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Werdenigg: „SCR Altach trägt die Verantwortung“

29.11.2025 • 23:15 Uhr
Werdenigg: „SCR Altach trägt die Verantwortung“
In einer Mannschaft herrscht ein vertrauensvoller Umgang. Diese Vertrauensbasis ist jetzt gegenüber dem Verein zerstört. Alexandra Serra

Im Skandal um die versteckten Kameras in der Kabine der Altacher Frauen-Bundesligamannschaft und den Wohnungen der Spielerinnen hat sich die Gemengelage völlig verändert. Eine Spielerin hat in einem anonym geführten Interview offenbart, dass sie und ihre Mannschaftskolleginnen sich als Opfer der heimlichen Videoaufnahmen von ihrem Verein SCR Altach und den Behörden allein gelassen fühlen. Ein Überblick der neuesten Entwicklungen und ein ausführliches Interview mit der Expertin für das Aufarbeiten von Missbrauchsfällen, Nicola Werdenigg.

Am Donnerstag hat eine Spielerin des SCR Altach in einem anonymen VN-Interview mit einem Hilfeschrei, man kann es nicht anders ausdrücken, auf ihre Gefühlslage und die ihrer Mannschaftskolleginnen aufmerksam gemacht: Seit 28. Oktober ist öffentlich bekannt, dass ein ehemaliger Vereinsangestellter des SCR Altach in der Kabine der Altacher Bundesliga-Frauenmannschaft eine Kamera versteckt hat und die Spielerinnen heimlich filmte. Wenig später wurde öffentlich, dass der Beschuldigte, es gilt die Unschuldsvermutung, auch Kameras in den Spielerwohnungen versteckt haben soll. Das war ihm mutmaßlich möglich, weil der SCR Altach die Wohnungen an die Spielerinnen vermietet hat und er Zugang zu den Zweitschlüsseln hatte.

Angst vor Vertuschung

Die Vorwürfe, die nun die Spielerin in ihrem anonymen Interview erhoben haben, werfen kein gutes Licht auf den SCR Altach und die ermittelnden Behörden: Die Betroffene offenbarte, dass die Spielerinnen erst durch die Medienberichte von den Ermittlungen erfahren haben; und damit fast drei Wochen nachdem Polizeibeamte eine Durchsuchung auf dem Altacher Vereinsgelände durchgeführt haben. Laut der anonymen Spielerin sei die Polizei bei diesen Durchsuchungen nicht fündig geworden: „Natürlich hat die Polizei bei den Durchsuchungen in der Kabine nichts gefunden, er hatte ja genug Zeit, um die Kameras verschwinden zu lassen.“ Und weiter: „Der Verdächtige, der Anfang Oktober seinen Rücktritt bekannt gab, ist danach die ganze Zeit noch beim Team gewesen ist. Er war bei allen Besprechungen und sogar den Auswärtsfahrten mit dabei.“

Einen Tag nach der Polizeiaktion im Schnabelholz hätte der Verein zusammen mit LKA-Beamten einen Informationsabend durchgeführt. Seither hätten die Spielerinnen weder von den Behörden noch vom SCR Altach Informationen zu den Entwicklungen bekommen. Es hätte auch kaum Unterstützung seitens des Vereins gegeben. Den Gang an die Öffentlichkeit habe sie gewählt, „weil wir alle Angst haben, dass diesem Fall zu wenig Bedeutung zukommt und er unter dem Tisch verschwindet. Das wollen wir uns als Opfer nicht bieten lassen. Es ist ja nett, wenn man uns am Infoabend eine Visitenkarte von einem Psychiater in die Hand drückt, bei dem man sich melden kann. Es wurde uns aber nie eine andere fachmännische Art von Hilfestellung angeboten.“

Werdenigg: „SCR Altach trägt die Verantwortung“
Über dem Schnabelholz liegt ein Schatten. Klaus Hartinger

