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Überbordende Bürokratie als Bremsschuh der heimischen Seilbahner

HEUTE • 16:58 Uhr
Überbordende Bürokratie als Bremsschuh der heimischen Seilbahner
Christian Weiler und Andreas Gapp beim Gespräch in der NEUE-Redaktion. Hartinger

Seilbahner-Obmann Andreas Gapp und Skigebietsplaner Christian Weiler über Genehmigungen, Kosten, Preise – und warum Transparenz statt Parteistellungen schneller zum Ziel führen soll.

Der überbordende Kampf mit der Bürokratie steht auch bei den Seilbahnern ganz oben an der Tagesordnung – und soll nun ebenfalls vehement reduziert werden.

Die alpine Tourismusbranche steckt mitten in einer Systemdebatte. Verfahren werden länger, Akten dicker, Kosten höher – und am Ende zahlen oft die Gäste. Das zeigen Andreas Gapp, Fachgruppenobmann der Seilbahner, und Christian Weiler, Skigebietsplaner (Klenkhart & Partner), in einem ausführlichen Gespräch mit der NEUE. Weiler zitiert mit Dr. Heinrich Klier (Stubaier Bergbahnen) einen echten Pionier der Branche: „Früher haben wir drei Monate geplant und drei Jahre gebaut – heute ist es umgekehrt.“ Und fügt an: „Diese Aussage kann ich heute mehr denn je bestätigen.“ 

Wenn Dauer zur Falle wird

Aus Sicht des Planers haben die Verfahrensdauern in den vergangenen Jahrzehnten „immer länger“ gedauert – ohne dass die Qualität der Projekte in gleichem Maß gestiegen wäre. „Die Ansprüche der Behörden sind immens gestiegen – teils überproportional“, sagt Weiler. Der Effekt: Zeit fresse Wirtschaftlichkeit. Finanzierungen würden auf Basis von Kostenschätzungen und realistischer Verfahrensdauer aufgestellt – „die Praxis zeigt dann, dass es deutlich länger dauert“. Am Ende „wird das Ganze unwirtschaftlicher, was sich schlussendlich beim Preis für den Gast niederschlagen muss.“ 

Verfahrensänderungen gewünscht

Beide Gesprächspartner betonen, dass es nicht um ein Absenken von Umwelt‑, Natur‑, Konsumenten‑ oder Arbeitnehmerschutz geht. „Wir müssen uns überlegen, ob wir neue Verfahren entwickeln können, wo wir das Schutzniveau beibehalten – aber trotzdem schneller“, fordert Gapp. Seine Diagnose für die wachsende Komplexität: Zum einen steige das Schutzniveau, zum anderen habe „die Zahl der Beteiligten“ zugenommen – und damit die Möglichkeit, Verfahren taktisch zu verzögern. 

Überbordende Bürokratie als Bremsschuh der heimischen Seilbahner
Christian Weiler ist Experte für die Planung von Skiebieten. Hartinger

Gapp plädiert für klare Rollen und ein Behördenverfahren ohne breite Parteistellungen – dafür mit radikaler Akteneinsicht für alle: „Transparenz ist wie in vielen Lebenslagen die beste Medizin. Jeder soll Einsicht haben und Stellung nehmen können, am Ende entscheidet die Behörde – nicht derjenige, der am längsten verzögert.“ „Wir müssen am System arbeiten, nicht im System.“ 

Ein Blick nach Bayern

Als Gegenmodell nennt Weiler Bayern. Dort habe man die Verwaltung „massiv abgespeckt“ und viele Prüftätigkeiten an private, haftpflichtversicherte Sachverständige übertragen, die regelmäßig fortgebildet und alle fünf Jahre erneut bestellt werden. Die staatliche Fachbehörde überprüfe stichprobenartig auf Nachvollziehbarkeit. „So funktioniert Verwaltungsvereinfachung.“ Neu sei zudem, so Weiler, dass seit dem „dritten Modernisierungsgesetz“ in Bayern UVP‑Schwellenwerte „massiv angehoben“ worden seien. Verfahren würden konzentriert, Umweltverbände hätten Einsichts- und Stellungnahmerechte, aber keine Parteistellung mehr. „Ich reiche ein – abgestimmt mit der Behörde – und innerhalb von vier Monaten habe ich einen Genehmigungsbescheid.“ Die Devise sei dort klar: „Eine UVP ist dazu da, ein gutes Projekt zu genehmigen – nicht, es zu verhindern“, führt der Skigebietsplaner weiter aus. 

