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Völler über Pezzey: „Brunos Schmäh habe ich geliebt“

03.02.2025 • 08:33 Uhr
Völler über Pezzey: „Brunos Schmäh habe ich geliebt“
Bruno Pezzey wäre heute 70 Jahre alt geworden. Das Bild zeigt ihn beim Länderspiel gegen Deutschland im Zweikampf mit Rudi Völler. DPA

Am 3. Februar wäre Bruno Pezzey 70 Jahre alt geworden. Im exklusiven NEUE-Interview erinnert sich Weltmeister Rudi Völler an seinen einstigen Bremer Mannschaftskollegen.

Dass Sie sich Zeit für dieses Interview nehmen, sagt sehr viel über den Fußballer und Menschen Bruno Pezzey aus.
Rudi Völler: Das mache ich gerne, weil ich Bruno unglaublich geschätzt habe in der Zeit, in der ich mit ihm in Bremen gespielt habe – und auch danach hatten wir noch ab und zu Kontakt.

Was fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie an Bruno Pezzey denken?
Völler: Erst mal war Bruno ein unglaublich toller Mensch. Ich bin 1983 nach Bremen gewechselt als relativ junger Spieler, er kam von Eintracht Frankfurt und war sofort ein Führungsspieler, einer, der gerade auch für die jungen Spieler wie mich immer da war. Seinen österreichischen Schmäh habe ich geliebt, er war einfach ein toller Kerl, seine Frau Silvia und seine Kinder waren auch sehr, sehr nett. Und dann war Bruno natürlich ein überragender Fußballer, er hat fast jedes Kopfballduell gewonnen, hatte eine unglaublich gute Technik mit seinem linken Fuß. Mir wird grad wieder klar, wir hatten eine wunderbare Zeit zusammen in Bremen.

Bei uns in Vorarlberg wurde er der „Beckenbauer vom Bodensee“ genannt – er hat sogar in der deutschen Bundesliga ein Tor mehr als der Franz geschossen.
Völler: Da kann man mal sehen, was für ein kompletter Fußballer Bruno war. Mehr Tore als Franz, das ist ja überragend, das haben nicht viele Abwehrspieler geschafft. Ich sehe es vor mir, Bruno hat schon bei der Eintracht viele wichtige Tore gemacht, weil er eben so kopfballstark war, und er hat auch bei uns in Bremen wichtige Tore erzielt. Das war eine große Qualität von ihm. Es ist ja so, wenn man zu solchen Anlässen Interviews über Spieler gibt, dann ist man immer voll des Lobes, aber bei ihm ist es wirklich so gewesen, jedes Lob trifft zu. Schön mit Bruno war auch, dass wir uns nicht nur auf dem Platz verstanden haben, sondern man konnte mit ihm auch abseits des Fußballs was unternehmen. Wir sind nach dem Training mal ein Bier trinken gegangen, die 1980er-Jahre waren einfach eine andere Zeit, da ging so was, ich erinnere mich auch an Frühschoppen mit ihm. So einen Mannschaftskollegen wie Bruno konntest du dir nur wünschen.

Völler über Pezzey: „Brunos Schmäh habe ich geliebt“
Völler und Pezzey im Jänner 1985 bei einem Hallenturnier in Karlsruhe. IMAGO

Bruno Pezzey war ja nicht nur auf dem Spielfeld einer, der voranging, er war auch in der Kabine ein Anführer, dessen Wort sehr viel Gewicht hatte.
Völler: Absolut. Bruno war ein gestandener Nationalspieler in einer starken österreichischen Mannschaft, er hat als Führungsspieler immer seine Meinung gesagt in Bremen. Bruno war nicht nur ein technisch beschlagener Fußballspieler, er konnte auch dazwischen fegen, seine Grätschen waren legendär. Wenn ihm was nicht gepasst hat, dann hat er sich auch mal den ein oder anderen zur Brust genommen, das alles hat ihn so wichtig gemacht.

