Himmel, Hölle und Hämmerle: Hallelujah!

Am Freitag gewann Alessandro Hämmerle bei der WM in St. Moritz die Bronzemedaille. Eine exklusive Reportage, die erzählt, wie „Izzi“, aber vor allem die Fans des Montafoners das Rennen auf knapp 2700 Metern erlebt haben.
Freitag, 11.17 Uhr. In knapp 45 Minuten beginnt das SBX-WM-Rennen. Schön langsam trudeln im Zielgelände alle jene Fans von Alessandro Hämmerle ein, die es sich einrichten konnten, den Weg nach St. Moritz auf sich zu nehmen. Gut und gerne 50, 60 Fans haben sich ins Engadin auf den knapp 2700 Meter hohen Munt da San Murezzan gemacht. Hinter allen liegt schon ein langer Tag. Der Wecker klingelte insbesondere bei jenen früh, die mit dem von Montafon Tourismus organisierten Bus mitfuhren: Abfahrt war um 6 Uhr früh in Schruns. Izzis Mama Caterina Hämmerle fuhr ebenso im Bus mit wie der jüngste der drei Hämmerle-Brüder, Luca Hämmerle, der bis vor einem Jahr ebenfalls im SBX-Weltcup fuhr und bei der letzten WM 2023 in Bakuriani noch selbst am Start war. Eigentlich hatte Luca Hämmerle geplant, mit Bruder Gino nach St. Moritz zu fahren.
Doch weil Gino, der inzwischen Arzt ist und im LKH Rankweil arbeitet, nach einem 24-Stundendienst erst gegen 8 Uhr abfahren konnte, entschieden sich Luca und dessen Freundin Lea kurzerhand dafür, auch mit dem Bus mitzufahren. Gino erreichte gemeinsam mit Freundin Lina und Izzis besseren Hälfte Julia um 10.22 Uhr den Parkplatz bei der Seilbahn-Talstation – und damit praktisch zeitgleich wie die NEUE. Danach ging es erst mit einer Gondel zur Mittelstation und dann mit einem Sessellift zur Bergstation. Wer Ski oder ein Snowboard dabei hatte, konnte anschließend das Zielgelände mit einer kurzen Abfahrt erreichen, wir vom NEUE-Team machten uns zu Fuß auf, auch, weil bei einem Sturz die mitgebrachte Gerätschaft mitunter nicht mehr zu gebrauchen gewesen wäre. Auch Luca Hämmerle legte die Strecke von der Bergstation zum Zielgelände zu Fuß zurück, der 28-Jährige, der inzwischen spaßhalber beim 1b der SPG Hochmontafon in der 5. Landesklasse kickt, hat sich im Oktober eine Fußverletzung zugezogen und will nichts riskieren.

Einstimmung
Um 11.17 Uhr also ist die Fangemeinschaft von Alessandro Hämmerle im Zielgelände fast komplett. Die Stimmung ist prächtig. Mama Caterina Hämmerle hat Fan-T-Shirts drucken lassen, die Fans haben Tröten, Ratschen, Fahnen, eine der Kuhglocken, die Izzi in Veysonnaz gewonnen hat, und jede Menge Optimismus mitgebracht. Freilich haben auch andere Fahrer ihre Fangemeinschaft im Ziel, wie aufgehängte Flaggen zeigen, hat es selbst eine australische Fandelegation nach St. Moritz geschafft, ob die Anreise tatsächlich von down under erfolgte, blieb ungeklärt. Nicht zuletzt sind viele Eltern und Familienmitglieder der Fahrer im Ziel, so auch die Mama und der Bruder des Bürsers Elias Leitner. Der Umgang untereinander ist herzlich, immer wieder wird umarmt und herzlich begrüßt. Zu Caterina Hämmerle gesellen sich nun die Mamas gleich dreier großer SBX-Boarder: von Vizeweltmeister Martin Nörl, vom mehrfachen Medaillengewinner Omar Visintin und vom Weltmeister des Jahres 2021, Lucas Eguibar.
