Skandal-Urteil gekippt – die Hintergründe

Die Sperre des Harders Ivan Horvat (32) wurde von 27 Monaten auf 6 Monate unbedingt reduziert. Horvat ist damit statt am 1. Juli 2027 am 1. November 2025 wieder spielberechtigt. Eine Aufarbeitung.
Es war absehbar, dass die Langzeitsperre von Ivan Horvat bis zum 30.6.2027 einer Berufung des Alpla HC Hard nicht standhalten würde. Jetzt hat das ÖHB-Berufungsgericht die Sperre auf zwölf Monate und sechs Tage reduziert, wobei sechs Monate bedingt auf zwei Jahre ausgesprochen wurden. Somit ist der Kroate am 1. November wieder spielberechtigt.
Dass Horvat am 30. April im zweiten Viertelfinal-Spiel gegen Bregenz ein klares Foul an Markus Mahr begangen hatte, ist völlig unstrittig. Eine über zweijährige Sperre wäre jedoch einem Berufsverbot gleichgekommen. Während anderswo in Vorarlberg nach der verhängten Sperre gegen den Kroaten von einem Urteil im mittleren Strafrahmen die Rede war und es als „klar, streng, nachvollziehbar“ tituliert wurde, ordnete die NEUE die Sperre als Skandal-Urteil ein. Wenig später drückte der renommierte Wiener Rechtsanwalt Nikolaus Rosenauer im „Standard“ seine Verwunderung über das Strafmaß aus: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das hält“, kommentierte der Jurist das Urteil. Die Bregenzer äußerten sich auch öffentlich sehr klar zum Foul. So sagte Trainer Marko Tanaskovic: „Es war geplant, dass meine Spieler verletzt vom Spielfeld kommen.“ Einen Absichtscharakter würden die Bilder vom Foul nicht belegen, befand hingegen Rosenauer: „Eine von langer Hand geplante Tat ist das nicht.“ Die Sperre bis zum 30.6.2027 sei „unverhältnismäßig“. Und weiter: „Alles, was über ein halbes Jahr hinausgeht, unterliegt einer kritischen Beurteilung. Wenn der Handballbund halbwegs bei Sinnen ist, korrigieren die das.“ Der Wiener Rechtsanwalt behielt Recht, die Sperre wurde auf ein halbwegs vernünftiges Maß reduziert.

Viele Fragen
Trotzdem bleiben viele Fragen zur ursprünglichen Urteilsfindung. Der Dreier-Senat des unabhängigen Handballgerichts des ÖHB offenbarte bei der Urteilsbekanntgabe, dass man bei der ersten Urteilsfindung auch die Schwere der Verletzung mitberücksichtigte: Mahr erlitt nach dem Horvat-Schlag ins Gesicht bekanntlich einen offenen Nasenbeinbruch, was zwar tragisch und für den Wiener sehr schmerzhaft war und ist, aber bei der Urteilsfindung keine Rolle zu spielen hat. Ansonsten hätte die Horvat-Sperre zum Präzedenzfall im Handball werden können – mit ungeahnten Auswirkungen.
Zum Vergleich: Wenige Tage später ereignete sich in der deutschen Handballbundesliga ein mindestens vergleichbarer Fall. Just ein österreichischer Nationalspieler schlug seinem Gegenspieler ebenfalls ins Gesicht: mit einer deutlich größeren Ausholbewegung, bei einer deutlichen größeren Distanz und einer deutlich offeneren Spielszene als das bei Horvat der Fall war. Der ÖHB-Spieler feierte seine Aktion sogar – und wurde noch nicht mal ein Spiel gesperrt. Sein Gegenspieler hatte sich bei der Aktion zwar nicht verletzt, aber wohl nur, weil er die Millimeter auf seiner Seite hatte. Auch Mahr hätte mit dem Schrecken davonkommen können, wenn ihn Horvats Schlag ein paar Zentimeter weiter oben oder unten getroffen hätte.