Sie haben 1983 auf Nationalmannschaftsebene zwei Mal gegen Bruno Pezzey gespielt, beim zweiten Spiel, als Pezzey bereits Ihr Mannschaftskollege bei Werder war, erzielten Sie zwei Tore. Wie oft musste sich das Bruno von Ihnen anhören?
Völler: Nach so einem Spiel wird natürlich mal geflachst, das ist klar, da musste Bruno durch. (lacht). Aber Scherz beiseite, das war eine blöde Situation für ihn. Es war ein wichtiges EM-Qualifikationsspiel, ich erinnere mich noch genau, das Spiel war in Gelsenkirchen, ich habe als sein Vereinskollege zwei Tore erzielt und Kalle Rummenigge eins. Als wir dann wieder zurück in Bremen waren, habe ich Bruno natürlich mal im Spaß darauf angesprochen, aber damit konnte er umgehen, denn umgekehrt hätte er das auch gemacht.

Pezzey war ja ein humorvoller Mensch, der sehr gerne seine Späßchen gemacht hat.
Völler: Ja natürlich, darum sag ich ja, wenn da mal ein Spruch gefallen ist nach dem Länderspiel in Gelsenkirchen, dann hat das Bruno schon vertragen. Außerdem, diese Generation in den 1980er-Jahren war einfach noch anders, in Bremen sowieso, da wurde die Kameradschaft großgeschrieben. Nach dem Training sind wir mit ein paar Mannschaftskollegen in die Kneipe, haben Karten gespielt, geknobelt, bisschen Quatsch gemacht und wie gesagt auch mal ein paar Bier getrunken. Da war der Bruno immer dabei – aber ich auch! (lacht)

Stimmt es eigentlich, dass Sie und Bruno federführend dafür verantwortlich gewesen sind, dass bei Werder Bremen am Rosenmontag Karneval gefeiert wurde?
Völler: (schmunzelt) Genau, so war das. Wir haben uns in Bremen tatsächlich mal verkleidet im Karneval, wir waren zu fünft oder zu sechst. Und zwar gab es in Bremen ein Schauspielhaus, da haben wir uns von einer Maskenbildnerin ganz professionell schminken lassen, wir saßen stundenlang da, auch Kostüme haben wir bekommen. Bruno ging, glaube ich, als Mafiosi, ich als Graf Dracula, Manni Burgsmüller und Michal Kutzop waren auch dabei. Wobei man dazu sagen muss, Norddeutschland ist keine Karneval-Hochburg, in Köln oder Düsseldorf stellt man sich unter Karneval ganz was anderes vor. Ich habe sogar noch ein Foto von dem Karneval-Abend bei mir zu Hause.

Bruno Pezzey
Eine Momentaufnahme vom 20. November 1985: Pezzey, Wolfgang Sidka und Rudi Völler, der drei Tage später von Klaus Augenthaler brutal gefoult wird. Imago

Trainer Otto Rehhagel soll den Karneval-Abend toleriert haben, aber, wie es eben so seine Art als Trainer war, am nächsten Tag das Training eine Stunde vorverlegt haben?
Völler: Ja, das kann so gewesen sein. Ich war ja Ottos Lieblingsspieler, ich war der Jüngste, mich haben sie immer vorgeschickt, wenn das Training nach hinten verschoben werden sollte. Bruno und die älteren Spieler meinten dann, geh’ doch mal zum Trainer, wir wollen mal was anderes trainieren. So war das damals noch, herrlich.

Bruno war ein großer Austropop-Fan. Hat er versucht, Sie auch dafür zu begeistern?
Völler: Das musste er gar nicht. Die österreichischen Interpreten waren auch in Deutschland sehr populär, die Lieder wurden rauf und runter gespielt, auch auf den Skihütten. Das waren schon auch die Lieder, die wir alle privat gehört haben, klarerweise nicht nur die, es gab damals viel gute Musik, aber Fendrich, und wie die großen Österreicher alle hießen, gehörten einfach dazu. Außerdem war Bruno ja schon eine Weile in Deutschland, als er zu Bremen wechselte, hatte er, glaube ich, auch deutsche Interpreten für sich entdeckt. Aber es stimmt schon, jetzt erinnere ich mich wieder: Musik war ein großes Thema bei ihm.