Nach einem Schwätzchen posieren die vier noch für ein Fotos und wünschen einander viel Glück. Dass mindestens eine der vier Mütter nach dem Rennen über einen Medaillengewinn ihres Sohnemanns jubeln können würde, war nahezu sicher: Alle vier gingen mit realistischen Medaillenchancen ins Rennen, allen voran natürlich Alessandro Hämmerle.

Zufälle
Izzis Freundin Julia erzählt, dass sie vorhin zufällig ihren Schatz bei der Bergstation getroffen hätte und er von ihr ein Glücksbussi bekommen hat. Was so ein bisschen daran erinnert, dass einst Franz Klammer vor seinem Olympiasieg 1976 in Innsbruck zufällig seinen Vater in der Gondel getroffen hat. Darauf angesprochen, erinnert sich Julia: „Ich habe Alessandro auch im Vorjahr vor seinem vierten Sieg im Montafon zufällig getroffen.“ Bei so vielen Vorzeichen, sind sich alle augenzwinkernd einig, kann heute ja gar nichts mehr schiefgehen. Mit dabei ist auch Izzis Schwiegervater in spe Andreas, während die zukünftige Schwiegermama arbeiten muss. Damit teilt sie das Schicksal vom Familienoberhaupt der Hämmerles, Hanno – er ist unabkömmlich in der familieneigenen Pension Rudolph daheim in Gaschurn.

Ein kurzes Hallo
Es ist jetzt 11.40 Uhr. 20 Minuten noch bis zum Rennstart. ÖSV-Spartenpressesprecher Karlheinz Wieser schaut auf einen Sprung bei der Hämmerle-Fangemeinschaft vorbei, und auch Peter Marko, Geschäftsführer Silvretta Montafon und WM2027-OK-Mitglied, sagt kurz Hallo.
Das Zielgelände ist offen, man kann sich innerhalb der Absperrungen frei bewegen, die Abordnung aus dem Montafon hat sich relativ geschlossen an einem Fleck eingefunden. Bei einem Kiosk etwas oberhalb des Zielgeländes gibt es Verpflegung. Wobei sich die meisten die Getränke selbst mitgebracht haben. Schwiegerpapa Andreas zum Beispiel hat sich eigens ein Bier in einer goldenen Dose besorgt: Eine ausländische Marke, die eigentlich nicht seine Marke ist, aber getreu dem Motto, dass manchmal auch der Aberglaube Berge versetzen kann, wird unter Izzis Anhängerschaft nichts dem Zufall überlassen. Schön langsam steigt die Spannung. Mama Caterina Hämmerle überprüft, ob die österreichische Flagge, die sie auf dem Absperrzaun angebracht hat, auch wirklich festsitzt, Luca Hämmerle beschreibt die Atmosphäre, die in den letzten Minuten vor einem WM-Rennen am Start herrscht: „Es wird immer stiller, weil du im Tunnel bist.“

Es geht los
Im Hintergrund ist jetzt die Stimme von Stadionsprecher Christian Speckle zu hören, seines Zeichen Projektleiter der WM 2027 im Montafon. Speckle erklärt den Rennablauf, also, dass jeweils die ersten beiden der Viererheats in die nächste Runde aufsteigen und dass der Bewerb bei den Herren mit dem Achtelfinale und danach bei den Damen mit den Viertelfinalläufen beginnt. Jetzt beginnt sich eine Länderspielatmosphäre zu entwickeln. Die deutschen Gäste schwingen eine viele Meter hohe Fahne, an der eine große und eine kleinere Flagge angebracht ist. Etwas weiter weg macht eine französische Fangemeinschaft Stimmung, rechts von den Hämmerles schwenken die Italiener eine Fahne. Jetzt nimmt Izzis Freundin Julia die Tröte in den Mund, Jubel brandet im Hämmerle-Fanlager auf. Nur Caterina Hämmerle ist still geworden.
Bis vor Kurzem hat Izzis Mutter mit dem für sie so typischen Lächeln im Gesicht immer wieder die Stimmung angeheizt, jetzt legt sie ihre Hand flach aufs Herz, schließt kurz die Augen und unterstreicht danach mit ihrer Mimik, dass ihr das Herz bis zum Hals schlägt.
