“Wählen allein macht noch keine Demokratie aus”

Johannes Hartmann und Evelyn Dünser sind die neuen Landessprecher der Grünen Jugend. Sie erzählen über ihren Weg in die Politik und schlagen Lösungen für eine bessere Demokratie vor.
Herr Hartmann, Sie kommen ursprünglich aus der Klimaschutzbewegung Fridays For Future (FFF) und sind nun für die Grüne Jugend aktiv. Außerdem kandidieren Sie als Vorarlberger Spitzenkandidat der Grünen bei der EU-Wahl. Wie sind Sie in die Politik gekommen?
Johannes Hartmann: In den Jahren bei FFF habe ich gemerkt, dass es sinnvoll ist und sich was tut. Bei mir war ausschlaggebend, dass sich sehr viel aktuell verändert und dass durch den Rechtsruck die Demokratie in Gefahr ist. Das gab für mich den Ausschlag, in die Politik zu gehen, junge Menschen zum Wählen zu motivieren und auch eine Stimme für die Jugend zu sein, die momentan keine lustigen Zukunftsaussichten hat. So kam ich zur Grünen Jugend und in die Richtung Politik.

Waren die Grünen die erste Wahl? Auch andere Parteien haben zeitweise um die Gunst von FFF geworben.
Hartmann: In Vorarlberg sind für mich nur die Grünen in Frage gekommen. Vor allem bin ich bei der Grünen Jugend aktiv, die sich grundlegenden Fragen stellt. Wir beschäftigen uns damit, wie eine gerechte Gesellschaft aussehen kann. Wie können wir in einer stabilen Demokratie dem Rechtsruck und der Klimakrise begegnen? Wie können wir der Klimakrise begegnen? Wie gehen wir mit der Schere zwischen Arm und Reich um? Ich kandidiere auch für die Grüne Jugend für das EU-Parlament.
Frau Dünser, Sie sind auch außerhalb der Politik bereits mit Ihrer Diplomarbeit über fair und ökologisch produzierte Mode im Rampenlicht gestanden. Diese hat den „Glaub an dich-Award“ gewonnen. Woher kommt Ihr Interesse für nachhaltige Kleidung?
Evelyn Dünser: Es ist wichtig, dass wir für eine nachhaltige Gesellschaft die Art des Wirtschaftens verändern. Einzelne Unternehmen tun das bereits und auch im Privaten gibt es Möglichkeiten dafür. Mir war wichtig, bei der Diplomarbeit ein Thema zu bearbeiten, dass mir am Herzen liegt. Ich wollte aufzeigen, dass es Alternativen zu Fast Fashion gibt.

Als Schülerin sind Sie schon recht jung in die Politik gekommen. Wie war Ihr politischer Werdegang?
Dünser: Mich haben tatsächlich auch die FFF-Demonstrationen politisiert. Dadurch ist mir bewusst geworden, wie wichtig es ist, sich als junge Person politisch zu engagieren und dass das auch möglich ist. So kam ich zur Grünen Jugend.
Es scheint unter jungen Menschen kein Trend zu sein, sich politisch zu engagieren. Dazu wirft man der „Generation Z“ gerne vor, politikverdrossen zu sein. Wie kann man junge Menschen dazu bewegen, sich politisch zu engagieren.
Hartmann: Vor allem muss man für junge Menschen Möglichkeiten schaffen, sich einzubringen und nicht zuschauen zu müssen. Gleichzeitig muss man ihnen aber auch eine Perspektive aufzeigen. Wenn man sieht, dass sich nicht wirklich was bewegt und dass die meisten Parteien keinen wirklichen Plan haben, wo es hingehen soll, ist es schwierig, ein Ziel zu sehen. Wofür soll man sich überhaupt engagieren? Es ist wichtig – und das versuchen wir auch bei der Grünen Jugend – einen Weg und Alternativen aufzuzeigen, die man ausprobieren könnte. Man muss ein Feld schaffen, wo junge Menschen Politik machen können, wo sie mitentscheiden können.
Dünser: Wichtig ist, zu zeigen, dass es eine Wirkung hat, wenn man sich einbringt. Die Erfahrung der meisten jungen Leute ist: Ich engagiere mich, aber schlussendlich ist das, was ich sage, egal oder hat keine Auswirkungen. Das frustriert. Von da kommt vielleicht auch die Verdrossenheit – wenn man das Engagement damit abtut, dass die Jungen eh keine Ahnung haben. Würde man sie ernst nehmen und mit in Entscheidungen einbeziehen, würde das extrem viel verändern. Bei der Grünen Jugend versuchen wir, wie Johannes schon sagte, uns mit den großen Zukunftsfragen auseinanderzusetzen, Alternativen aufzuzeigen und die Ängste der jungen Menschen ernstnehmen.

