielte durch, zählte zu den besten Spielern am Platz. Unvorstellbar. Solche Rückblicke machen zumindest etwas greifbar, wenn Eintracht-Rekordspieler Charly Körbel gegenüber der NEUE im Juni 2019 sagte: „Bruno war der erste Superstar von Eintracht Frankfurt.“
Das erste Weltauswahl-Spiel von Bruno Pezzey
Argentinien – Weltauswahl 1:2
(1:0). 25. Juni 1979. Buenos Aires, 80.000 Zuschauer. Tore: 1:0 Maradona (29.) bzw. Galván (69./Eigentor), Zico (74.).
Rot: Tardelli (77./Weltauswahl).
Argentinien: Fillol – Olguín, Galván, Passarella, Tarantini – Ardiles, Gallego, Maradona – Houseman, Luque (46. Outes), Valencia. Trainer: Cesar Menotti
Weltauswahl: Leao (46. Koncilia) – Kaltz, Krol, Pezzey, Cabrini (46./Toninho) – Asensi, Tardelli, Platini (46. Zico) – Causio, Rossi, Boniek. Trainer: Enzo Bearzot
Bescheiden
Trotzdem Pezzey blieb immer demütig und bescheiden. Wenn er auf Heimatbesuch war, spielte er manchmal in Schendlingen beim Hallenfußball mit, der Abwehrspieler blieb im Herzen immer der Lauteracher, der mit zwei Jahren von seinem Vater den ersten Fußball geschenkt bekommen hatte. Vor allem bewahrte sich der Wuschelkopf auch immer eine kindliche Leichtigkeit, der Mann liebte es zu lachen und nahm schon mal seine Mannschaftskollegen der Weltstars auf den Arm. So erinnerte sich ÖFB-Torhüterlegende Friedl Koncilia, wie Pezzey beim Weltauswahlspiel in Buenos Aires für alle Mannschaftskollegen ein kleines Geschenk kaufen ging. „Für Boniek suchte er eine rothaarige kleine Puppe aus, weil Boniek rothaarig war. Das war genau Brunos Humor.“ Wenn Pezzey allerdings Ungerechtigkeit wahrnahm, konnte der 84-fache Nationalspieler aus der Haut fahren. Denn voranzugehen und zu führen, bedeutete für ihn auch, für andere einzustehen.
1980 schoss Pezzey seine Eintracht im UEFA-Cup-Halbfinalrückspiel gegen Bayern mit zwei Toren in die Verlängerung, die Hessen stiegen ins Finale auf und holten sich danach gegen Mönchengladbach den Europapokalsieg. Trainer der Fohlen-Elf war der junge Jupp Heynckes, der viele Jahre später im privaten Gespräch mit Körbel konstatierte: „Du und Bruno, ihr ward spielerisch und als Persönlichkeiten zu stark für uns.“ Das Fachmagazin Kicker jubelte am 8. Dezember 1980 in großen Lettern auf der Titelseite über Pezzey: „Der Mann, der alles kann.“ Zwei Jahre später wollte Uli Hoeneß den Vorarlberger nach München holen, doch die Bayern konnten den Transfer nicht stemmen. Und das alles ist nur ein kleiner Auszug aus Bruno Pezzeys Erfolgsgeschichte.
Stars über Pezzey.
Am 3. Februar wäre der Lauteracher 70 Jahre geworden, darum feiert ihn die NEUE in den kommenden Wochen und macht sich auf Spurensuche, was Bruno Pezzey ausmachte und ihn von so vielen anderen Fußballgrößen seiner Zeit abhob. Weggefährten, die selbst Fußball-Geschichte geschrieben haben, kommen zu Wort und zeichnen ein Bild davon, wie Pezzey in der Kabine wirkte und was ihn auf dem Spielfeld so einzigartig machte. Denn erst, wer vergessen wird, ist wirklich tot. Bruno Pezzeys Vermächtnis ist unsterblich.