11.59 Uhr. In einer Minute geht’s los. Es herrscht knisternde Anspannung unter den Hämmerle-Fans, Gino bringt seine Stimmung kurz und knapp auf den Punkt: „Ich bin so nervös.“ Vor 15 Minuten noch hätte diese Aussage ein lockeres Gespräch und ein herzliches Miteinanderlachen ausgelöst, doch jetzt, wenige Augenblicke vor dem Start des Rennens, sind alle aufgeregt, so ein bisschen haben nun alle einen Kloß im Hals. Dann geht’s endlich los. Im ersten Achtelfinal-Heat startet der Weltcup-Führende Eliot Grondin, ihm gelingt ein ungefährdeter Start-Ziel-Sieg. Das Rennen wird wie beim Weltcuprennen im Montafon auf einer großen Leinwand übertragen, die Boarder sind dann auf der Anfahrt zur Zielgeraden ein erstes Mal mit freiem Auge zu erahnen, ab der Zielkurve ist die Sicht bestens. Im zweiten Heat ist mit dem Wahl-Vorarlberger Julian Lüftner gleich ein ÖSV-Athlet dran. Sein Brett läuft gut, der Tiroler steigt als Laufzweiter ins Viertelfinale auf. Ihm jubelt die Montafoner Abordnung genauso frenetisch zu wie danach dem Wiener Lukas Pachner, der es ebenfalls ins Viertelfinale schafft. Österreicher ist Österreicher. Im Hämmerle-Lager freut man sich mit allen ÖSV-Boarder mit. Gino Hämmerle analysiert: „Wir haben die richtige Abstimmung für die Bretter gefunden. Am Material wird’s nicht scheitern.“
Derweil ist NEUE-Fotograf Klaus Hartinger mal wieder in Hochform. Er klettert über Zäune, hat seine Augen und die Kameralinse immer genau dort, wo etwas geschieht, und fragt zur Sicherheit noch mal nach, wann denn Izzi das erste Mal an der Reihe sei. „In Heat sieben“, antworten gleich mehrere im Chor, darunter auch Izzis Freundin Julia, der die Anspannung ins Gesicht geschrieben ist.

Souverän
12.18 Uhr. Heat sieben. Alessandro Hämmerle steht im Startgate. Als er auf der Leinwand groß im Bild ist, brandet ohrenbetäubender Jubel in dessen Fanlager auf. Dann öffnet sich die Startklappe, jetzt hat auch für Hämmerle das WM-Rennen begonnen. Untypischerweise erwischt der dreifache SBX-Weltcupgesamtsieger aus dem Montafon keinen so guten Start, hat nur die drittbeste Reaktionszeit, die Beste hat, man höre und staune WM-Rookie Elias Leitner.
Doch während der Bürser ans Laufende zurückrutscht, übernimmt Izzi schnell das Kommando, wird, je länger der Lauf dauert, immer stärker und gewinnt den Heat letztendlich souverän mit mehreren Brettlängen Vorsprung. Hämmerle ballt im Ziel die Faust, winkt dann seinen Fans und nickt dem NEUE-Team zu – man kennt und schätzt sich eben seit fast 15 Jahren.
Der souveräne Wettkampfauftakt des Olympiasiegers löst bei der Montafoner Fanabordnung die kurzzeitig aufgekommene Anspannung. Man ist sich einig, dass ihr Liebling, um es auf neudeutsch zu sagen, „on fire“, also in Top-Form ist. Als die Achtelfinalläufe abgeschlossen sind und der Damenbewerb ansteht, der ohne Österreichs Farben über die Bühne geht, entschließt sich ein Izzi-Fan dazu, sich beim Kiosk mit Leberkäsesemmeln einzudecken und lädt auch das NEUE-Team auf eine Jause ein. Den Namen des edlen Spenders haben wir uns leider nicht gemerkt, die Geste natürlich schon – Vergelt’s Gott!
Die Lockerheit im Fanlager ist nun jedenfalls wieder zurück, Izzis starke Leistung hat die Nervosität wie weggeblasen. Doch natürlich kehrt das Adrenalin zurück. Um exakt 12.48 Uhr, als Viertelfinal-Heat vier mit Hämmerle ansteht. Der 31-Jährige übernimmt wieder rasch die Führung, auf der langen Geraden vor der Zielkurve startet Dusek ein Überholmanöver, Hämmerle lässt dem Niederösterreicher genügend Platz, um vorbeizuziehen: Eine Szene, die auf Wiedervorlage kommen sollte.
