2001 – der Höhepunkt vieler Glanzlichter

SERIE. Das Mehrkampfmeeting in Götzis feiert seinen 50. Geburtstag: Die NEUE feiert mit dem weltbesten Event für Zehnkämpfer und Siebenkämpferinnen mit und will mit einer mehrteiligen Serie denjenigen ein wenig gerecht werden, die mit dazu beigetragen haben, dass es die Marktgemeinde zu Weltruhm gebracht hat. Der zweite Teil widmet sich vor allem dem Fabelweltrekord.
Wie sagte bereits der schwedische König Gustav V. zu Zehnkampf-Olympiasieger Jim Thorpe an den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm? „Mein Herr, Sie sind der größte Athlet der Welt“. Rekorde, nationale wie internationale, und persönliche Bestleistungen werden beim Mehrkampfmeeting in Götzis alljährlich zuhauf aufgestellt. Drei Rekorde stechen dabei heraus: die beiden Weltrekorde des Briten Daley Thompson 1980 und 1982 sowie der Fabelweltrekord – vor allem, weil erstmals über der 9000-Punkte-Schallmauer – des Tschechen Roman Sebrle 2001. Letztgenannter ist auch für den langjährigen Meetingdirektor und Mitgründer Konrad Lerch das alles überstrahlende Highlight aus 50 Jahren Götzis.
Tag eins.
Nach dem ersten Tag der 27. Auflage, es war der 26. Mai 2001, lag der tschechische Zehnkämpfer mit sagenhaften 4675 Punkten in Führung. Der damalige Noch-Weltrekordhalter sowie Sebrles Landsmann und Trainingspartner Tomas Dvorak kam bei seiner Höchstleistung 1999 in Prag auf 8994 Punkte – und vergab die 9000 bei seinem kurzen Abstoppen kurz vor der Ziellinie des abschließenden 1500-Meter-Laufs. Weil ihm der Weltrekord genug Lohn seiner zweitägigen Schinderei gewesen war. Am 24. April, also gut einen Monat vor Sebrles phänomenalem Wettkampf, sprach der damalige Meetingdirektor Lerch von einer denkwürdigen Veranstaltung, meinte damit aber noch die 26. Auflage. Denn noch nie zuvor hatten sechs Athleten bei einem Event mehr als 8500 Zähler erreicht, wie im Jahr 2000 geschehen. Konrad Lerch mutmaßte, dass das 27. Meeting das 26. gar übertreffen sollte, und ließ vorsichtshalber den Weltrekord versichern. „Sebrle ist heiß wie nie, er steht bisher komplett im Schatten seines Landsmanns. Die Zeitungen in Prag sind voll von Dvorak.“
Für Lerch war auch Sebrles und Dvoraks Trainer Zdenek Vana (auch Dvoraks Stiefvater) ein Garant des Erfolgs, „ein sehr besonnener Mann. Ich kann mir das so vorstellen, dass er dem einen sagt, du musst aufholen, und dem anderen, verteidige deine Position“. Nach dem ersten Tag hatte Sebrle dank den 10.64 über 100 Meter, 8,11 im Weitsprung, 15,33 mit der Kugel, 2,12 im Hochspung und 47.79 über die Stadionrunde 4675 Punkte gesammelt, seine Bestleistung lag bis dorthin bei 4536 Zählern. An seinem besten zweiten Tag waren es bis zu jenem Mai im Jahr 2001 lediglich 4181 Punkte, Sebrle musste also auch in den zweiten fünf Disziplinen was draufpacken. Es folgten 13.92 über die Hürden, 47,92 mit dem Diskus, 4,80 im Stabhoch und 70,16 mit dem Speer. Die Zeit, die Sebrle über die 1500 Meter laufen musste, wurde auf die Hundertstel errechnet: 4.25:93.
Um sechs Punkte verrechnet.
Als der Tscheche über die Ziellinie rannte, blieb die Uhr bei 4.21:98 stehen, und Athlet wie Zuschauer wussten: die 9000 waren gefallen. Der damalige 26-jährige Sportsoldat Sebrle verbrachte viel Zeit mit der Dopingprobe, während diesen beiden Stunden meinte Tomas Dvorak im NEUE-Gespräch, dass er mit dem Rekord gerechnet habe. Und zog einen Zettel aus seiner Trainingshose heraus, auf dem er die Leistungen, die er seinem Trainingskamerad zugetraut hatte, notiert hatte. Und Dvorak, mittlerweile Gärtner in seiner Heimat, kam auf 9032 Zähler, verrechnete sich also lediglich um sechs Punkte.
Für Sebrle gab es 30.000 Euro für den Weltrekord, 12.000 Euro für den ersten seiner fünf Götzis-Siege sowie 1500 Euro für die 8,11 Meter im Weitsprung (Stadionrekord). „Diese Leistung wird für mich bis in den Tod hinein das Wertvollste sein“, so Sebrle. Und der Tscheche wurde nach seinem Glanzstück noch Olympiasieger, Welt- und Europameister. „Es ist schwer, ein Ranking aufzustellen, aber der emotionalste Moment in all diesen Jahren war der Weltrekord von Roman. Die Leute haben sich auf der Tribüne umarmt, alle sind am Wasser gestanden“, blickt Konrad Lerch zurück. Und freut sich immer noch, den Weltrekord für den Betrag von 3450 Euro versichert zu haben – bei der Himmelseher Sportversicherung (HISV) Köln, die das „Unheil“ wohl nicht kommen sah. Von einer besonderen Erinnerung an eine andere Bestmarke kann Wilfried Ellensohn (Sponsorenbetreuung, im Nachschlagewerk „Zeitsprünge“) berichten.

