Ein Teufelskreis, auch Erfahrung genannt

So viel Interesse wie der Auftritt des deutschen Mentaltrainers Clemens Maria Mohr hat noch kein vom VLV veranstalteter Vortrag hervorgerufen. Der 65-Jährige appellierte, morgens nicht griesgrämig aus dem Haus zu gehen und sich nicht die ganze Zeit einzureden, dass das Wetter eh zu schlecht wäre für ein gutes Training.
Verschränken Sie einmal die Arme. Und? Kein Problem, oder? Und nun legen Sie den einen Arm, der normalerweise oben liegt, darunter. Allein schon diese Szene sorgte für große Erheiterung, weil eben Verwirrung, aber auch Erstaunen beim Vortrag des Diplom-Sportwissenschaftlers und Mentaltrainers Clemens Maria Mohr, den der Vorarlberger Leichtathletikverband im Sportgymnasium Dornbirn veranstaltete. „Normal könnten wir uns so einen Mann nicht leisten, aber er ist uns entgegengekommen“, meinte Bernd Marent, Urgestein des Referats Lehrwesen, gegenüber der NEUE.
Er und Landestrainer Sven Benning konnten ihren Augen nicht trauen, als sie die Anmeldeliste sahen. Denn der bisherige Teilnehmerrekord bei einem VLV-Vortrag lag bei 62, Clemens Maria Mohr wollten 122, darunter einige Nationalkaderathleten wie Chiara-Belinda Schuler, sehen – und hören. Der 65-jährige Deutsche aus Ofterschwang verdient laut eigener Aussage seit 36 Jahren sein Geld damit, etwa das Eiskunstlaufpaar Aljona Savchenko und Bruno Massot zum Olympiasieg und WM-Titel 2018 für Deutschland geführt zu haben oder Radrennfahrerin Lisa Brennauer aus Kempten zu mehreren WM-Titeln oder auch Skirennläufer Andreas Sander zu WM-Silber in der Abfahrt.

Der Kopf ist verantwortlich
„Clemens war schon des Öfteren auch im österreichischen Fernsehen, er hat sich hierzulande einen Namen gemacht. Das war sicherlich für diese Anmeldeflut verantwortlich“, meinte Sven Benning, der als Trainer die weiter unten erwähnten Prozentzahlen etwas anders verteilen würde als Mohr, „aber in der Tendenz sind sie zweifelsohne richtig. Wir haben im Verband ja auch einen Sportpsychologen“. Für den Erfolg sei zu 70 Prozent der Kopf verantwortlich, zu 28 Prozent der Körper und zu zwei Prozent die Technik, so der Protagonist des Abends, der gleich zu Beginn das Mikro weglegte, „weil ich meine Hände brauche“. Und er stellte gleich klar: „Jeder braucht einen Mentaltrainer, auch die, die gegenüber anderen behaupten, so einen kannst in die Tonne treten.“
Sogenannte Trainingsweltmeister gebe es nur aus dem Grund, weil diese auf mentale Hilfe verzichteten. Häufige Wiederholungen und viel Gefühl seien ausschlaggebend für das, was schließlich herauskomme. „Sich einzureden, auf der Außenbahn bin ich immer schlecht, oder bei dem miesen Wetter klappt gar nichts, ist kontraproduktiv. Wenn wir uns diese Dinge einreden, ist das Scheitern vorprogrammiert.“
Experten schätzen, dass im Sport eben 70 Prozent im Kopf entschieden wird. Freilich müsse ein Athlet auch ,normal’ trainieren, aber wenn es drauf ankomme, spiele der Kopf eine entscheidende Rolle. Wer kenne nicht die, die im Training alles können, aber im Wettkampf allzu oft versagen. Der Grund: Stress und der Leistungsdruck würden ein Ausschöpfen der Potenziale unmöglich machen. Beides sind aber mentale Faktoren, die bei entsprechendem Training auch in diesem Bereich den Erfolg möglich machen.
Clemens Maria Mohr verdeutlichte seine Beispiele etwa mit Zentimeter-Angaben. „Der Unterschied sind 40 Zentimeter. So viel beträgt der Unterschied, wenn ich sitze oder den Arsch hochbekomme, um etwas anzupacken. Ich habe einmal ein Gespräch mit jemanden von der Sterbebegleitung geführt, massenhaft Leute würden ihm noch sagen: Hätten sie das und das nur noch gemacht!“ Die Wahrnehmung spiele ebenfalls eine große Rolle. „Als meine Frau oder dann meine Tochter schwanger waren, waren gefühlt alle schwanger. Nur noch schwangere Frauen fielen auf der Straße auf. Oder wenn ich immer wieder sage: Die Welt ist so schlecht – diesen Teufelskreis nennt man Erfahrung.“

