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Die Stimme der Afghaninnen: Eine Frau im Kampf gegen die Taliban

24.09.2025 • 16:59 Uhr
Die Stimme der Afghaninnen: Eine Frau im Kampf gegen die Taliban
Manizha Bakthari kämpft als afghanische Botschafterin in Wien gegen die Unterdrückung der Frauen durch die Taliban. AFP, Handout

Manizha Bakthari ist Afghanistans Botschafterin in Wien. Auch nach dem Sturz der Regierung 2021 blieb sie im Amt – ohne Rückhalt aus Kabul, aber mit einer klaren Mission: die Stimme der Frauen und Mädchen ihrer Heimat zu sein. Am Freitag spricht sie via Live-Videoschaltung auf dem Pina Kongress in Dornbirn. Heute bereits im Videocall mit der NEUE.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Sie sind noch immer Afghanistans Vertreterin in Wien, obwohl die Taliban das Land kontrollieren. Wie sehen Sie Ihre Rolle?

Manizha Bakthari: Die Regierung, die mich ernannt hat, ist am 15. August 2021 zusammengebrochen. Danach standen wir im Nichts. Doch mein Team und ich haben beschlossen, unsere Arbeit fortzuführen. Auch wenn mir ohne Regierung manche Möglichkeiten fehlen, sind meine Beglaubigungsschreiben gültig. Ich vertrete Afghanistan in Österreich, in vier weiteren europäischen Staaten und in internationalen Organisationen in Wien. Wir haben unsere Mission in der Botschaft neu definiert – zu einem Zentrum für Demokratie, Menschenrechte und Frauenrechte. Jeden Tag weiß ich: Meine Stimme hat eine besondere Aufgabe.

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NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Was bedeutet die Herrschaft der Taliban konkret für Frauen und Mädchen?

Bakthari: Mädchen dürfen seit der sechsten Klasse nicht mehr zur Schule gehen, Frauen nicht mehr an Universitäten studieren und keine Berufe im öffentlichen Leben ausüben. Sie sind aus der Gesellschaft verbannt. Mehr als 150 Dekrete schränken Frauen ein. Das ist nicht nur Unterdrückung, es ist ein bewusst errichtetes System zur Auslöschung von Frauen aus dem öffentlichen Leben. Ich nenne das „Gender-Apartheid“. Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das die internationale Gemeinschaft zum Handeln verpflichtet. Die Brutalität zeigt sich in allen Lebensbereichen: Frauen riskieren Schläge oder Gefängnis, wenn sie das Haus ohne männlichen Vormund verlassen. Mädchen wissen jeden Morgen, dass ihnen die Zukunft verwehrt ist. Es ist ein Terrorregime, das Bildung, Freiheit und Würde zerstört. Und trotzdem: Unsere Frauen bleiben mutig. Sie unterrichten heimlich, sie sprechen öffentlich, sie halten ihre Träume am Leben.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Hat das Taliban-Regime versucht, Sie persönlich zum Schweigen zu bringen?

Bakthari: Ja, mehrfach. Doch sie haben keine Legitimität und keine Autorität. Ich habe keinen Kontakt zu ihnen und vertrete sie nicht. Aber es ist eine schwere Last: Ich bin Botschafterin eines Landes ohne Regierung. Gleichzeitig brauchen unsere Menschen heute mehr denn je eine Stimme. Meine Aufgabe ist es, ihr Leiden sichtbar zu machen und ihre Widerstandskraft zu repräsentieren.

Manizha Bakthari
Manizha Bakthari kämpft unermüdlich weiter.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Haben Sie das Gefühl, dass die Welt Ihnen zuhört?

Bakthari: In Österreich ja. Ich habe Empathie und Solidarität erlebt – von Politik, Zivilgesellschaft, Medien und Bevölkerung. Das gibt mir Kraft. Gleichzeitig aber verschwindet Afghanistan aus den Schlagzeilen. Zuhören allein reicht nicht. Es braucht politische Entscheidungen, die die Taliban nicht legitimieren. Manche Länder suchen den „pragmatischen“ Dialog. Das wäre ein Verrat an unseren Frauen.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Vor Kurzem hat das Innenministerium Gespräche mit den Taliban über Abschiebungen angekündigt. Wie beurteilen Sie das?

Bakthari: Ich sammle noch Fakten und möchte nicht vorschnell urteilen. Grundsätzlich aber gilt: Jede Form von stillem Engagement spielt den Taliban in die Hände. Bitte erkennen Sie dieses Regime nicht an. Es basiert auf Terror, Drogenhandel und systematischer Gewalt gegen Frauen. Politische Kontakte bedeuten, dass man dieses System akzeptiert. Ich erwarte besonders von der Europäischen Union und von Österreich, dass sie Gender-Apartheid als internationales Verbrechen anerkennen. Österreich hat eine stolze Tradition, Menschenrechte zu verteidigen. Bitte nutzen Sie diese Stimme in den Vereinten Nationen und in der EU, damit Frauen und Mädchen in Afghanistan nicht vergessen werden.

