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Der Fall hinter Vorarlbergs letzter Hinrichtung

29.05.2023 • 09:30 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Das Ehepaar Giesinger wird zum Opfer eines Doppelmordes. <span class="copyright">Gemeinde Altach</span>
Das Ehepaar Giesinger wird zum Opfer eines Doppelmordes. Gemeinde Altach

Dem Todesurteil geht ein Doppelmord voraus, dem letztlich mehr als zwei Menschen zum Opfer fallen.

Mitten in der Nacht von Samstag auf Sonntag, den 29. September 1946, bricht in Altach ein Brand aus. Das Haus der Familie Giesinger steht ab drei Uhr in Flammen. Nur wenige Gegenstände können gerettet werden. Der Brand zerstört nicht nur das Eigenheim, auch 16 Textilarbeiter, die beim Wirkwarenhersteller Giesinger angestellt sind, verlieren inmitten der wirtschaftlichen Not der Nachkriegsjahre ihren Lebensunterhalt. Um fünf Uhr ist der Brand gelöscht, doch vom jungen Ehepaar Leonhard und Elisabeth Giesinger fehlt jede Spur.

Eine furchtbare Entdeckung

In den Trümmern des Gebäudes findet man schließlich den verkohlten Leichnahm der schwangeren Elisabeth Giesinger. Ein Arzt wird herbeigerufen, doch der Körper der Frau ist zur Unkenntlichkeit verbrannt. Der Mediziner kann keine Spuren von Gewalteinwirkung finden. Zwei Tage später findet man auch den toten Leonhard Giesinger – allerdings nicht in den rauchenden Trümmern seines Wohnhauses, sondern in einem Graben.

Der Leichnam des, auch bei seiner Belegschaft beliebten Textilunternehmers weist mehrere Messerstiche auf und wurde unter Kürbiskraut versteckt. Die Gendarmarie alarmiert sofort ihre Kriminalabteilung in Bregenz. Die zuständigen Beamten sind gerade mit der Suche nach einem Täter beschäftigt, der Schafe auf einer Alpe vergiftet hat, machen sich aber sofort auf den Weg nach Altach. Die Kriminalisten führen Befragungen durch. Leonhard Giesinger wollte sich in den Tagen vor seinem Tod ein Fahrzeug kaufen.

Bei ihren Nachforschungen stoßen sie auch auf eine Vermisstenanzeige. Der Mitarbeiter eines Autohändlers, den das Opfer offenbar aufgesucht hatte, ist am Montag nach der Tat nicht zur Arbeit erschienen. Vier Tage nach dem Fund der zweiten Leiche fällt der Verdacht auf Egon Ender, der bei „Auto Beck“ in Hohenems arbeitet. Die Beamten durchsuchen seine Wohnung und finden dort die Kleiderkarte Leonhard Giesingers. Während des Krieges und in der Zeit danach ist der Bezug von Nahrungsmitteln aber auch von Kleidung durch solche Bezugskarten geregelt. Auch der Textilunternehmer bekommt Kleidung offiziell nur über dieses Bonsystem. Die Karten werden von den Behörden ausgegeben und im Handel gegen Waren getauscht. Aufgrund des Fundes wird der erst 21-jährige Mechaniker verhaftet und gesteht bei seiner Vernehmung die Tat.

Schwere Kindheit

Egon Ender, so ergeben die Befragungen und auch die späteren Einvernahmen vor Gericht, stammt aus einer Stickerfamilie und musste bereits als Kind betteln. Während des Krieges kommt er zu einer NS-Familie, der aus der Gefangenschaft heimkehrende Bruder beeindruckt ihn mit seinen Berichten vom Morden an der Front. Nach dem Krieg verliebt sich Egon Ender in eine junge Frau und gerät erneut in schlechte Gesellschaft. Ihre Familie betreibt Schwarzmarktgeschäfte, mit denen das staatliche Bezugssystem umgangen wird. Ender und sein Bruder beginnen zu stehlen. Bei Giesinger entwenden sie einen Ballen Stoff, doch der Vater des Mädchens streift das Geld ein, währen Ender sich zunehmend verschuldet.

Die Mitarbeiter von Giesingers Unternehmen inserieren voll Wut eine Todesanzeige für ihren Chef und dessen Frau. <span class="copyright">anno</span>
Die Mitarbeiter von Giesingers Unternehmen inserieren voll Wut eine Todesanzeige für ihren Chef und dessen Frau. anno

Als die Geldsorgen immer drückender werden und die Geliebte sich ein Radio wünscht, setzt sich Ender mit Giesinger in Verbindung. Er hat mitbekommen, dass dieser ein Fahrzeug sucht und bietet an, ihm ein Puch-Motorrad um 1800 Schilling zu verkaufen. Auf dem Weg zum Angeblichen Standort des Verkaufsobjekts sticht Ender von hinten auf den Unternehmer ein, in der Annahme, dieser habe das geforderte Geld bei sich. Doch Giesinger wehrt sich und Ender sticht immer wieder zu. Beim toten Opfer findet er anschließend jedoch nur eine Uhr, 300 Schilling – und die Hausschlüssel. Der Täter schleicht daraufhin in das Haus der Giesingers ein, erschlägt die im vierten Monat schwangere Elisabeth mit einem Beil und zündet das Anwesen an. Die Frau, so seine Befürchtung, wusste, dass ihr Mann ihn treffen wollte.
Nur wenige Tage nach dem Mord kommt auch noch die Mutter Leonhard Giesingers bei einem Verkehrsunfall ums Leben.

Rasches Urteil

Entsprechend wenig Mitleid findet der Täter, als er im Juni 1947 vor Gericht steht. Die Tat entstamme „ungezügelter menschlicher Leidenschaft“, zitieren die „Vorarlberger Nachrichten“ den psychiatrischen Sachverständigen. Der Pflichtverteidiger versucht noch, ein Todesurteil abzuwenden. Der Staat dürfe keinem Menschen zumute, über das Leben anderer zu richten, plädiert er. Außerdem sei die Todesstrafe 1934 „als Ausfluß eines schon totalitär gewordenen Staates wieder eingeführt worden“.

Nach nicht einmal einer Stunde Beratung fällt das Urteil: Egon Ender wird des zweifachen Meuchelmordes für schuldig befunden und zum Tod durch den Strang verurteilt. Ein Gnadengesuch Enders an den Bundespräsidenten wird abgelehnt. Aus Wien reist ein Scharfrichter an. Die Vorarlberger Behörden haben seit 80 Jahren keine Hinrichtung mehr vollstreckt. Am 16. September 1947 um 5.30 Uhr wird Egon Ender im Hof des Landesgerichtes in Feldkirch gehenkt. „Das Urteil deckt sich mit dem Rechtsgefühl des größten Teils der Vorarlberger Bevölkerung“, befinden die „VN“.

Eine historische Prozessbeschreibung finden sie hier: Teil 1, Teil 2

Letzte Hinrichtungen

Darüber, welche Hinrichtung die letzte in Vorarlberg war, gibt es widersprüchliche Angaben. Häufig wird Joseph Gasser genannt, der 1864 als letzter öffentlich hingerichtet wurde. Als letzte Hinrichtung wurde auch schon ein 1945 vollstrecktes Urteil der französischen Militärregierung gegen einen polnischen Arbeiter bezeichnet, der zwei Bahnbeamte ermordet hatte. Tatsächlich wurde mit der Hinrichtung Enders 1947 das letzte Todesurteil in Vorarlberg vollstreckt.