Bregenzer Statement
Bei der Urteilsbekanntgabe schrieb der ÖHB, man habe sich „umfassend mit dem Vorfall beschäftigt und zahlreiche Informationen bewertet, wie den Schiedsrichter-Bericht, die Fernsehbilder, einen Bericht über die medizinisch notwendigen Maßnahmen und die Operation sowie Stellungnahmen des Beschuldigten Ivan Horvat, seines Vereins Alpla HC Hard und des Vereins Bregenz Handball.“
Mahr wurde nicht befragt, maßgeblich bei der Urteilsfindung dürften dagegen auch die Einschätzungen von Bregenz-Geschäftsführer Björn Tyrner gewesen sein. Drei Tage nach der betreffenden Szene beschrieb Tyrner am 3. Mai in seiner Stellungnahme an den ÖHB, dass die Reichweite der Aktion noch gar nicht abschätzbar sei, und befand in seinem Schreiben an ÖHB-Generalsekretär Bernd Rabenseifner: „Geschockte Kinder! Meine eigenen Kinder sind talentierte Handballer in der U12 und U14. Mit Noah bist du aktuell beim LAZ Camp. Beide standen ab der Aktion unter Schock, haben das restliche Spiel geweint, weil sie nicht wussten, wie es Markus geht, haben gefragt, ob er ein Auge verloren hat, oder ein Loch im Kopf. Sie fragen, ob ihnen das auch passieren kann, wenn sie weiter Handballspielen.“ Außerdem befand Tyrner: „Selbst, wenn Markus nicht so schwer verletzt worden wäre – Horvat hätte Blau bekommen (müssen)! Markus hätte dann vielleicht weiterspielen können. Bregenz Handball hätte dieses Spiel gewonnen.“ Eine sehr absolute Aussage. Das Foul passierte in der 42. Minute beim Stand von 20:20. In den vier Saisonderbys davor verloren die Bregenzer jeweils mit Mahr auf der Platte. Tyrner schrieb in seiner Stellungnahme an den ÖHB weiters: „Auch ohne Markus, aber ohne den Schock durch diese Aktion, hätten wir eine deutlich bessere Chance gehabt, das Spiel zu gewinnen. Wir wurden in eine Situation gebracht, die eindeutig den fairen Wettbewerb verzerrt. Die Folgen für uns als Verein sind katastrophal!“
Der Bregenz-Geschäftsführer fragte: „Darf es in Handball-Österreich sein, einen Boxer zu engagieren (der muss nicht einmal Handballspielen können), den besten Spieler des Gegners derart schwer zu verletzen, um dann Spiele oder Meisterschaften zu gewinnen?“ Tyrner hatte dem ÖHB-Generalsekretär in der Mail vier Videos geschickt, die Fouls von Horvat an Gegenspielern dokumentieren sollten: „1. Foul am 30.4. an Markus Mahr – die Folgen sind bekannt. 2. Foul am 26.4. an Markus Mahr, wo es keine angemessene Bestrafung gab. 3. Foul Lukas Frühstück, der das Bewusstsein verlor und ebenfalls in KH eingeliefert werden musste. 4. Foul an Robert Weber, wo weit und breit kein Ball im Spiel ist.“ Tyrner schlussfolgerte: „Es darf unter Berücksichtigung dieser vier Videos keine zwei Meinungen geben, und wir vertrauen auf den Senat, dass es die härtest mögliche Bestrafung für Ivan Horvat geben wird.“ Die härtest mögliche Strafe wäre eine Sperre von vier Jahren gewesen.