Als Sie nach einem Foul von Bayern-Libero Klaus Augenthaler im November 1985 monatelang ausfielen, meinten die Bayern: Der Völler ist selbst schuld, weil er so schnell und dynamisch ist. Uli Hoeneß befand sogar, dass es gar kein Foul war. Der jahrzehntelange Werder-Manager Willi Lemke hat mir mal erzählt, dass Bruno danach intern gesagt hat: Wir geben denen die Antwort auf dem Platz.
Völler: Das weiß ich nicht, aber das wäre typisch Bruno, er hat sich nichts gefallen lassen und ist immer für die Mannschaft eingetreten. Wir waren damals auf Augenhöhe mit den Bayern, wir lieferten uns in diesen Jahren ein Duell darum, wer Meister wird. Die Emotionen gingen schon vor dem Spiel hoch und erst recht im Spiel, das Foul von Klaus hatte seinen Anteil daran. Wobei ich kein Problem mit Klaus Augenthaler habe, ich hatte mit ihm immer ein gutes Verhältnis, wir sind dann ja auch 1990 zusammen Weltmeister geworden. Aber ich bin nach dem Foul ein halbes Jahr ausgefallen, das war nun mal so. Ich kann mir darum schon vorstellen, dass Bruno intern eine Ansage gemacht hat, vielleicht noch mehr wegen den Sprüchen, die hinterher aus München kamen. Im Mannschaftskreis kann man sowas eigentlich nicht unkommentiert lassen.

1985/86 war eigentlich die Saison von Werder, obwohl Sie erst am vorletzten Spieltag wieder spielen konnten. Sie gaben ihr Comeback genau gegen Bayern, als Bremen mit einem Sieg den Meistertitel fixieren hätte können. Michael Kutzop hat dann in der 89. Minute beim Stand von 0:0 einen Elfmeter verschossen. Ist Ihnen in Erinnerung, wie Bruno nach dem Spiel in der Mannschaft aufgetreten ist?
Völler: Für eine ganz klare Erinnerung, die ich Bruno zuordnen könnte, ist es zu lange her. Ich weiß aber natürlich noch, wie wir alle geknickt waren nach dem Spiel, weil eben der verschossene Elfmeter, den ausgerechnet ich rausgeholt hatte, auch ganz kurz vor Schluss war: Wenn der reingegangen wäre, wären wir deutscher Meister gewesen. Bayern hätte nach dem Tor vielleicht noch einen Angriff gehabt. Aber wir lagen ja selbst nach dem Spiel noch zwei Punkte vorne, uns hätte am letzten Spieltag ein Punkt gereicht. Wirklich vergeigt haben wir es dann in Stuttgart mit der 1:2-Niederlage, doch das 0:0 gegen die Bayern, und wie das Ergebnis zustande gekommen war, hat uns schon ein bisschen zugesetzt.

Brunos Bruder Ralph Pezzey hat mir mal bildhaft geschildert, wie man bei der Familie Pezzey, leider verfrüht, bereits in Jubelpose den Elfmeter von Kutzop erwartete.
Völler: Es gibt ja die Geschichte, dass Michael Kutzop, er ist heute noch ein guter Kumpel von mir, in seiner Bundesligakarriere 25 Elfmeter geschossen hat. Er hat in Offenbach gespielt und dann für Werder Bremen. Von den 25 Elfmetern hat er einen verschossen: den gegen die Bayern. Es ist wirklich unfassbar, die Statistik ist nachlesbar. Er hat 24 Elfmeter verwandelt, nur den gegen die Bayern hat er an den Pfosten geschossen. Am letzten Spieltag haben wir dann in Stuttgart verloren, die Bayern hatten das bessere Torverhältnis und haben zu Hause gegen Gladbach gewonnen. Ich weiß noch, wie Bruno in Stuttgart kurz vor Schluss die Kopfballchance auf das 2:2 hatte. Das wär’s gewesen.

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Rudi Völler erinnert mit augenzwinkernden Anekdoten an Pezzey. AFP

Stimmt die Anekdote, dass Werder nach der verpassten Meisterschaft für ein Freundschaftsturnier nach Tokio geflogen ist und sich die Mannschaft bei einem Zwischenhalt in China in Dalian den Frust von der Seele getrunken hat?
Völler: Ich bin damals relativ bald nach dem letzten Saisonspiel zur Nationalmannschaft gestoßen, 1986 war ja die WM in Mexiko, auf die wir uns vorbereitet haben. Deshalb habe ich die Asienreise von Werder nicht mitgemacht. Ich weiß aber, dass die Mannschaft auch auf Bali einen Zwischenstopp gemacht hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass es damals zünftig zugegangen ist bei dem Trip, ich kenn ja meine Werder-Mitspieler von damals. Ich wäre da gerne dabei gewesen, aber ich war bei der WM, die ging natürlich vor.

Die ja nicht erfolglos verlief für Sie und die DFB-Elf.
Völler: Das kann man so sagen, wir sind Vizeweltmeister geworden.