Zudem erklärte die Spielerin, sie wisse von einer Mitspielerin, die in ein Hotel hätte umziehen wollen, weil der mutmaßliche Täter bei ihr in der Wohnung heimlich ein und ausgegangen sei und sie sich deshalb unwohl in ihren vier Wänden fühle. Der SCR Altach hätte der Spielerin aber keine Hilfe zukommen lassen, sie müsse weiterhin in der Wohnung leben. Abschließend betonte die Spielerin im anonymen Interview: „Es ist uns bewusst geworden, dass wir selbst was unternehmen müssen, um wieder mehr Beachtung für den Fall zu erwecken. Dabei lassen wir uns von nichts und niemanden einen Riegel vorschieben oder Maulkorb umhängen. Wir haben alle das Gefühl: Wenn wir nichts machen, tut es keiner.“

Stellungnahme des Vereins

Der SCR Altach veröffentlichte am Erscheinungstag des Interviews eine Stellungnahme, in der es auszugsweise heißt: „Der SCR Altach widerspricht einzelnen Darstellungen im heutigen Bericht der ‚Vorarlberger Nachrichten‘. Einige geschilderte Abläufe entsprechen nicht den tatsächlichen Vorgängen.“ Und weiter: „Unmittelbar nach Bekanntwerden der Identität der verdächtigten Person – die uns erst mehrere Tage nach der polizeilichen Durchsuchung der Kabinen-Räumlichkeiten von den Behörden mitgeteilt wurde – hat der SCR Altach sofort ein umfassendes Betretungsverbot für das gesamte Klubgelände ausgesprochen. Auf ausdrückliche Vorgaben der Ermittlungsbehörden durfte der Verein zunächst keine weiteren Personen informieren, um die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden. Nachdem externe Informationen an Medien gelangten, wurden die Spielerinnen kurzfristig zu einem persönlichen Informationsabend eingeladen. In Zusammenarbeit mit professionellen Opferschutzeinrichtungen wurde dort sofort Unterstützung bereitgestellt. Dabei war es uns besonders wichtig, sowohl neutrale externe Fachpersonen als auch interne Ansprechpersonen – weiblich wie männlich – anzubieten.“

Nach diesen jüngsten Entwicklungen und Aussagen, die massive Zweifel an einer notlagengerechten Betreuung und Unterstützung der betroffenen Spieler aufkommen lassen, hat die NEUE mit Sportinsiderin und Aktivistin Nicola Werdenigg ein ausführliches Gespräch geführt:

Frau Werdenigg, Sie haben beim Aufarbeiten von Missbrauchsfällen sehr große Erfahrung. In der Altacher Spielerkabine war offensichtlich über Jahre hinweg eine Kamera installiert, die ein Angestellter des Vereins dort installiert hat und mit der er die Spielerinnen heimlich gefilmt hat. Nach weiteren Erkenntnissen waren sogar in den Wohnungen der Spielerinnen Kameras installiert. Was löst das bei den Frauen und jungen, teils noch minderjährigen Mädchen aus?
Nicola Werdenigg:
Wir sprechen hier über einen wirklich ganz schlimmen Machtmissbrauch. Und wenn Macht missbraucht wird, fühlen sich die Betroffenen furchtbar ohnmächtig. Da ist ganz bestimmt ein Gefühl der Schutzlosigkeit und eine Traumatisierung vorhanden.

Zumal eben auch die privaten Wohnräume betroffen sind, damit ist die intimste Privatsphäre der Spielerinnen verletzt worden. Es wird viel Zeit brauchen, bis sich die Opfer wieder sicher fühlen?
Werdenigg:
Es wird Zeit brauchen, genau, weil wirklich die innerste Intimsphäre verletzt worden ist – und zwar schwer verletzt worden ist. Doch nur Zeit allein heilt solche tiefen seelischen Wunden nicht, es braucht auch eine fundierte therapeutische Begleitung. Der Schritt, sich als Betroffene einer Therapie zu öffnen, ist sehr schwierig. Aus mehreren Gründen. Sich das einzugestehen, ich brauche jetzt Hilfe, das fällt sehr vielen Betroffenen sehr schwer. Wir sind ja darauf getrimmt, dass Hilfe anzunehmen eine Form von Schwäche ist: Gerade im Leistungssport und speziell bei den Frauen ist dieses Vorurteil tief verankert, und zwar durch die von Männern dominierten patriarchalen Strukturen.