Horvat-Aussage
Lohnend ist bei den Einschätzungen des Bregenzer Geschäftsführers ein Blick auf die von ihm angeführte Szene zwischen Horvat und Frühstück, die sich am 27. September 2020 ereignete. In der offiziellen Presseaussendung der Bregenzer zur Mahr-Verletzung am 2. Mai bezogen sich die Bregenzer auch auf jene Szene im Jahr 2020 und kommentierten: „Und vergessen können wir auch nicht das Derby, in dem ebenfalls Horvat unseren damals zentralen Spieler Lukas Frühstück auf ähnliche Art und Weise bewusstlos schlug und ins Krankenhaus schickte.“ Der Hinweis, dass es mit Frühstück ebenfalls einen zentralen Spieler getroffen habe, kann durchaus als Unterstellung interpretiert werden. Laut NEUE-Archiv passierte im September 2020 das Foul in der 29. Minute und damit kurz vor der Pause, Horvat sah Rot, Frühstück kehrte nach dem Seitenwechsel nicht mehr aufs Spielfeld zurück, saß aber auf der Bank. Im Spielbericht von Bregenz Handball zur 25:32-Heimniederlage gegen Hard hieß es zu der Szene mit Frühstück: „Der Bregenzer Kapitän musste benommen das Spielfeld verlassen und konnte nicht mehr weiterspielen.“ Fünf Tage nach dem Derby spielte Frühstück gegen die Fivers und erzielte am 2. Oktober 2020 drei Tore.
Was den Kreis zum ÖHB schließt. Horvat hatte bei seiner Stellungnahme zu seinem Foul erklärt: „Es war ein Foul meinerseits, bei dem Markus Mahr unglücklicherweise im Gesicht getroffen wurde. Ich bedaure diesen Moment zutiefst – insbesondere die daraus resultierende Verletzung. Gleichzeitig ist es mir wichtig zu unterstreichen, dass mein Verhalten zu keinem Zeitpunkt rücksichtslos oder gar vorsätzlich war. Das Spiel war intensiv, emotional und körperlich fordernd – knapp drei Viertel der Spielzeit waren zu diesem Zeitpunkt bereits absolviert. Ich war in dieser Phase des Spiels nicht mehr im Vollbesitz meiner Kräfte, was auch auf den Videobildern zu erkennen ist. Kurz vor dem betreffenden Zweikampf musste ich mich auf meinen Oberschenkel stützen, um durchzuatmen – unmittelbar danach setzte Bregenz den Angriff fort. In der Eins-gegen-eins-Situation mit Markus Mahr wollte ich ein normales Stop-Foul setzen, wie es dutzendfach im Spiel vorkommt. Mein Ziel war es, ihn vor dem Körper an seinem Wurfarm zu stoppen – doch als Markus in genau diesem Moment einen Haken nach rechts setzte (also zu meiner linken Seite), traf ich ihn versehentlich mit voller Wucht im Gesicht. Dieser unglückliche Ablauf tut mir aufrichtig leid.“

Abgeschwächt
In der erstinstanzlichen Begründung erklärte der ÖHB: „Der Aussage des Beschuldigten Ivan Horvat konnte im Hinblick auf die TV-Bilder kein Glauben geschenkt werden, da die Bewegung des linken Arms bzw. der linken Hand in keinen nachvollziehbaren Zusammenhang mit einer handballspezifischen Verteidigungsaktion gebracht werden kann.“ Das ÖHB-Berufungsgericht hat nun diese Schlussfolgerungen abgeschwächt respektive aufgehoben. Aktuell gilt Horvats Sperre nur in Österreich, ob sie auf ganz Europa ausgeweitet wird, entscheidet sich demnächst.
Auf Hard hat das keinen Einfluss mehr. Horvats Abschied im Sommer stand längst fest. Vor Beginn der Play-offs hatte er bei Bärnbach/Köflach zugesagt – nachdem, und das ist mehr als nur erwähnenswert, die Bregenzer nach NEUE-Informationen noch drei Wochen vor dem Foul mit Horvat verhandelten und ihn unbedingt verpflichten wollten. Zu diesem Zeitpunkt galt Horvat bei Bregenz also offensichtlich noch nicht als Boxer. Am Ende bleibt, dass alle Beteiligten verloren haben. Nicht zuletzt auch diejenigen, die unmittelbar und mittelbar mit der ursprünglichen Urteilsfindung in Zusammenhang stehen.