Doch erst mal stockt Izzis Fans kurz der Atem: Denn Hämmerle rettet nur mit Ach und Krach den zweiten Platz ins Ziel, deutet mit einer Handgeste auch an, dass das knapper war, als ihm lieb war. Viel länger hätte der Schlusshang nicht mehr sein dürfen. Nach dem Zieleinlauf diskutieren Dusek und Hämmerle miteinander, nochmals besprochen wird unter anderem, dass man sich vor einem gegenseitigen Überholmanöver vorher zuruft. Dann winkt der Gaschurner wieder herauf zu seinen Fans, an Luftlinie trennen ihn und seine Lieben etwa 50 Meter.

Ans Eingemachte
12.55 Uhr. Caterina Hämmerle beschließt, ihren Mann anzurufen, erreicht ihn aber nicht. Es liegt wohl am Netz, der Anruf geht nicht raus. „Schade“, kommentiert Caterina den fehlgeschlagenen Anruf, „Hanno wird es vor Anspannung sicher fast zerreißen. Vor dem Fernseher ist es ja noch viel schlimmer“. 13.05 Uhr. Jetzt geht es ans Eingemachte. Gerade eben haben sich Eliot Grondin und Loan Bozzolo fürs Finale qualifiziert, jetzt steht Halbfinallauf zwei mit Hämmerle und Dusek an. Die Stimmung auf den Rängen ist nahe am Siedepunkt – und das freilich nicht nur im Hämmerle-Fanlager. Auch die US-Fans, die es nach St. Moritz geschafft haben, sind aus dem Häuschen, denn mit Jake Vedder und Nathan Pare stehen gleich zwei Amis im Halbfinallauf zwei. Doch es sind die beiden Österreicher, die das Halbfinale dominieren. Wieder liegt Hämmerle auf der Geraden vor der Zielkurve in Führung, wieder startet Dusek einen Angriff, wieder lässt der Montafoner seinem Kontrahenten genug Platz, um vorbeizukommen. Am Ende wird Hämmerle abermals unter Anführungszeichen „nur“ Laufzweiter, aber so ein bisschen wirkt es so, als hätte der Olympiasieger seine Karten noch immer nicht ganz aufgedeckt.
Hämmerle strahlt im Ziel enorme Zuversicht und Stärke aus, bevor er sich wieder auf zum Start macht, ruft er seiner Familie noch etwas zu, nach ein paar Worten lächelt er und alle, die Izzis Zurufe verstanden haben. Spontan stimmen Gino, Luca, ihre Freundinnen und noch ein paar Montafoner einen Izzi-Sprechgesang ein. Danach muss sich Julia einen Augenblick lang hinsetzen, diese Anspannung ist, mit Verlaub, fast nicht mehr zum Aushalten.

Das große Finale
Drei Heats stehen nun noch bis zum großen Finale an: Das kleine und das große Finale bei den Damen sowie das kleine Finale bei den Herren. Bei den Damen holt sich die Italienerin Michela Moioli den Titel, zu der die Hämmerles eine gute Beziehung pflegen, dementsprechend herzlich jubelt vor allem Mama Caterina.
Die Freude über Moiolis ersten WM-Titel überlagert kurzzeitig die nun mit Händen greifbare Anspannung im Izzi-Fanlager. Je näher das große Finale rückt, desto ruhiger wird es. Caterina deutet wieder mit der flachen Hand auf ihr Herz, die Frau, so viel ist klar, wird gerade von einem Gefühlssturm überwältigt.
Dann ist es soweit. Das große Finale steht an. Die vier Boarder stehen wie ungeduldige Rennpferde in ihrem Startgate. Jetzt wird Geschichte geschrieben. Als Hämmerle groß auf der Leinwand eingeblendet wird, bricht ein Jubelorkan unter seinen Anhängern und Liebsten aus. Hämmerle trägt das gelbe Trikot, hat aus seiner Perspektive den Startplatz ganz rechts. 13.28 Uhr. Die Startgates springen auf, die Medaillenjagd beginnt. Hämmerle erwischt die Startelemente nicht ideal, nimmt dann aber immer mehr Tempo auf, schiebt sich vor Kurve drei auf Platz zwei direkt hinter Dusek.