Nach dem Motto: Ein Indianer kennt keinen Schmerz?
Werdenigg:
So in etwa. Im konkreten Fall der Altacher Spielerinnen kommt noch etwas hinzu: Um die Hilfe von außen anzunehmen, müssen sich die Mädchen und Frauen bei der Therapie ja jemandem anvertrauen, was nach so einem erlittenen Machtmissbrauch enorm schwierig ist. Denn es setzt voraus, dass die Betroffenen trotz ihrer Erfahrungen wieder Vertrauen schöpfen können und die verständlich großen Ängste ablegen, dass sie nicht schon wieder hintergangen werden. Dafür muss räumlich und auch emotional ein Schutzraum für die Spielerinnen geschaffen werden. Ich bin keine Psychologin, doch wie man aus solchen Fällen weiß, wäre es sehr sinnvoll, wenn die Spielerinnen nicht nur Einzeltherapien in Anspruch nehmen würden, sondern die Mannschaft den erfahrenen Machtmissbrauch auch mit einer Gruppentherapie gemeinsam aufarbeitet. Deshalb ist es jetzt extrem wichtig, dass Profis die psychologische Betreuung der Spielerinnen in die Hand nehmen.

Es ist, denke ich, auch ganz wichtig, dass man wie Sie klar benennt, dass da ein Missbrauch stattgefunden hat.
Werdenigg:
Natürlich war das ein Missbrauch, alle anderen Begriffe wären eine Verharmlosung. Es handelte sich um einen Machtmissbrauch, der das tiefste Innerste der Spielerinnen betroffen hat. Es ist eigentlich unvorstellbar, dass so was bei einem österreichischen Verein im Jahr 2025 und die Jahre davor überhaupt stattfinden konnte. Allem Anschein nach wurden die Mädchen und Frauen ja über Jahre hinweg heimlich gefilmt. Mich macht das so wütend, diese Wut habe ich übrigens auch aus ihrem eindringlichen Essay herausgelesen, den Sie über dieses Thema verfasst haben.

Aus Ihrer Erfahrung heraus, was ist denn, und ich formuliere das bewusst genau so, der Antrieb eines Menschen, der einen so widerlichen Machtmissbrauch begeht und Kameras in Umkleidekabinen und Wohnungen versteckt?
Werdenigg:
Da geht es um Macht, darum Macht über andere zu gewinnen. Und diese Macht ist dann auch sexualisierte Gewalt.

Der Mann hat offensichtlich 70 Terabyte Videomaterial gesammelt. Zum Vergleich: Für die kommendes Jahr geplante bemannte zehntägige Mondmission „Artemis 2“ ist ein Datenaufkommen von 30 bis 50 Terabyte vorhergesagt, die zehn Jahre dauernde Mars-Mission „Mars 2020“ wird bis 2030 nur wenige Terabyte an Datenvolumen verbrauchen. Das zeigt die Dimensionen der Datenmenge auf, die der Beschuldigte gehortet hat. Der Verdacht liegt nahe, dass er diese Aufzeichnungen nicht nur gesammelt hat, sondern mit den Bildern und Videos auch gehandelt hat. Werdenigg: Das ist jetzt eine Mutmaßung von mir, aber ich kenne das aus anderen traurigen Fällen: Diese Machtmissbrauchscharaktere wollen Anerkennung für ihre Taten, dafür suchen sie sich Umgebungen, wo sie Beifall dafür kriegen. Sie wollen sich darüber mitteilen und austauschen. Ich weiß wie gesagt nicht, ob das in diesem Fall passiert ist, aber es gibt da ja den Fall eines prominenten österreichischen Schauspielers, der seine Dateien geteilt hat.

