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“So lange ich lebe, werde ich um diese Siedlung kämpfen”

04.10.2025 • 23:26 Uhr
"So lange ich lebe, werde ich um diese Siedlung kämpfen"
Thomas Götz kämpft für den Erhalt der Südtirolersiedlung. Hartinger

In der Siedlung Südtirolerplatz in Hard stehen immer mehr Wohnungen leer. Die Vogewosi spricht von Wirtschaftlichkeit, Bewohner befürchten einen baldigen Abriss. Eine Geschichte über Verunsicherung, leistbares Wohnen und den Kampf um ein Stück Geschichte am See.


Thomas Götz steht vor dem Haus Nummer 2 am Südtirolerplatz in Hard und blickt nach oben. 1945 fanden seine Großeltern hier eine neue Heimat. Sie kamen aus Algund bei Meran – jenem Ort, in dem Anna Ladurner, die spätere Frau von Freiheitskämpfer Andreas Hofer, geboren wurde. Von großen Schlachten ist hier nicht die Rede. Doch auch Götz führt einen Kampf. Er will, dass die Südtirolersiedlung erhalten bleibt. „Hier bin ich aufgewachsen, hier will ich bleiben – und zwar bis ich mit dem Sarg hinausgetragen werde“, sagt der 48-jährige Harder und lacht. Doch er meint es ernst, sehr ernst.

Prägender Teil des Ortsbildes

Die Siedlung selbst ist ein Stück Zeitgeschichte. Zwischen 1940 und 1943 wurde sie am Harder Seeufer gebaut. Als neues Zuhause für Familien aus Südtirol, die nach dem Umsiedlungsabkommen zwischen Hitler und Mussolini quasi gezwungen waren, ihre alte Heimat zu verlassen. 15 Häuser mit 73 Wohnungen umschließen einen weiten Innenhof. „Diese Siedlung ist seit 80 Jahren ein prägender Teil des Ortsbildes“, sagt Götz. „Als sie gebaut wurde, stand hier außer der Kammgarn nicht viel. Heute wäre so ein Stück Boden unerschwinglich.“ Tatsächlich handelt es sich um ein Filetstück in bester Lage. Ein Areal, auf das viele Bauträger wohl längst ein Auge geworfen haben.

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Die Zukunft der Südtirolersiedlung am See in Hard ist ungewiss. Hartinger

Trotz ihres Alters besitzt die Südtirolersiedlung Qualitäten, die andernorts selten geworden sind: Der Maßstab ist menschlich geblieben, die Anlage überschaubar. Zwischen den einzelnen Häusern gibt es großzügige Grünflächen, die, gerade weil Balkone fehlen, zu Orten der Begegnung werden. Ursprünglich dienten viele dieser Wiesen der Selbstversorgung. Ein paar wenige Gemüsegärten gibt es heute noch.

16 Wohnungen stehen leer

Doch die Jahre haben auch Spuren hinterlassen. Von einigen Häusern blättert der Putz ab, geschlossene Fensterläden zeugen von leerstehenden Wohnungen. Hinter 16 Türen wohnt mittlerweile niemand mehr. „Man will die Siedlung ausbluten lassen“, sagt Götz. Für ihn ist klar: „Der Abriss ist längst vorbereitet, auch wenn offiziell noch etwas anderes kommuniziert wird.“ Schon 2022 hatte die Vogewosi die Bewohner schriftlich informiert, dass die Zukunft der Anlage offen sei. Eine Arbeitsgruppe solle mögliche Szenarien prüfen. Knapp hundert Anrainer unterschrieben eine Petition für den Erhalt der Siedlung. Drei Jahre später ist noch immer nichts entschieden, und mit jeder Wohnung, die nicht mehr nachvermietet wird, wächst die Verunsicherung.

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Aussagen von Vogewosi-Chef in der Kritik

Für weitere Unruhe sorgte zuletzt ein Interview mit Vogewosi-Geschäftsführer Hans-Peter Lorenz in der NEUE am Sonntag, in dem er den Zustand der Südtirolersiedlungen allgemein als problematisch beschrieb. „Innen kracht es an allen Ecken, die Substanz ist schlecht, und es riecht modrig“, sagte Lorenz.
Vor allem in Hard fühlten sich einige Bewohner vor den Kopf gestoßen. „Wenn die Gebäude und Wohnungen tatsächlich in dem Zustand wären, wie Herr Lorenz das beschreibt, würden die Leute doch reihenweise ausziehen“, entgegnet Götz. In Wirklichkeit, sagt er, ziehen die meisten aus, weil sie etwas Kleineres suchen oder weil sich ihre Lebensumstände ändern, und nicht, weil die Wohnungen unbewohnbar wären. Auch in einem anonymen Schreiben an die Redaktion heißt es, die Darstellung verwahrloster Zustände sei „brisant und schlicht falsch“. Zahlreiche Bewohner hätten in den vergangenen Jahren selbst investiert, Böden verlegt, Küchen erneuert und Bäder saniert.

