Ein kunstvoller Klageschrei gegen die Knechtschaft der Frau

„Alice im Land ohne Wunder“ verbindet Klassiker und reale Erfahrungen zu einem packenden Theatererlebnis.
Wie kunstvoll der Klageschrei gegen die patriarchale Knechtschaft der Frau erklingen kann, offenbart „Alice im Land ohne Wunder“. Diesen Sonntag feiert die neue Produktion des Landestheater Vorarlberg in der Box Premiere. Die NEUE nahm im Vorfeld an einer Probe teil und gewann Einblick hinter die Kulissen.

Grausam geiles Geifern
Die Grundlage bildet ein Monolog des italienischen Nobelpreisträgers Dario Fo und seiner Partnerin Franca Rame aus dem Jahre 1977. In der gekürzten Adaption der regieführenden Schauspielerin Maria Lisa Huber erscheint er mit neuem Ende und Stimmen aus der Wirklichkeit. Wie in der Vorlage zeigt das Stück eine erwachsene Alice, klar angelehnt an Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ (1865). Auf der Flucht vor den luftraubenden Zwängen von Gesellschaft und Familie fällt sie in eine scheinbar ganz andere Welt. Töricht wer glaubt, dass sie hier als Frau vor den geilen Geifern männlicher Herrschaft geschützt ist. Sogar Wald und Maschinen greifen nach ihr. Alice scheint nirgends sicher, alles und alle will ihr an den Leib. „Es ist erstaunlich, wie wenig sich die Themen der Geschichte verändert haben“, berichtet Huber.

Starker Gang nach schwere Krise
Wie rettende Hände erklingen schmerzvolle Erzählungen aus dem Off. Sie stammen von vier Frauen aus dem Bodenseeraum, eigens von Huber interviewt. Was alle vereint, ist ein starker Gang nach schweren Krisen. So erzählt Bianca von einer höllischen Kindheit. In ihrer Familie war sie von unbestimmten Übergriffen betroffen und kompensierte das Leid mit Essen. Jetzt lebt sie in Distanz zur Familie und zeigt, wie wichtig ein Bruch für die Heilung sein kann.
Die aus Somalia stammende Bella hingegen verstand erst als junge Frau, dass ihre Genitalien in früher Kindheit verstümmelt wurden. Jetzt widmet sie ihr Leben dem Kampf gegen diese Form der Gewalt.
So entsteht ein Stück mit einer Schauspielerin und vielen Stimmen. Für die Box üblich steht Publikum ganz nah am Set. Es besteht aus Schachbrettfeldern, gekleideten Schaufensterfiguren und einer Leinwand. Alice huscht dahinter, verzerrt im Licht, zeigt ihre Silhouette, wie es sie förmlich zerreißt.
Wärmebilder aus der Luft
Imposante Videoeinspielungen markieren Übergänge von Gegensätzen. Sie sind das Werk der Regieassistentin Olga Gubina, einer ausgebildeten Drohnenpilotin. Ausgestattet mit einer Wärmebildkamera der Firma GeoLanes, steuerte sie ein Flugobjekt vom Waldhang zu Stadt und See über ganz Bregenz. Die eingefangenen Bilder wirken zugleich abstrakt wie verletzlich, kalt und warm.
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Dass sie bei jeder Darbietung in neuer Gestalt erscheinen, ist Designer Stefan Kainbacher zu verdanken: „Ich habe ein interaktives Programm entwickelt, auf dessen Basis die Videos von der Live-Musik im Stück angesteuert und verfremdet werden können. Da sich der Videostream immer wieder neue aufbaut, kommen die Bilder verfremdet zum Leben und werden ein eigener Akteur. Alice wirkt dabei wie auf einem Trip im Zerrspiegel.“
Geigenspieler mit Keyboard
Live dabei Iman Taghadossi mit eigens für das Schauspiel komponierten Stücken. „Seine atmosphärische Musik eignet sich perfekt für Theater“, schwärmt die federführende Huber. Von Berufswegen Gitarrenlehrer in der nahen Schweiz, ist es seine erste Kooperation mit dem Landestheater.

In diesem Rahmen komponierte Taghadossi eigene Arbeiten für das Stück, die er vorweg aufgenommen über Keyboard und Effektgeräte abspielt. Gleichzeitig unterstreicht spontan er mit improvisiertem Geigenspiel Nuance des Stücks. „Da die Klänge das Video verändern, passe ich auf, dass es die Bilder nicht zu stark verzerrt. Bei Improvisation geschieht aber vieles unbewusst, daher gelingt es mir nicht immer. Manchmal werde ich beim Spiel von der Musik mitgerissen“, zeigt sich der Bregenzer bescheiden.
„Alice im Land ohne Wunder“ besticht als Behandlung seelischer Wunden so wie durch den eleganten Einsatz neuerer Technologien.
Die Premiere findet am Sonntag, dem 5. Oktober, um 19.30 Uhr in der Box des Landestheater Vorarlberg statt.