Im Ausschankraum des FC.
„Der Weltrekord von Daley Thompson gehört zu meinen lebendigsten Meeting-Erinnerungen. Und das nicht nur aus sportlicher Sicht. Ich war damals noch für die Zeitnehmung zuständig, die seinerzeit noch mit Filmen der Firma Omega belegt wurde. Diese wurden standardmäßig in einer Blechdose gesammelt und im Wettkampfbüro aufbewahrt. Einige Tage nach dem Meeting wollte die IAAF den Weltrekord von Daley Thompson, den Originalfilm des Siegerlaufs, anerkennen. Einziges Problem: Die Dose mit den Filmen war plötzlich unauffindbar. Keine Spur davon im Berechnungsraum, keine Spur im Meetingbüro. Auch die Befragung aller Mitarbeiter brachte keinen wirklichen Hinweis – bis Renate Öhys Vater uns den Tipp gab, wir sollten zur Sicherheit auch noch im Ausschankraum des FC Götzis nachsehen. Und siehe da, die Dose stand tatsächlich im Regal. Somit war der Weltrekord wieder beweisbar – und auch der Stein, der uns vom Herzen fiel, hatte Rekordmaße!“
1982 schlug Daley Thompson erneut zu. Mit 8707 Punkten holt er sich in Götzis den Weltrekord wieder, Guido Kratschmer hatte im Juni 1980 in Bernhausen mit 8649 Zählern die Thompson-Bestmarke vom Mai 1980 (8622 Punkte) ausgelöscht.
Fabelhafte 4632 Punkte stehen nach dem ersten Tag auf der Ergebnisliste, so viele hat vor ihm während der ersten fünf Disziplinen noch kein Zehnkämpfer geschafft.
Auf dem Weg zum neuen Rekord stellt der Olympiasieger trotz Regen und Wind zahlreiche persönliche Einzelbestleistungen auf und schreibt sich als erster Athlet zum zweiten Mal in die Weltrekordliste ein. „Ich hatte Daley schon bei Olympia in Montreal, wo er 18. wurde, im Blickfeld, lud ihn 1977 nach Götzis ein. Mit 7921 Punkten stellte er vor allem dank seiner überragenden Schnelligkeit einen neuen Juniorenweltrekord auf und belegte hinter unserem Sepp Zeilbauer und dem US-Amerikaner Fred Dixon den dritten Platz“, so Lerch, der damit schon früh seine Absicht erkennen ließ, in Götzis vielversprechenden Talenten (die er als solche einschätzte) eine Bühne zu bieten. „Daley habe ich als lockeren, lässigen Typen kennengelernt, aber immer hochkonzentriert, wenn es darauf ankam. Gegenüber seinem ewigen Widersacher zeigte er sich immer nervenstark, was ihm auch die Siege einbrachte, obwohl Hingsen auch drei Weltrekorde holte und damit nur einen weniger als Thompson“, blickt Lerch, einst auch Betreuer von Kugelstoß-Hallen-Europameister Klaus Bodenmüller, zurück. Und ergänzt: „Daley war nicht nur als Sportler, sondern auch als Mensch eine besondere Persönlichkeit. Er hat die ersten Stufen für das Meeting gezündet und es in ungeahnte Höhen geschossen.“
Die zweite Stufe erfolgte schon am 23. Mai 1982 mit dem zweiten Weltrekord (8704), so erinnert sich das ÖLV-Ehrenmitglied und Träger des Großen Verdienstzeichens des Landes Vorarlberg, dass das US-Magazin Sports Illustrated 3000 Dias mit einer eigens gecharterten Maschine in die Staaten brachte und der Bregenzer diese am frühen Morgen mit den Journalisten am Telefon durchgehen musste.
Daley Thompson hatte das Glück, dass er auf dem Höhepunkt seiner Karriere war, als sich in der Leichtathletik auch offiziell die Professionalisierung durchsetzte. Er durfte für Werbung bezahlt werden und lebt auch heute von der Marke Daley Thompson. Er steht bei Sportveranstaltungen als Interviewpartner und Moderator zur Verfügung, hält Fitnesskurse und veranstaltet Motivationsseminare. Als Fitnesstrainer war er unter anderem auch bei den Fußballklubs FC Wimbledon und Luton Town tätig.
Abstimmung.
1999 bat die Fachzeitschrift „Leichtathletik“ fünf Experten um eine Liste der Leichtathleten des Jahrhunderts je Disziplin. Im Zehnkampf entschieden sich alle für Daley Thompson. 2002 führte die Statistikervereinigung Association of Track and Field Statisticians eine Umfrage nach dem besten Zehnkämpfer aller Zeiten durch. Thompson gewann die Abstimmung mit 94 Prozent der abgegebenen Stimmen und wurde 2003 in die Hall of Fame aufgenommen.
Jochen Dedeleit