Jugendorganisationen stehen nicht immer in der Gunst ihrer „Mutterpartei“, nicht zuletzt aufgrund des umstrittenen Postings der Sozialistischen Jugend zum Nahostkonflikt. Wie ist das Verhältnis der Grünen Jugend zur Grünen „Mutterpartei“?
Hartmann: Wir haben ein gutes Verhältnis, sind freundschaftlich-kritisch. Kritisch zu sein, ist wichtig. Wir haben aber auch ganz unterschiedliche Rollen. Die Grünen machen parlamentarische Arbeit und die Grüne Jugend beschäftigt sich damit, wie man darüber hinausdenken kann. Zum Beispiel, wie man Demokratie noch besser gestalten kann, sodass Konzerne weniger Einfluss haben und die Stimmen aller Menschen, vor allem der Jugend, gehört werden. Diese unterschiedlichen Rollen füllen wir gut aus.
Wie sehen Ihre Ideen für eine bessere Demokratie aus?
Dünser: Es braucht auf jeden Fall mehr Möglichkeiten zur Mitbestimmung. Wählen allein macht noch keine Demokratie aus. Es muss möglich sein, beispielsweise auf kommunaler Ebene mehr mitzugestalten. Es fällt auf, dass gerade junge Leute oft nicht einmal wissen, wie sie mitgestalten können. Da muss noch ganz viel politische Bildung passieren. Außerdem sieht man durch Korruptionsaffären: Wer viel Geld hat, kann sich zum Beispiel Gesetze kaufen. Das ist absolut nicht demokratisch. Es muss eine Umverteilung geschehen, denn es darf nicht sein, dass reiche Menschen sich die Welt nach ihren Vorstellungen zusammenkaufen können.
Hartmann: Wir behaupten nicht, dass wir wissen, wie die perfekte Demokratie aussieht. Wir entwickeln Ideen in diese Richtung. Es gibt gute Beispiele, wie Mitbestimmung funktionieren kann, etwa der Klimarat, der stattgefunden hat. Dessen Positionen sind viel radikaler als alles, was die Politik momentan zu beschließen schafft. Da arbeitet ein Querschnitt der Bevölkerung Maßnahmen aus und dann macht man davon wenig bis gar nichts. Wichtig wäre, dass solche Räte eine Entscheidungsmacht bekommen oder dass man deren Ideen zumindest anders behandeln muss und nicht einfach vom Tisch wischen kann. Denn das demoviert und schwächt die Beteiligung der Menschen an der Demokratie.
Dünser: Eigentlich wäre es die Aufgabe der Politik, in einer Demokratie das zu tun, was die Mehrheit will. Dementsprechend muss solchen Räten eine gewisse Macht gegeben werden, da sie ja eigentlich die Bürgerinnen und Bürger repräsentieren.