Auch ein bekannter deutscher Fußballer hat Fotos und Videodateien von schweren sexuellen Missbräuchen von unter zehnjährigen Mädchen geteilt.
Werdenigg:
Es ist alles so grauslich und entsetzlich. Dass dem mutmaßlichen Täter in Altach das unter großem Anführungszeichen „bloße“ Anfertigen und Besitzen der Bilder und Videos reichte, kann ich leider bei der unfassbar großen Datenmenge kaum glauben. Und wenn man sich dann vorstellt, was das heimliche Filmen ihrer Intimsphäre mit Menschen macht: Wenn einfach ein Stück ihres Innersten genommen wird und weitergegeben wird, dann kann nur ein Gedanke im Mittelpunkt stehen: Wie kann man den jungen Frauen, die teilweise ja noch minderjährig waren zu dem Tatzeitpunkt, jetzt helfen und beistehen – wie kann man ihnen wirklich eine Hand reichen, damit das schnell aufgearbeitet wird? Diese Aufarbeitung muss zeitnah geschehen, sonst fressen sich nämlich die Wunden noch tiefer in die Seele. Und wer sollte diese Aufarbeitung in die Hand nehmen? Das sind die Fragen, die abgeklärt werden müssen – und zwar unverzüglich. Da muss der SCR Altach bedingungslos mitspielen.

Werdenigg: „SCR Altach trägt die Verantwortung“
Nicola Werdenigg findet im NEUE-Interview ganz klar Worte. APA

Laut eines anonymen Interviews mit einer Betroffenen fühlen sich die Spielerinnen vom Verein sehr alleingelassen. Was müsste denn jetzt aus Ihrer Sicht der SCR Altach machen?
Werdenigg:
Mich hat das Interview der Frau sehr betroffenen gemacht. Es hat mir wirklich die Haare aufgestellt, weil ein traumatisierter Mensch geht nicht so ohne weiteres in die Öffentlichkeit. Das ist ein Hilfeschrei. Ich kenne die Strukturen des SCR Altach nicht. Ich habe jedoch in der Zwischenzeit Kontakt gehabt mit Claudia Koller von VERA, das ist die Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport. VERA wurde vom SCR Altach selbst kontaktiert, und so, wie ich das verstanden habe, hat man aufseiten der Altacher gesagt, man benötige nicht wirklich Unterstützung von VERA, man würde das nämlich selbst regeln. Wenn das tatsächlich so war, finde ich das eine problematische Ansage. Denn selbst wenn man beim Altacher Fußballverein ein Case-Management von außen ablehnt, könnte VERA beratend zur Seite stehen. Da ist endlich eine Stelle spezifisch für den Sport geschaffen worden, um Missbrauchsfälle aufzuarbeiten – und dann wird sie nicht in Anspruch genommen. Das verstehe ich nicht.

Was aber, glaube ich, auch ganz wichtig für die betroffenen Spielerinnen ist: Sie können sich natürlich auch individuell an VERA wenden.
Werdenigg:
Das wollte ich gerade anmerken. Sobald sich die Betroffenen melden, kann VERA unterstützen. Das geschieht komplett vertraulich, ohne dass jemand seine innersten Ängste in der Öffentlichkeit ausbreiten muss, wie das bei dem Interview geschehen ist. Eine solches Interview ist, auch wenn die Spielerin anonym bleiben wollte, ein letzter, verzweifelter Schritt. Dieser Hilfeschrei zeigt klar auf, dass keine Gesprächsbasis innerhalb des Vereins da ist, denn ansonsten suchst du als Betroffene nicht den Weg in die Öffentlichkeit, sondern klärst alles intern. Mit so einem ­Interview machst du dich als Betroffene ja nur noch verletzlicher.

Ich als Sportchef der NEUE hatte eigentlich entschieden, nach einer umfangreichen Aufarbeitung vorerst nicht weiter über den ­Machtmissbrauchs-Vorfall zu berichten, um die Opfer zu schützen, auch im Glauben, dass die Spielerinnen bestmöglich betreut werden. Aber nach dem veröffentlichten Interview hat sich die Sachlage vollkommen verändert.
Werdenigg:
Das war grundsätzlich die richtige Entscheidung, der Betroffenenschutz muss an erster Stelle stehen, aber jetzt geht es wirklich darum, den Spielerinnen zur Seite zu stehen. Darum ist mir auch wichtig, den Spielerinnen auf diesem Weg mitzuteilen, dass sie bei VERA einen komplett geschützten Raum finden, wo wirklich nichts nach außen dringt. Dort können sie über das Erlebte und das, was sie bewegt, offen reden. Nach so einem Trauma ­vertrauensvoll reden zu können, ist sehr ­wertvoll und wichtig. Und VERA hat dann die Möglichkeit, genau die Maßnahmen anzubieten, die notwendig sind. Welche das sind, können die Case-Managerinnen von VERA nach Gesprächen viel besser beurteilen als ich. Und dann ist unter Umständen auch ­juristischer Beistand möglich und mitunter auch dringend notwendig.