Dieses Mal also kann Hämmerle und nicht Dusek auf der langen Geraden vor der Zielkurve einen Angriff planen. Wie Dusek in den beiden Läufen davor setzt er auf der Innenlinie zum Überholmanöver an und ruft, wie er später erzählt, dem Niederösterreicher mehrfach zu. Hämmerle fährt keine Kampflinie, lässt Dusek genügend Platz.
Wenn die beiden jetzt ohne Malheur durch die Kurve kommen, ist Österreich Gold und Silber sicher, mit nahezu sicher besserem Ende für Hämmerle, denn der Montafoner hat deutlich mehr Tempo. Doch Dusek entscheidet sich, eine Kampflinie zu fahren, und macht, wie er anschließend erklärt, absichtlich die Türe zu, wie es im Sportjargon heißt. Sprich: Er lässt Hämmerle keinen Platz für das Überholmanöver.
So ein bisschen erinnert Duseks Manöver an das Verhalten der spanischen Konkurrenten von Lukas Mähr und Lara Vadlau beim olympischen Medalrace in der 470er-Klasse, als die zweitplatzierten Iberer vor dem Start der alles entscheidenden Regatta die Führenden Mähr/Vadlau in eine Disqualifikation, mindestens aber in eine schlechte Ausgangsposition hieven wollten, um so doch noch Gold gewinnen zu können. Der Plan misslang, die Spanier schadeten sich mit ihrer Strategie selbst und rutschten noch aus den Medaillenrängen. Mähr bezeichnete das Verhalten der Spanier später als fehlende Demut vor der Silbermedaille: Sie wollten alles, riskierten dafür ihre aussichtsreiche Medaille und bekamen nichts. Dusek jedenfalls lässt Hämmerle bei dessen Überholmanöver in der Zielkurve so wenig Platz, dass der Niederösterreicher sogar bergauf fahren muss, um die Kurve zu erwischen. Die zwei touchieren sich, verlieren an Tempo, werden an den oberen Streckenrand getrieben. Artistisch halten sich beide auf ihren Brettern, doch die Innenbahn ist frei für die eigentlich schon geschlagenen Grondin und Bozzolo, die, in dieser Reihenfolge, Gold und Silber abstauben.

Dramatisch
Hämmerle kommt vor Dusek wieder in die Idealposition und holt sich die verdiente Medaille. Dusek wird Vierter und wird danach im Ziel, man glaubt es kaum, vom Vorarlberger sogar getröstet. Izzis Stimmung gleicht einer fast grotesken Melange aus Enttäuschung und Freude, er hat ein Lächeln, auf den Lippen, doch sein Blick ist leer. Ähnlich ist es bei seinen Fans hinter der Absperrung, der Jubel fällt erst verhalten aus, bis sich die Sichtweise durchsetzt: WM-Bronze ist WM-Bronze, mit etwas Zeitversetzung brandet nun doch großer Jubel auf. Die Mama von Lucas Eguibar, der dieses Mal nur Zwölfter wird, kommt auf Izzis Mama zu, versteht, dass sie traurig über die verpasste Goldmedaille ist, umarmt sie und sagt: „Es ist Bronze! Er hat eine Medaille!“ Über Caterinas Gesicht huscht ein Lächeln und das bleibt auch so für den restlichen Nachmittag. Spätestens, als bei der inoffiziellen Siegerehrung Alessandro die Bronzemedaille umgehängt bekommt, haben alle mehr oder weniger Frieden geschlossen mit Platz drei, weil jetzt greifbar wird, was Hämmerle geschafft hat.