Die Grüne Jugend engagiert sich auch gegen Rechtsextremismus. Während die Grünen bei Umfragen stark an Zuwachs verlieren, legt die FPÖ massiv zu. Wie erklären Sie sich das?
Hartmann: Das hat ganz viel mit Frustration zu tun. Es gibt viele Leute, die nicht mehr ihre Mieten zahlen können und die nicht mehr wissen, wie sie ihren Alltag bestreiten können. Das schafft die FPÖ leider, abzuholen – und zwar nicht mit echten Antworten, sondern mit Verschwörungstheorien, Scheinantworten und Schuldzuweisungen gegenüber allen möglichen „anderen“. Da sind auch wir gefragt, diese Ängste mit echten Perspektiven abzuholen.
Wie können diese echten Perspektiven aussehen?
Hartmann: Wir sind dran, solche zu entwickeln. Zum Beispiel die Vorschläge zur Demokratie. Aber beispielsweise auch, die Vermögensverteilung ernst zu nehmen, zu hinterfragen und zu verändern. Die einen können ihre Miete nicht mehr bezahlen und andere überlegen, wo sie die nächste Yacht kaufen sollen. Auch bei der Bekämpfung der Klimakrise muss man sich fragen, wie man eine Perspektive bieten kann.
Dünser: Wir versuchen immer zu analysieren und zu erarbeiten, wo Probleme wirklich herkommen. Die Schuldzuweisungen, einfach nur um einen Sündenbock zu haben, kennen wir aus der Geschichte und wir wissen, wie das ausgeht. Das darf nicht passieren. Man beobachtet, dass in Krisenzeiten die Rechten erstarken, weil sie eben diesen Sündenbock haben. Antworten zu finden ist eine Herausforderung, weil es oft große, abstrakte Fragen sind, aber wir versuchen das trotzdem anzugehen.
Hartmann: Es geht viel um die Frage, wie wir in Zukunft leben und wirtschaften wollen. Wir versuchen das auf konkrete Projekte umzulegen und wir hoffen, dass uns noch viele gelingen werden, um das greifbarer zu machen.

Wie kann man Menschen zur Erkenntnis bringen, dass komplexe Probleme nicht mit den von Ihnen angesprochenen Scheinantworten und Verschwörungstheorien lösbar sind?
Dünser: Es gibt eine spannende Studie, wo man analysiert hat, was gegen Verschwörungstheorien hilft. Wenn Menschen da einmal drin sind, ist es schwer, sie wieder rauszuholen. Wirklich wirksam ist, die Schemata, die in Verschwörungen immer wieder vorkommen, aufzuzeigen. Dann kann man sie wiedererkennen und lässt sich nicht darauf ein.
Hartmann: Damit die Leute da gar nicht hinkommen, ist es wichtig, Existenzängste ernst zu nehmen und zu schauen, dass sie sozial abgesichert sind. Wenn es den Menschen gut geht, brauchen sie die einfachen Antworten gar nicht.