Der Fokus
Die Gesellschaft sei darauf programmiert, nur das Schlechte zu sehen. Der Deutsche, der am Olympiastützpunkt Oberstdorf ein und aus geht, malt auf eine große weiße Fläche einen schwarzen Punkt, „der bei längerem Betrachten immer größer wird“, und fragt in die Menge: „Was seht ihr?“ Nur zwei antworten: „Eine große weiße Fläche.“ Wie es in den Köpfen aller rattert, ist genau zu beobachten, als Mohr ein Beispiel aus der Formel 1 wählt. „Die Fahrer schauen genau dorthin, wohin sie wollen. Richten sie ihre Aufmerksamkeit auf ein Problem, etwa ein Fahrzeugteil auf der Strecke, wohin kommen sie? Und das ist auch das Problem bei vielen Sportlern: Sie schauen auf ihre Schwäche, sagen, ja, darin bin ich nicht so gut. Wenn sie etwas anderes wahrnehmen wollen, dann müssen sie sich eben darauf fokussieren.“ Um etwas zu erlernen, sei ein Spiel sehr viel besser (70 Prozent) als nur etwas zu hören (zehn Prozent). Darum wurden die Besucher des Vortrags dazu animiert, zehn Körperteile zu nennen und auch anzufassen, und diesen danach zehn Dinge, die auf der alltäglichen Einkaufsliste aufscheinen, zuzuordnen. Mohr rief immer wieder eine Zahl von eins bis zehn auf, und die meisten konnten, wie im Spiel erlernt, die Pilze der Taille zuordnen. „Und warum? Die Sprache unserer Psyche sind Bilder.“
Das Vorstellungsvermögen
in interessanter Test aus der NBA habe gezeigt, was für eine große Rolle der mentale Aspekt spielt. Eine Gruppe übt eine halbe Stunde Würfe am Korb, die zweite stellt sich diese Würfe nur vor, und die dritte übt die Hälfte der Zeit am Korb und die andere Hälfte mental – „und wer schneidet im Test danach am besten ab? Die zweite Gruppe“, verrät der 65-Jährige, und sein Grinsen ist nicht zu übersehen. „Das Vorstellungsvermögen hilft uns immens. Sich vorzustellen, mal international zu starten oder gar eine Medaille zu holen.“
Eine positive Grundeinstellung sei da unabdingbar, wie dann auch der allseits beliebte Test am lebenden Objekt zeigt. Mohr führt es bei einer Versuchsperson vor, und in Partnerübungen stellt sich auch heraus, dass das Positive „überwiegt“. Wird an etwas Positives gedacht, lässt sich der Arm des Gegenübers längst nicht so gut herunterdrücken wie wenn eine negative Stimmung vorherrscht. Drum sei es auch von Vorteil, morgens nicht griesgrämig aus dem Haus zu gehen oder ins Training, oder so wieder nach Hause zu kommen. Der Deutsche schließt den Vortrag mit dem Beispiel der „autonomen Reserve“: Eine Frau schafft es oft nicht, die Kiste Sprudel aus dem tieferliegenden Kofferraum zu heben. Sie würde aber das ganze Auto hochheben, wenn ein Kind darunter liegen würde.

Nicht nur im Sport
Es war eine unterhaltsame, zumeist humorvolle Art, wie Clemens Maria Mohr den zweistündigen Vortrag führte. Er erinnerte in seiner Vortragsweise des Öfteren an den Schauspieler und Satiriker Heinz Strunk, wenn dieser seinen Standpunkt zum Besten gibt. Hauptsächlich arbeite Mohr, der in Einzelcoachings einen Mehrwert sieht (wie etwa auch einige Besucher des Vortrags), im Business-Bereich, „denn was im Sport funktioniert, funktioniert überall. Meine Kunden reichen von kleinen und mittelständischen bis hin zu global agierenden Weltunternehmen. Dabei lege ich besonderen Wert auf zwei Dinge: Man braucht ein Verständnis für die psychologischen Hintergründe unseres Verhaltens und unserer Entscheidungen, um sie effektiv in die gewünschte Richtung lenken zu können. Man muss aber auch ,tiefer graben’. Unser Verhalten wird in weiten Teilen von unserem Unterbewusstsein gesteuert. Und wenn dort Blockaden, Ängste, Defizite oder negative Glaubenssätze sind, dann wirkt sich das eben auf unser Verhalten aus.“
Auf die Frage des Verfassers dieser Zeilen, ob er eine Garantie abgebe, wenn jemand sein Buch „Nie mehr ärgern“ kaufe, muss Clemens Maria Mohr, der schon zahlreiche Bücher und Online-Programme auf den Markt gebracht hat, doch lachen. Die gebe es leider nicht. Es ist eben nicht so wie beim Auto- oder TV-Kauf.

Von Jochen Dedeleit