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Bewohner Thomas Götz im NEUE-Gespräch. Hartinger

Top 53 in Haus 5: Ein Fall, der Fragen aufwirft,

Über der Frage, warum Wohnungen nach einem Auszug nicht mehr nachvermietet werden, gehen die Meinungen auseinander. Die Vogewosi spricht von wirtschaftlicher Notwendigkeit, die Bewohner von einer bewussten Strategie, um die Anlage schneller zu entleeren. Götz hat sich in den vergangenen Jahren bereits zweimal erfolgreich für eine Wiedervermietung eingesetzt. Doch an Top 53 in Haus 5 beißt er sich die Zähne aus. Der Fall wirft Fragen auf.

Nach einem „etablierten Verfahren“, so heißt es in einem Schreiben der Abteilung Wohnbauförderung, habe die Vogewosi die Wohnung als nicht mehr vermietbar eingestuft. Begründet wurde das unter Verweis auf die im Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) verankerten Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit: Die Kosten für die Brauchbarmachung der Wohnung könnten aus dem Erhaltungs- und Verbesserungsbeitrag nur über eine überlange Dauer refinanziert werden.

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Auch Gemüsegärten gibt es, ursprünglich waren die Flächen zwischen den Häusern voll davon. HArtinger

Letzter Mieter sieht die Sache anders

Der letzte Mieter dieser Wohnung sieht das anders (Name der Redaktion bekannt). Die Wohnung, sagt er, sei in gutem Zustand gewesen. Mit massiven Eichenböden, die vor seinem Einzug vor sechs Jahren neu verlegt wurden, einem damals frisch verfliesten Bad, intakten Fenstern und Türen sowie einer gepflegten Küche samt Geräten, die er einem Nachmieter samt Geräten sogar kostenlos überlassen hätte. Zusätzlich hatte er Infrarot-Wärmeplatten eingebaut, für die er eine Ablöse von 250 Euro wollte. Doch letztlich musste alles raus.

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Thomas Götz (48) führt durch die Siedlung, in der er jede Ecke kennt. Hartinger

Notwohnung?

Hans-Peter Lorenz erklärt dazu, die Wohnung sei später aus der üblichen Vergabe herausgenommen worden und werde als Notwohnung bereitgehalten, etwa für Fälle von Brand- oder Wasserschäden. Für solche kurzfristigen Zwecke sei sie durchaus geeignet. Eine reguläre Vermietung erfordere jedoch oft Investitionen von bis zu 15.000 Euro, vor allem für die Erneuerung von Elektro- und Sanitärinstallationen. Jeder Euro, der in eine Flicksanierung fließe, fehle später bei der großen Lösung, die seiner Meinung nach kommen müsse – egal, ob Sanierung, Teilabbruch oder kompletter Neubau. Götz kann dieser Argumentation wenig abgewinnen. „Wenn die Wohnung wirklich als Notquartier dienen soll, warum reißt man dann eine funktionierende Küche und eine Heizung heraus?“, fragt er. Für ihn ist der Fall ein Beweis dafür, dass die Vogewosi nicht mit offenen Karten spielt.

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Bürgermeister Martin Staudinger. Hartinger

Bürgermeister wünscht sich gemeinsame Planung

Auch Bürgermeister Martin Staudinger kennt die Südtirolersiedlung gut. Seine Großeltern lebten dort, seine Mutter ist in der Anlage aufgewachsen. Heute verfolgt er die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Rund 200 Menschen stehen auf der Warteliste für eine gemeinnützige Wohnung in Hard. Doch Staudinger bestätigt auf Anfrage, was man aus mehreren Gemeinden hört: Kaum jemand will noch in eine Südtirolersiedlung ziehen.
Der Gemeindechef versteht sowohl die Bewohner, die verunsichert sind, als auch die Vogewosi, die wirtschaftlich handeln muss. Zugleich fordert er eine offene Kommunikation gegenüber den Bewohnern und eine gemeinsame Planung. „Ich würde mir wünschen, dass wir gemeinsam mit der Vogewosi eine Strategie entwickeln können, wgleichzeitig ins neue Jahrhundert führen kann.“
Als Bürgermeister und oberste Baubehörde formuliert er eine klare Grenze: „Ohne dass wir wissen, was hier genau passiert, gibt es jedenfalls keinen Abrissbescheid von uns.“