Das denke ich auch.
Werdenigg:
Um noch mal auf das Interview an sich zu sprechen zu kommen: Ich will dazu auch anmerken, dass ich den Spielerinnen empfehle, sehr genau abzuwägen, mit welchen Journalisten sie über so heikle Dinge sprechen. Weil es nicht allen Journalisten um die Sache geht, und weil sie, sei es aus Unwissenheit oder einer Gier nach Schlagzeilen, den Spielerinnen Sachverhalte und Formulierungen entlocken, mit denen sich die Betroffenen selbst juristisch angreifbar machen. Wie sich ein Interview entwickelt, hängt sehr stark von den Fragen ab, das muss ich Ihnen nicht erzählen. Der Fragensteller führt das Gespräch. Ich habe kürzlich, und zwar anlässlich der Causa SOS Kinderdorf, einen Katalog zusammengestellt, wie Betroffene in solchen Fällen mit Medien umgehen sollten. Der Katalog ist aktuell mit dem Presseclub Concordia in der finalen Ausarbeitung.

Der mutmaßliche Täter hat den SCR Altach im Herbst völlig überraschend verlassen. Heute lässt sich rekonstruieren, dass dieser Schritt zeitlich verdächtig nahe mit dem Beginn der Ermittlungen zusammen lag. Was sagt Ihnen das?
Werdenigg:
Das deutet darauf hin, dass er für sich überhaupt kein Unrechtsbewusstsein hatte. Erst als die Ermittlungen durch die Polizei aufgenommen wurden, dürfte es ihm gedämmert haben, dass da was Gröberes auf ihn zukommen kann. Solange er unentdeckt blieb, das ist meine Annahme, hat er ganz offensichtlich weitergemacht. Ob ihm jemand vom Verein den Rücktritt nahegelegt hat, eben weil die Ermittlungen aufgenommen wurden, kann ich nicht sagen. Aber wenn der Austritt des Beschuldigten und der Beginn der Ermittlungen zeitlich so dicht zusammenlagen, stellen sich wahrscheinlich recht viele diese Frage.

Geht es auch darum, dass der SCR Altach eine Mitverantwortung einzugestehen hat? Schließlich passierte der Machtmissbrauch in einem Altacher Vereinsgebäude von einem Altacher Vereinsangestellten?
Werdenigg:
Der Vereinsvorstand des SCR Altach hat die volle Verantwortung für diesen Fall. Das war ein struktureller Machtmissbrauch innerhalb des Vereinssystems. Ich spreche da nicht von Mitschuld oder Schuld, aber von Verantwortung, die müssen sie beim SCR Altach auf jeden Fall übernehmen.

Zumal diese Kameras eben auch in den Wohnungen der Spielerinnen versteckt gewesen sein sollen. Was Fragen zum Zugang der Zweitschlüssel für die Wohnungen aufwirft: Natürlich ist der SCR Altach der Wohnungsvermieter und hat daher Zweitschlüssel. Aber wie kann es sein, dass ein Angestellter Zugang zu den Schlüsseln hat – die müssten doch versperrt sein und die Ausgabe der Zweitschlüssel klaren Richtlinien unterliegen?
Werdenigg:
Es ist ein absolutes No-Go, dass diese Schlüssel so offen zugänglich waren, dass sich ein Angestellter die Schlüssel einfach nehmen konnte. Das lässt sich auch nicht damit erklären, dass zwischen den Vereinsverantwortlichen und dem Angestellten eine Vertrauensbasis bestanden hat.