Wie kann man sich die Stimmung vorstellen, nachdem Bremen damals am 26. April 1986 zum zweiten Mal in Folge am letzten Spieltag die Meisterschaft verpasste. Im Jahr davor gab es ja auch noch die Mini-Chance, Bayern hätte damals bei Absteiger Braunschweig verlieren müssen.
Völler: Genau, auch damals haben wir zumindest noch gehofft. 1986 war wirklich hart, weil wir es selbst in der Hand hatten, das war der ganz große Unterschied zum Jahr davor.

Bremen lag 1985/86 an 32 von 34 Spieltagen an der Spitze.
Völler: Wir waren vom ersten oder zweiten Spieltag an Tabellenführer – bis zur letzten Runde. Das ist ja makaber. Es war wirklich bitter, denn wir hatten eine richtig gute Mannschaft, mit Bruno logischerweise und all den anderen. Wir hätten es uns verdient gehabt, aber wir haben es nicht geschafft. So ist es halt im Leben.

Sowohl Sie als auch Bruno haben Bremen 1987 verlassen, ausgerechnet ein Jahr später wurde Bremen dann endlich Meister. Hatten Sie nach ihrem Weggang von Bremen noch Kontakt zu Pezzey?
Völler: Ja, ich bin nach Rom, Bruno ist nach Innsbruck zum FC Tirol, und dann ist Bremen Meis­ter geworden. Solche Geschichten schreibt der Fußball. Bruno hat in Österreich seine Karriere ausklingen lassen – und kann es sein, dass er danach U21-Trainer beim ÖFB wurde?

Richtig.
Völler: Genau, und da hat mich Bruno dann mal in Rom besucht, das weiß ich noch genau, wir sind zusammen essen gegangen. Wir hatten nach unserer gemeinsamen Zeit in Bremen immer wieder mal Kontakt, aber natürlich verläuft es sich mit den Jahren. Gar nicht so lange nach seinem Besuch bei mir in Rom, vielleicht zwei, drei Jahre später, ist Bruno gestorben. Beim Eishockey zusammengebrochen. Furchtbar.

Erinnern Sie sich noch, wo Sie von Brunos Tod erfahren haben?
Völler: Den Moment habe ich noch klar vor mir. Ich war irgendwo weit weg im Urlaub, darum konnte ich auch nicht zur Beerdigung kommen. Ich war völlig bestürzt, das war ja unfassbar. Ich habe gleich mit seiner Frau Silvia telefoniert. Es wurde später ein Gedenkturnier zu seinen Ehren veranstaltet, ein Benefizturnier, das es meines Wissens heute noch gibt. Solange ich nach meiner Karriere noch einigermaßen kicken konnte, habe ich da mitgespielt, einige Male sogar, das war mir wichtig. Brunos Tod macht mich heute noch traurig, obwohl es schon so lange her ist. Weil er halt leider auch so früh gehen musste.

Nachdem es so ein spannendes Gespräch mit vielen lustigen Erinnerungen war, sollten wir das Gespräch nicht so traurig ausklingen lassen. Darum wäre es schön, wenn Sie zum Abschluss noch eine Anekdote hätten.
Völler: Gute Idee, das wäre sicher auch in Brunos Sinne. Ich möchte da noch mal auf die Karneval-Geschichte in Bremen zurückkommen. Das war wunderbar, wir hatten echt großen Spaß daran, uns so professionell zu verkleiden. Ich kannte jemanden beim Theater in Bremen, der das möglich machte. Wir sind dann zu sechst perfekt maskiert zum Karneval. In Bremen wohlgemerkt, das darf man nicht vergessen, da ist alles relativ mit Karneval. In Bremen geht nicht so die Post ab wie im Westen oder Süden Deutschlands. Wobei wir es schon krachen haben lassen an dem Abend. Damals gab es noch keine Handys, niemand hat dich fotografiert oder Videos ins Internet gestellt, Internet gab es noch gar keins. Du konntest als Spieler auch mal feiern, ohne dass es wer mitgekriegt hat. Das machten wir, aber wir wussten auch, wann wir uns was erlauben konnten. Sie haben mit Ihren Fragen einige wunderbare Erinnerungen an Bruno und die alten Zeiten zurückgeholt. Das war ein schönes Gespräch. Liebe Grüße an alle, die Bruno kannten. Bruno bleibt für mich unvergessen.