Izzi klopft sich auf die Brust, nach der kanadischen Hymne für Sieger Grondin feiern die Medaillengewinner ihre Großtat mit einer Sektdusche. Hämmerle nimmt einen Schluck aus der großen Flasche, winkt seinen Unterstützern zu. Dann trifft er auf die italienische Weltmeisterin Moioli, die ihn herzlich umarmt. Die beiden plaudern etwas, dann bahnt sich Hämmerle den Weg zu seinen Liebsten herauf auf die Naturtribüne. Dort angekommen, umarmt er seine Liebsten, bekommt ein Küsschen von seiner Julia und bedankt sich bei jedem Einzelnen seiner Anhänger per Handschlag dafür, dass sie nach St. Moritz gekommen sind. „Danke, dass du den Weg auf dich genommen hast, der Support hat mir sehr geholfen.“ Klasse hat man, oder man hat sie nicht. Hämmerle hat sie.
Nachdem er mit allen ein paar Worte wechseln konnte und alle Foto- und Autogrammwünsche erfüllt hat, unterbricht eine Offizielle den Austausch. Hämmerle muss zurück in den Innenraum und als er sich zurück nach unten aufmacht, deutet er mit einer Handbewegung uns vom NEUE-Team zu, dass wir ihn begleiten können. „Da kriegt ihr sicher noch gutes Material zusammen“, sagt er. Eigentlich dürften wir ihn gar nicht begleiten, denn wir haben keine Akkreditierung für den Innenraum. Doch im Schlepptau des Bronzemedaillengewinners und mit einem geschäftigen Gesichtsausdruck kommen wir an den Ordnern vorbei.

Bitte kein Fehler
Im Innenraum wird Hämmerle immer wieder von anderen Fahrern und ausländischen Trainern angesprochen. Der Tenor ist einhellig, Dusek hat sich nicht korrekt verhalten. Dann tippt die Offizielle, die Hämmerle vorhin oben abgeholt hat, von hinten auf die Schulter. „Du musst mir bitte dringend deine Medaille geben, wir müssen ja noch deinen Namen eingravieren.“ Hämmerle nimmt die Medaille wieder ab und sagt: „Alessandro Hämmerle. Alessandro mit einem ‚l‘ und zwei ‚s‘. Bitte nicht verwechseln.“ Die Offizielle nickt und erklärt dann, dass die Medaillen nun ins Tal gebracht werden, wo dann eben auf der Medaillenrückseite der Name und das Event eingraviert wird. „Wir sind schon etwas spät dran, um 19 Uhr ist ja bei der Olympiaschanze schon die offizielle Siegerehrung.“ Inzwischen ist es nämlich schon 14.10 Uhr – und der Weg ins Tal beansprucht ohne Wartezeit bei den Liften gut und gerne 30 Minuten, und graviert werden die Medaillen im Nachbarort.
Mittlerweile ist es fast 15 Uhr. Die meisten Fans machen sich nun zur Rückfahrt auf. Der Bus erreicht um 19.30 Uhr Schruns. In St. Moritz bleiben Gino und Luca, deren Freundinnen sowie einige enge Freunde, um mit Izzi den Bronzemedaillengewinn zu feiern. Auch einige vom spanischen SBX-Team feiern mit. Die Stimmung von Hämmerle bleibt ambivalent. Der verpasste Weltmeistertitel ärgert, der Rennverlauf beschäftigt ihn. Und doch: Natürlich feiert er den Medaillengewinn standesgemäß, mit dem er seinen Medaillensatz komplettiert hat: Nach Gold bei Olympia 2022 und Silber bei der WM 2021 hat er nun auch Bronze in seiner Wohnung in Bludenz hängen.
Doch als das letzte Prosit ausgesprochen, der letzte Schluck getrunken ist und im Hotelzimmer das Licht ausgeht, kehren die Gedanken über den verlorenen Weltmeistertitel zurück. Hämmerle grübelt die halbe Nacht, fragt sich, was er hätte anders machen können – und schläft irgendwann ein. Am Samstagmorgen wacht er mit einem guten Gefühl auf. Er sieht seine Bronzemedaille, ist zufrieden und sagt sich: Dann muss eben in zwei Jahren das Märchen vom Weltmeistertitel im Montafon wahrwerden. 2027, am Grasjoch, auf seinem Hausberg, werden ihn noch mehr Fans anfeuern – und dann vielleicht wirklich Gold bejubeln können. Wer, wenn nicht Alessandro Hämmerle, kann das schaffen. Denn der Mann ist aus einem Stoff, aus dem Legenden sind.