Nach NEUE-Informationen haben die Spielerinnen Verdacht geschöpft, dass ein Fremder ihre Wohnungen betritt und Gegenstände bewusst platziert, die dann nicht mehr am selben Ort gewesen sein sollen. Darüber wurde in Spielerinnenkreisen gesprochen, aber offensichtlich gab es niemanden, an den sie sich vereinsintern wenden konnten.
Werdenigg:
Es braucht in jedem Verein unbedingt eine Vertrauensperson, an die sich Spielerinnen, aber natürlich auch Spieler wenden können. Und diese Vertrauensperson darf nicht der sportlichen Entscheidungshierarchie angehören und schon gar nicht in einer Position sein, für den Verein sprechen oder gar entscheiden zu können. Es braucht eine klare Trennung zwischen Vereinsführung, Vorgesetzten und der Vertrauensperson. Denn wenn als Spielerin meine Anlaufstelle ein Vorstandsmitglied ist, dann spreche ich ja unmittelbar mit der Vereinsspitze. Nein, diese Vertrauensperson muss gar nicht vereinsintern ansässig sein. Ich sage das klipp und klar: Die Spielerinnen und Spieler brauchen eine Anlaufstelle, um sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch oder psychische Gewalt melden zu können. Das Bekenntnis zu einer solchen Vertrauensperson sollte mindestens bei jedem Profiverein im Kodex verankert sein.

Werdenigg: „SCR Altach trägt die Verantwortung“
Der innerste Kreis einer Mannschaft, dazu gehören Orte wie die Kabine, der Bus, das Spielumfeld, ist eine Intim- und damit Schutzzone. Alexandra Serra

Was sagen Sie zur Stellungnahme des SCR Altach, die der Verein als Reaktion auf das anonyme Interview veröffentlicht hat?
Werdenigg:
Diese Stellungnahme hat mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Mir ist die Kinnlade hinuntergeklappt, als ich diese Aussendung gelesen habe. Das Erste ist, es geht nicht darum, es tut uns leid, wenn es den Betroffenen schlecht geht, da haben wir versagt, da haben wir vielleicht irgendwie etwas schlecht gemacht. Nein, wir haben eh alles richtig gemacht. Das ist das, was bei mir hängen bleibt von dieser Stellungnahme. Und das Zweite ist, ich kann da überhaupt keine Transparenz erkennen. Die Altacher sagen: Ja, wir haben Betroffenenschutzorganisationen eingebunden. Wen hat man denn hinzugezogen? Wieso wird die Organisation nicht genannt? Was sind die Maßnahmen? Was hat man angeboten? Hat man Traumatherapie angeboten? Hat man Gruppentherapie angeboten? Oder ist es wirklich so, wie die Frau in dem Interview geschildert hat, dass die Betroffenen nur Visitenkarten in die Hand gedrückt bekommen haben? Das ist nämlich keine Unterstützung, das ist ein Wegschieben von Verantwortung, im Sinne von: Seht zu, wie ihr damit fertig werdet, uns geht das nichts an.

Der Verein beteuert, dass ihm seitens der Behörden untersagt wurde, die Spielerinnen zu informieren?
Werdenigg:
Es gibt natürlich Behörden, die so was einfordern, da möchte ich dem SCR Altach nichts unterstellen. Zumal ich die handelnden Personen nicht näher kenne. Aber klarerweise ist das ganz schlecht, wenn die Betroffenen nicht informiert werden und an den Leidtragenden vorbei ermittelt wird. Es ist ein Unding, dass man nur die Vereinsführung informiert hat, zu der die Spielerinnen nach einem offenbar so systematischen und langjährigen Machtmissbrauch eines Vereinsangestellten selbstverständlich kein Vertrauen mehr haben. Man muss sich das mal vergegenwärtigen: Die Spielerinnen wurden laut dem anonymen Interview wochenlang nicht informiert, mussten aus den Medien von den Ermittlungen erfahren und bekommen dann an einem Informationsabend die Sachlage im Beisein und teils sogar von jenen Personen übermittelt, die als Arbeitgeber die Verantwortung für den Machtmissbrauch tragen. Und wenn wir von unbefugten Wohnungsbetretungen ausgehen, da sind ja immer die Betroffenen und nicht der Verein der Ansprechpartner, da hätten also die Spielerinnen unbedingt und unmittelbar persönlich informiert werden müssen.