Manizha Bakthari
Durch ihre Position verleiht sie den afghanischen Frauen eine Stimme, die weltweit gehört wird.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: In Österreich leben viele junge Afghanen im Asylstatus. Immer wieder sorgen schwere Straftaten – etwa brutale Vergewaltigungen – für Schlagzeilen. Das führt zu Ängsten gegenüber Geflüchteten. Zugleich sind kulturelle Unterschiede, vor allem beim Bild der Frau, eine große Hürde für Integration. Wie sehen Sie das als afghanische Botschafterin?

Bakthari: Zuerst danke ich Österreich. Seit Jahrzehnten haben Afghanen hier Zuflucht gefunden. Viele leben noch immer in Unsicherheit, weil ihre Asylverfahren offen sind. Diese Menschen verdienen Schutz. Natürlich gibt es unter ihnen auch Straftäter, und ich verteidige sie nicht. Wer schwere Verbrechen begeht, muss bestraft werden – egal ob Afghane oder Österreicher. Aber wir dürfen nicht eine ganze Gemeinschaft dafür verantwortlich machen. Die große Mehrheit der Afghaninnen und Afghanen hier ist verantwortungsvoll und gut integriert. Viele der zweiten und dritten Generation sind Ärztinnen, Ingenieure, Unternehmerinnen – sie leisten wertvolle Beiträge zur Gesellschaft. Gleichzeitig gibt es junge Männer, die in einem Umfeld von Krieg, Armut und ohne Bildung aufgewachsen sind. Manche bringen ein Frauenbild mit, das stark von Taliban-Ideologie und patriarchaler Tradition geprägt ist. Diese Mischung aus Religion, Tradition und Extremismus hat nichts mit den wahren Werten des Islam zu tun, prägt aber ihre Haltung. Genau hier liegt die Verantwortung: Neuankömmlinge müssen in den Gesetzen und kulturellen Codes des Gastlandes unterrichtet werden. Sie müssen lernen, Frauen mit Respekt und Gleichberechtigung zu begegnen. Das ist entscheidend für Integration und Sicherheit.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Wenn wir auf die globale Lage schauen: USA, Israel, Palästina, Iran, Syrien – religiöse Spannungen nehmen zu. Welche Rolle spielt die Trennung von Religion und Politik?

Bakthari: Sie ist absolut notwendig. Religion ist Privatsache. Politik muss der Gesellschaft dienen, Rechte sichern, Gerechtigkeit schaffen. In Afghanistan sehen wir, wohin religiös geprägte Herrschaft führt: zu Unterdrückung, Gewalt und Extremismus. Ich bin eine muslimische Frau, aber mein Glaube ist privat. Politik muss neutral sein und allen Religionen Raum geben.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Sie sprechen am Freitag via Videobotschaft auf dem Pina-Kongress in Dornbirn. Warum ist das für Sie wichtig?

Bakthari: Leider war ich noch nicht in Vorarlberg, kenne aber die Institution. Er ist eine großartige Plattform, besonders für die junge Generation. Dort können Stimmen erhoben, Meinungen ausgetauscht und demokratische Werte gelebt werden. Ich fühle mich geehrt, dort zu sprechen.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Was möchten Sie den Menschen mitgeben, die Ihnen zuhören?

Bakthari: Ich bin Karrierediplomatin, doch ich habe meine Mission erweitert: von Diplomatie zu „Advocacy“. Diplomatie bedeutet nicht nur Schweigen und Protokoll. Wenn Millionen ihrer Rechte beraubt werden, muss man sprechen. Worte sind unsere stärkste Waffe. Mit Dialog, Respekt und gegenseitigem Verständnis können wir die Welt verändern.

Manizha Bakthari
Manizha Bakthari, die afghanische Botschafterin in Wien.

Zur Person

Manizha Bakthari kam 1972 in Kabul zur Welt. Sie arbeitete zunächst als Journalistin und lehrte an einer Universität, bevor sie sich für die Rechte von Frauen und Mädchen engagierte. Nach zwei Jahren als Kabinettschefin im afghanischen Außenministerium wurde sie im Alter von 35 Jahren zur Botschafterin in Norwegen ernannt. Seit 2020 vertritt sie Afghanistan in Österreich – auch nach der Machtübernahme.

(NEUE Vorarlberger Tageszeitung)