Überbordende Bürokratie als Bremsschuh der heimischen Seilbahner
Michael Tagwerker (WKV), Christian Weiler und Andreas Gapp wollen schnellere Verfahren durchsetzen. Hartinger

Kampf mit der Bürokratie. Besonders stoße der Branche auf, dass Ersatzprojekte heute de facto wie Neubauten behandelt werden – „volles Programm, mit allen Beteiligten“. Weiler berichtet von einem Fall, bei dem exakt dieselbe Trasse nach 20 Jahren erneuert wurde. Mit einem mehrfachen Aufwand an Bürokratie, obwohl sich an der Grundlage nichts geändert habe. Eine Monitoring‑Auflage habe in einem weiteren Projekt gezeigt, dass Flächen 20 Jahre später deutlich hochwertiger geworden  seien als davor. Dennoch habe die Behörde im Folgeverfahren zusätzliche Kompensationen verlangt, da der Boden durch die Nutzung aufgewertet worden war: „Der Seilbahner wird bestraft, obwohl er übererfüllt hat.“ Weiler fordert daher eine lernende Verwaltung, die gute Praxis anerkennt, statt sie zu verteuern. 

Naturschutz im Fokus

Dass sich Natur- und Rahmenbedingungen im Hochgebirge ändern – etwa Böden, Wasserhaushalt oder Lebensräume – stelle niemand in irgendeiner Form in Abrede. Gapp betont: „Klare, verlässliche Standards müssten vorab festgelegt werden, damit Projekte nicht mitten im Bau durch anonyme Anzeigen oder unklare Zuständigkeiten ausgebremst würden. „Entscheiden muss die Behörde und transparent begründen.“ 

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Mehr Parteistellungen bedeuten nicht mehr Sicherheit, meint der Kleinwalsertaler Bergbahner: „Das ist eine Scheinsicherheit.“ Verantwortlich bleibe immer die Behörde – typischerweise die Bezirkshauptmannschaft –, auch wenn intern Fachabteilungen unterschiedlicher Ansicht seien. Private Sachverständige mit strengen Qualifikationen und Haftpflicht könnten Qualität heben und Rollen schärfen. 

Der Seilbahner-Obmann warnt vor zu viel Stückwerk: „Wir müssen eine Systemdiskussion führen, und nicht nur eine einfache Anlassdiskussion.“ Natürlich könne man einzelne Materiengesetze novellieren, „aber entscheidend ist die Verfahrensarchitektur“: konzentrierte Zuständigkeiten, klare Rollen, Transparenz, ein umfangreiches Stellungnahmerecht statt der Parteistellung. Und eine Behörde, die haftet, begründet und entscheidet. 

Optimistischer Blick in die Wintersaison

Trotz Kritik blickt die Branche optimistisch nach vorn. Die Gästebasis sei breit, Buchungen kämen früher, die Sommersaison sei stark gewesen. „Wir agieren nicht aus einer Position der Schwäche“, sagt Weiler. Um diese Stärke zu halten, brauche es aber Entschlackung: „Wenn wir derzeit ein Wirtschaftswachstum von minus null Komma irgendwas haben, müssen wir uns überlegen, wie wir Kräfte entfesseln – ohne Schutzniveauverlust.“ Zeit sei dabei Geld. Jede Verzögerung lasse weniger für die Investition übrig.

(NEUE Vorarlberger Tageszeitung)