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Bronze war mehr als nur ein Trostpflaster

29.03.2025 • 08:17 Uhr
Bronze war mehr als nur ein Trostpflaster

Die Geschichte hinter der WM-Bronzemedaille von SBX-Champion Alessandro “Izzi” Hämmerle in St. Moritz.

Es ist eine Gratwanderung für einen Champion wie Alessandro Hämmerle sich entweder über WM-Bronze zu freuen oder sich über einen verpassten Weltmeistertitel zu ärgern. „Izzi“ hätte gestern Weltmeister werden können in St. Moritz, mehr noch, er hatte wie vor zwei Jahren in Bakuriani schon eine Hand an der Goldmedaille. Doch wie 2023 glitt Hämmerle gestern die Goldmedaille unverschuldet aus der Hand. Vor zwei Jahren lag der Montafoner im WM-Finallauf in Führung, als er vom deutschen Martin Nörl, eigentlich offensichtlich regelwidrig, von der Piste gedrängt wurde und so mit Blech statt mit Gold heimfuhr.
Dieses Mal war es just der seinerzeitige Nutznießer und mit Jakob Dusek gar ein Teamkollege, der Hämmerle auf der Fahrt zu Gold ausbremste. Dusek lag vor der Zielkurve in Führung, Hämmerle setzte zum Überholmanöver an und war fast schon vorbei, doch weil ihm der Niederösterreicher keinen Platz ließ, touchierten sich die beiden, wodurch Eliot Grondin und Loan Bozzolo Gold und Silber vom rot-weiß-roten Duo abstaubten. Sowohl Hämmerle als auch Dusek schafften es artistisch im Lauf zu bleiben, den Kampf um Bronze entschied dann Hämmerle für sich.

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Im Viertel- und Halbfinale feierten Dusek (in Rot) und Hämmerle (in Grün) Doppelsiege, im Finale fuhr Dusek eine Kampflinie, die Österreich Gold und Silber kosteten. GEPA

Achterbahn
Im Ziel erlebte der Montafoner danach eine Achterbahnfahr der Gefühle. Angetriebenen von zahlreichen Fans aus der Heimat war Hämmerle dem ersehnten Weltmeistertitel so nahe – und doch freute sich „Izzi“ letztlich auch über Bronze, das, so klischeehaft es klingen mag, trotz allem wie Gold glänzte. Denn hinter dem Olympiasieger liegt eine schwierige Saison mit Rückenbeschwerden, die ihn den Saisonauftakt und viele Trainingsstunden kosteten, im März beim Weltcuprennen im türkischen Erzurum fing er sich einen hartnäckigen Virus ein, den er gerade noch rechtzeitig vor dem Heimweltcuprennen im Montafon vor einer Woche überwinden konnte. Nach so einer Saison WM-Bronze zu holen ist ein wahres Husarenstück. Und doch: Hämmerle weiß, dass ihm so langsam die Chancen auf den WM-Titel ausgehen, realistischerweise wird er noch einen Anlauf haben, und zwar in zwei Jahren bei der Heim-WM am Hausberg am Grasjoch. Das waren also die einerseits und andererseits, zwischen denen Hämmerle gestern im Ziel hin und her pendelte. Doch bei allem Ehrgeiz wäre es eben auch nicht Alessandro Hämmerle, wenn bei ihm die Demut vor dem Gewinn einer WM-Medaille letztlich nicht doch klar überwogen hätte.

Revanche für 2023
Hämmerle hat im Engadin einen fast perfekten WM-Bewerb abgeliefert. Im Achtelfinale fuhr er allen davon, für den Youngster aus Bürs Elias Leitner, der mit „Izzi“ in Heat 7 fuhr, blieb nur der vierte Platz. Leitner wurde schließlich 28., Wahl-Vorarlberger Julian Lüftner beendete die WM auf Platz 16. Ab dem Viertelfinale waren Hämmerle und Dusek im jeweils selben Heat, fuhren beide Male einen Doppelsieg heraus.
Besonders süß war dabei für Hämmerle wohl, dass er und Dusek den deutschen Nörl so souverän abhängten, der ihn eben 2023 eigentlich für alle ersichtlich foulte, doch die Jury konnte sich beim Betrachten der Videobilder nicht dazu durchringen, Nörl zu disqualifizieren, was Hämmerle seinerzeit immerhin Bronze eingebracht hätte. Nörl tat damals Hämmerles Protest im Ziel mit flapsigen Sprüchen ab, vielleicht auch mit dem Hintergrund, dass der Deutsche auf den letzten Metern WM-Gold verschenkt hatte, weil er zu früh jubelte und so Dusek noch an ihm vorbeiziehen konnte.

Bronze war mehr als nur ein Trostpflaster
Alessandro Hämmerle jubelte schlussendlich sehr wohl auch sehr ausgelassen über Bronze. Eine WM-Medaille bleibt eben eine WM-Medaille.Klaus Hartinger

Absicht
Dusek und Hämmerle jedenfalls feierten gestern im Viertel- und Halbfinale zwei Doppelsiege, wobei jeweils der Niederösterreicher den Lauf gewann. Hämmerle, so hatte man den Eindruck, studierte speziell im Halbfinale die Linie von Dusek, um sich im Finale die passende Stelle für den Angriff auszusuchen. „Izzi“ wählte die Zielkurve, sah sich, wie er später gegenüber der NEUE erklärte fast schon vorbei, doch Dusek machte die Türe zu – und das absichtlich, wie der entthronte Weltmeister des Jahres 2023 anschließend im Ziel zu Protokoll gab. Hätte es der Niederösterreicher auf ein Duell im Zielhang mit Hämmerle drauf ankommen lassen, wären Gold und Silber nach Österreich gegangen, wobei sich Dusek wohl mit Silber zufriedengeben hätte müssen. Denn Hämmerle hatte auf der Geraden vor der Zielkurve ein enormes Tempo aufgebaut. Es blieb beim Konjunktiv, weil Dusek hasardierte, was ihm am Ende nicht nur Gold oder Silber, sondern jedwede Medaille kostete.

Medaillensatz
Direkt nach dem Rennen kündigten die ÖSV-Spartenbosse an, dass die Szene intern aufgearbeitet wird. So oder so – die Bronzemedaille war und ist sehr wohl ein großer Erfolg für Hämmerle. Denn damit komplettierte der 31-Jährige seinen Medaillensatz bei Großveranstaltungen: Nach WM-Silber 2021 und Olympiagold von 2022 hat „Izzi“ nun auch Bronze im Medaillenschrank. Und den noch offenen Weltmeistertitel kann Hämmerle ja in zwei Jahren im Montafon erobern. Beweisen muss er sowieso niemanden mehr etwas. Auf den heutigen Teambewerb verzichtete Izzi – zugunsten von Dusek. Was für ein Sportsmann.

Morgen in der NEUE am Sonntag: Eine exklusive Reportage aus St. Moritz mit privaten Einblicken.