Tanzende Klangkörper zur Musik von Haas

Zum 70. Geburtstag des Vorarlberger Komponisten Georg Friedrich Haas hat die Regisseurin Brigitte Walk sein Werk „Solstices“ als Tanzprojekt realisiert.
Er sei der „wichtigste derzeit lebende Komponist“, schreibt die italienische Fachzeitschrift „Classic Voice“ über Georg Friedrich Haas. Im August wird der Vorarlberger Künstler 70 Jahre alt. „Er hat eine unglaubliche Vorstellungskraft.“ „Seine Musik ist sehr sinnlich und geht unter die Haut“ und alles andere verschwinde. „Das ist die Kunst, die er haben wollte“ und damit die Musik „noch stärker erfahrbar wird“, habe er sie mit der Dunkelheit noch gesteigert, beschreibt Regisseurin Brigitte Walk.
Sie kennt den Komponisten schon viele Jahre lang, auch als er „noch gar nicht so berühmt war. Vor zwei Jahren hat sie den mittlerweile in New York lebenden Künstler wieder getroffen und es war seine Idee, das Tanzprojekt zu „Solstices“ (auf Deutsch „Sonnenwenden“) zu machen – ein 2018 komponiertes Ensemblestück für zehn Instrumente, das seiner Frau Mollena Lee Williams-Haas gewidmet wurde und bisher weltweit erst fünf Mal aufgeführt worden war, und zwar in kompletter Dunkelheit.

Jedes Mal anders
Nun hat Walk zusammen mit der Choreografin Elisabeth Orlowsky und dem Ensemble Plus unter der Leitung von Guy Speyers zur gleichnamigen Komposition ein Tanztheaterprojekt entwickelt, das morgen im Kulturhaus Dornbirn uraufgeführt wird. Ein Projekt, das gleichzeitig eine gewisse Herausforderung gewesen sei, denn „es ist nicht selbstverständlich, dass wir Musikerinnen und Musiker im Land haben, die in der Lage sind, das zu spielen“, so Walk. Doch das Ensemble Plus habe sich sofort bereit erklärt, das Stück mit zehn Musikern im Dunkeln auswendig zu spielen.
Auch für die Choreografin Elisabeth Orlowsky sei die Auseinandersetzung mit der Musik im ersten Moment schwierig gewesen. „Ich bin so erstaunt, ich hab sie so oft gehört“ und trotzdem klinge die Musik „jedes Mal anders“. Eine Choreografie dazu zu entwickeln, sei ihr anfangs wie eine „Mount-Everest-Besteigung“ vorgekommen, anspruchsvoll und spannend. Sie habe dann viel mit konkreten Anhaltspunkten und Bildern – beispielsweise von Caravaggio – gearbeitet, um Positionen und Konstellationen abstrakt zu gestalten.

„Dieser Klang, der auf den Körper kommt, erzeugt einen unglaublichen Raum und Interpretationsmöglichkeiten, aber wenns zu offensichtlich wird, geht das weg.“ Ganz bewusst habe sie die starken Persönlichkeiten der Tänzerinnen und Tänzer, deren eigene Sprache und Ausdruck eingearbeitet. Ähnlich wie die Musik ist auch der Tanz nicht harmonisch.
Rabenköpfe im Dunkeln
Für die Proben wird die Aufnahme des in London ansässigen Riot Ensembles verwendet, welches „Solstices“ 2019 im Nordic House in Reykjavik uraufgeführt hat. Morgen wird „Solstices“ jedoch nicht zur Gänze in der Dunkelheit aufgeführt. In Verbindung mit dem Tanz wäre das natürlich nicht möglich.
Trotzdem wird der Anfang wie „eine Art Nachtreise“ sein, wenn die ersten sechs Minuten in komplette Dunkelheit getaucht sind und es danach langsam punktuell heller und heller werde. Nach dieser „Nacht“ mit Albtraumbildern und Rabenköpfen, die assoziativ die Angst und die Wahrnehmung von sich und anderen thematisieren würden, werden weiters auch Spannungsverhältnisse zwischen Individuum und Gruppe verkörpert, die auch viel mit Aspekten unseres Zusammenlebens zu tun hätten, beschreiben Walk und Orlowsky die thematischen Anlehnungen der Inszenierung.

Musiker und Tänzer orientieren sich an Ankerpunkten, so gäbe es fixe Teile, wo sie sich immer wieder treffen können, aber auch ganz viele Elemente in der Choreografie, die „Games“ sind, beschreibt Orlowsky, „also wo man auch aufeinander reagieren muss“, eine strukturierte Improvisation. Gerade am Anfang werde im Stück „in langen Passagen eine schwebend liegende Atmosphäre erzeugt, die nicht vorwärts geht“, beschreibt Walk die „Unruhe“ im Stück.
Obwohl „Solstices“ für die komplette Finsternis komponiert wurde, um die Hörerfahrung noch zu verstärken, lenke der Tanz die Aufmerksamkeit nicht von der der Musik weg. Im Gegenteil möchte die Choreografin durch den Tanz einen leichteren Zugang zur Musik ermöglichen, „weil es für manche auch schwierig sein kann, in der Musik etwas zu hören“. „Wenn man diese Musik nicht gewohnt ist, ist es auch nicht so einfach, da hineinzufinden.“
Erforschung der Obertöne
Georg Friedrich Haas hat in seiner Musik die Obertonspektren und andere mikrotonale Strukturen stark erforscht und weiterentwickelt und erschafft mit neuen Klängen und Klangfarben sinnliche Erfahrungen. 1998 und 2003 wurden seine Werke bei den Bregenzer Festspielen gespielt, in den letzten Jahren wurden seine Kompositionen vorwiegend bei Konzerten und Operninszenierungen in Paris, Basel, Wien, Berlin und London aufgeführt. 2007 erhielt er den „Großen Österreichischen Staatspreis“ auf Vorschlag seines Lehrers, berühmten Kollegen und gestern verstorbenen Komponisten Friedrich Cerha.
Premiere „Solstices“: morgen, 19.30 Uhr im Kulturhaus Dornbirn.
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