In dem anonymen Interview sagt die Spielerin, dass sie von einer Mannschaftskollegin wisse, die weiterhin in ihrer Wohnung leben müsse, obwohl der Verdächtige in ihrer Wohnung ein und aus ging. Sie hätte in ein Hotel umziehen wollen, aber keine Hilfe vom Verein erhalten. Der Verein sagt nun, alle Spielerinnen, die nicht mehr in ihrer Wohnung bleiben wollten, seien auf Vereinskosten in einem Hotel untergebracht worden.
Werdenigg:
Ich glaube der Spielerin, warum sollte sie das auch erfinden? Das meine ich unter anderem damit, wenn ich sage, dass ein Gang an die Öffentlichkeit für die Spielerinnen der letzte Schritt ist in der aktuellen Situation: Weil ihre Aussagen angezweifelt werden können und sie plötzlich unter Druck geraten. Wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass der SCR Altach eiskalt erwischt worden ist von diesem Macht­missbrauch des Beschuldigten, sowohl was die Prävention betrifft als auch dem Fall-Management an sich. Nur: Die Zeit des ersten Schocks ist vorbei. Es darf keine Ausreden geben.

Warum sind Frauen im Umfeld des Sports so oft von Übergriffen, Demütigungen und Missbräuchen betroffen?
Werdenigg:
Weil dort patriarchale, hierarchische Strukturen herrschen. Es ist gut erforscht, warum das so ist. Erstens kommen die Mädchen schon sehr früh zum Sport und suchen Anerkennung über den Sport. Sie sind aber zum Teil auch isoliert im Sportumfeld. Ab einem gewissen Leistungslevel fällt ja das weg, was Mädchen, die keiner gezielten, profihaften sportlichen Tätigkeit nachgehen, in ihrem Alltag erleben: Es fällt viel vom sozialen Umfeld weg, was durch die Sportumgebung ersetzt wird. Man spricht im Sport und in der Soziologie von Systemen mit totalen Tendenzen. Sprich, es läuft ähnlich wie in Krankenhäusern, wie bei Schiffsbesatzungen, wie beim Militär, das sind alles so Strukturen, wo es zwischen Privatem und Beruflichem fast gar keine Trennung mehr gibt: Das Training wird miteinander absolviert, die Freizeit wird geteilt, man ist auf Reisen gemeinsam, das heißt, das ist ja kein fremdes Umfeld, in der sich die Athletinnen da aufhalten. Das ist Familie. Diese in sich geschlossenen Strukturen begünstigen Machtmissbräuche. Und wie ist das bei fast allen Frauenteams? Das Team besteht aus Frauen, ihr Trainer ist der Chef – und männlich. Und im Vorstand sitzen wahrscheinlich auch entweder sehr viele Männer oder nur Männer.

Abschließende Frage: Hat der Frauenfußball in Altach überhaupt noch Zukunft – oder was muss man jetzt bei dem Verein tun, um das Vertrauen zurückzugewinnen?
Werdenigg:
Ich kenne die Strukturen des Vereins viel zu wenig, um eine Aussage darüber treffen zu können, inwieweit der Verein in der Region noch als Träger einer Frauenmannschaft akzeptiert wird. Was ich aber sagen kann, ist: Ich als Frau, Mutter und Großmutter würde mich hüten, meine Tochter oder meine Enkeltochter zum SCR Altach hinzuschicken. Dieses Misstrauen herrscht jetzt. Wie es weitergeht, hängt davon ab, wie transparent der Verein jetzt mit der Situation umgeht. Das heißt also, ob die Frauenfußballabteilung des SCR Altach Zukunft hat, liegt am Verein selbst.

Hinweis an die Spielerinnen: Kontaktaufnahme mit Nicola Werdenigg unter nicola.werdenigg.com oder über Vermittlung von NEUE-Sportchef Hannes Mayer.

VERA

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