Marc-André Hamelin begeistert in Schwarzenberg

Der Pianist spannte einen Bogen von Beethovens Liedern über Schuberts Sonate bis zu Medtners Improvisation und Rachmaninows funkelnder Zweiter Sonate.
Seit 2014 begeistert der franko-kanadische Pianist Marc-André Hamelin auch regelmäßig das Schubertiade-Publikum: in diesem Jahr widmete er sich im ersten Teil der Musik von Beethoven und Schubert, die hier „zuhause“ ist, um nach der Pause in die Welt der russischen Klaviervirtuosen Nikolai Medtner und Sergei Rachmaninow einzutauchen.
Sehnsucht
Beethovens „An die ferne Geliebte“, mit sechs durchkomponierten Liedern einer der ersten Liederzyklen überhaupt, hat sich durch Interpretationen einiger Tenöre gleichsam in den Holzbalken des Angelika-Kauffmann-Saals eingenistet. Durch Franz Liszts Bearbeitung und Hamelins fein differenziertes Spiel, das die Singstimme und die Begleitung miteinander verbrämt, erlebt man die Sehnsucht des lyrischen Ichs und das Spiel der flatternden Vögel auch ohne Worte: Hamelins Oberstimme atmet und singt und dass Beethoven und Liszt das letzte Lied in einer überfliegenden Stretta münden lassen, kommt seinen virtuosen Möglichkeiten natürlich entgegen.
Rauschhaft
Schuberts vorletzte Sonate in A-Dur D 959 beginnt Hamelin mit gemeißelten Akkorden, doch seine Interpretation wirkt im ersten Satz erstaunlich hölzern und mit viel Pedalgebrauch orchestral aufgeplustert. Auch im langsamen Satz mit seinem so herzzerreißenden Mittelteil mögen sich die darin gespiegelten Emotionen (vielleicht subjektiv bei der Rezensentin) nicht mitteilen. Hell sprudelt der Scherzo-Satz, im Finale dann fasst Hamelin die unendlichen Melodien und die lyrischen Bögen facettenreich zusammen und führt sie zu einem rauschhaften Abschluss.

Tastendonner
Dass der Pianist eine Vorliebe für schwierigste Literatur hat, ist bekannt, er hat es hier in Schwarzenberg auch immer wieder gezeigt. Auch diesmal glaubt man in der ungemein verdichteten „Improvisation b-Moll“ von Nikolai Medtner, einer Variationenfolge über ein lyrisches Thema, und in dessen jubelnder „Danza festiva“ seinen Augen und Ohren nicht zu trauen. „Appassionato“, eine der Étude-Tableaux von Rachmaninow, macht in ihrem vollgriffigen Wühlen ihrem Beinamen alle Ehre. In der zweiten Sonate schließlich, die mit einem klingenden Absturz beginnt, öffnet der Pianist den Raum hin zu gläsern wirkenden, schillernden Klängen mit Farbwechseln und Rückungen. Im langsamen Satz stellen sich fast impressionistische Schleierklänge ein und mit dem Feuerwerk des Finales („Allegro molto“ lautet die bescheidene Tempobezeichnung), in dem Hamelins Tastendonner immer noch höchst differenziert klingt, verwandelt sich der Pianist endgültig in ein mythisches Fabelwesen mit mehr als zwei Händen und 10 Fingern… – grandios!
Katharina von Glasenapp