Evangeliumkommentar: „Ändert die Straße nach Jericho“

13.07.2025 • 10:00 Uhr
US King Lee Holiday
AP

In unseren wöchentlichen Evangelienkommentaren geben Geistliche, Religionslehrerinnen, Theologinnen und andere ihre Gedanken zum Sonntagsevangelium weiter. Heute mit Margit Willi, katholische Religionslehrerin.

In jener Zeit stand ein Gesetzeslehrer auf, um Jesus auf die Probe zu stellen, und fragte ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst. Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben! Der Gesetzeslehrer wollte sich rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jéricho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging vorüber. Ebenso kam auch ein Levit zu der Stelle; er sah ihn und ging vorüber. Ein Samaríter aber, der auf der Reise war, kam zu ihm; er sah ihn und hatte Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Und am nächsten Tag holte er zwei Denáre hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme. Wer von diesen dreien meinst du, ist dem der Nächste geworden, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gesetzeslehrer antwortete: Der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle du genauso! Lukas 10, 25 – 37

Ein Aufruf zum gesellschaftlichen Wandel

Martin Luther King, der sich als amerikanischer Bürgerrechtsaktivist gegen Rassismus und soziale Unterdrückung eingesetzt hat, kommentierte die Bibelstelle des barmherzigen Samariters einmal so: „Gewiss ist es unsere Verpflichtung, die Rolle des barmherzigen Samariters für alle diejenigen zu übernehmen, die am Weg liegen geblieben sind. Aber das ist nur der Anfang. Eines Tages müssen wir begreifen, dass die ganze Straße nach Jericho geändert werden muss, damit nicht fortwährend Männer und Frauen geschlagen und ausgeraubt werden.“

Dieser Gedanke wirft ein neues Licht auf die uns allen schon längst bekannte Erzählung des barmherzigen Samariters. Die Verpflichtung, anderen zu helfen, die selbst dazu nicht mehr in der Lage sind. Das ist ja aus christlich-moralischer Sicht noch einleuchtend. Aber Luther King fordert auch, die Rahmenbedingungen für die Pfade, auf denen wir wandeln, zu ändern: damit Menschen sich wohl fühlen können, damit Menschen ein Gefühl von Sicherheit verspüren, damit Menschen nicht ausgegrenzt, nicht verachtet, nicht links liegen gelassen werden. Das ist es, worauf es Jesus ankommt: Jede am Wegrand liegende Person ist unsere Nächste, unser Nächster. Gelebte Nächstenliebe kennt keine minderwertigen Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer politischen oder sexuellen Gesinnung, ihrer Arbeitsstelle oder Arbeitslosigkeit,… an den Rand gedrängt werden. Es geht darum, in allen Bereichen Umgangsformen zu finden, die ein gutes Miteinander dauerhaft ermöglichen und sichern. So kann die Nächstenliebe eine neue Dimension erlangen. Und das kann doch nur im Sinne dessen sein, was Jesus mit dem Gleichnis des barmherzigen Samariters ausdrücken wollte.

Am Anfang steht die Nächstenliebe – nur ein schönes Motto für unser Menschsein oder mehr?

Margit Willi
Religionslehrerin Margit Willi. Privat