Welche Rolle spielt in dieser Sache die politische Bildung an Schulen?
Dünser: Politische Bildung fördert die Demokratie. Auch die Medienkompetenz spielt heutzutage im Hinblick auf Fake News eine riesige Rolle, das sollte ebenfalls im politischen Bildungsunterricht aufgegriffen werden.
Wie ist Ihre Erfahrung mit der politischen Bildung als Schülerin?
Dünser: In den meisten Schulen bilden politische Bildung und Geschichte ein Fach, so auch an meiner. Der Hauptteil der Zeit wird für Geschichte investiert und politische Bildung kommt ziemlich kurz. Ich hatte politische Bildung kurz in der zweiten Klasse. Danach kam es immer wieder kurz vor, aber nicht in dem Ausmaß, in dem ich es mir wünsche und als nötig erachte.
Wie war das zu Ihrer Schulzeit, Herr Hartmann?
Hartmann: Zumindest war es nicht so viel, dass ich schon in der Schule politisiert worden wäre. Das geschah erst später, durch die FFF-Proteste. Es wäre schon wichtig, wenn man nach der Schule wüsste, wie relevant Politik für das eigene Leben ist und das war bei mir nicht der Fall.
In Vorarlberg gibt es zwei große Verkehrsprojekte: Die Tunnelspinne Feldkirch und die S 18. Die Grüne Jugend macht gegen diese Projekte stark. Derzeit ist die Tunnelspinne in Bau und auch bei der S 18 sind die Pläne noch nicht vom Tisch. Haben die Proteste gegen diese Projekte Wirkung gezeigt?
Hartmann: Das sind hervorragende Beispiele für das Umdenken, von dem wir reden. Das hat im Land noch nicht stattgefunden. Noch immer sind es dieselben Lösungen: Es gibt viel Verkehr, also bauen wir noch eine Straße. Die CO2-Emissionen interessieren viele nicht, vor allem von der ÖVP. Wie wollen wir in Zukunft von A nach B kommen? Wie soll der öffentliche Raum aussehen? Solche Fragen sollten in ein Verkehrskonzept miteinbezogen werden. Dann kommt – da bin ich mir sicher – nicht so etwas heraus wie die Tunnelspinne oder die S 18. Zur Wirksamkeit der Proteste: Dass die S 18 nach so vielen Jahren noch nicht gebaut wurde, zeigt, dass die Proteste durchaus eine Wirkung zeigen. Ich bin auch gespannt, ob die Tunnelspinne wirklich bis zum Ende gebaut wird. Die Proteste werden noch mehr Wirkung zeigen, wenn umgedacht wird und man sieht, dass diese Wege nicht in eine lebenswerte Zukunft führen.

Wie können alternative Verkehrskonzepte aussehen?
Hartmann: Wir haben uns daran gewöhnt, dass überall Autos sind, doch die Alternativen sind nicht so abwegig. Öffentlicher Verkehr, der gut ausgebaut ist und auch in der Nacht fährt. Carsharing, Fahrradverkehr, Städte, in denen nicht alles zugeparkt ist. Eine Vielzahl an Maßnahmen tun insgesamt neue Möglichkeiten auf.
Dünser: Gerade im öffentlichen Verkehr gibt es schon so viele Möglichkeiten, die nur ausgeschöpft werden müssten. In diesem Bereich wären die Antworten schon da.
Hartmann: Gute Beispiele gibt es auch in Städten wie Amsterdam, wo der Fahrradverkehr einen ganz anderen Stellenwert hat.
Ein polarisierendes Thema im Klimaschutz sind die „Klimakleber“. Wie stehen Sie deren Protestform?
Dünser: Für politische Veränderung ist wichtig, dass auf verschiedenen Ebenen gekämpft wird. Die großen Errungenschaften in der Geschichte kamen durch Proteste. Während wir uns auf Bildungsarbeit fokussieren und versuchen, auf die Partei einzuwirken, machen sie das auf andere Weise. Es macht keinen Sinn, sich gegenseitig aufzuhetzen und zu diskutieren, wer es richtig macht. Schlussendlich kämpfen wir für das Gleiche. Man sollte die Energie eher darin investieren, an das Ziel zu kommen, anstatt sich gegenseitig zu diskreditieren.
Jugendorganisationen sind oft eine Startrampe für eine politische Karriere. Könnten Sie sich einen Weg in die Landes- oder Bundespolitik vorstellen?
Dünser: Ich bin nicht in der Grünen Jugend, um in die Politik zu gehen, sondern weil ich was verändern will. Ich würde nicht ausschließen, dass ich jemals in die Politik gehe, aber es ist nicht mein Ziel und nicht der Grund für mein Engagement.

Hartmann: Bei mir ist es ähnlich. Mein Ziel ist überhaupt nicht, Berufs- oder Karrierepolitiker zu werden. Es ist wichtig, dass die kritische Stimme der Grünen Jugend in die Politik einfließt, durch welche Person auch immer. Das Ziel ist nicht, als Person in die Politik zu gelangen, sondern die Stimme dort hinzubringen.
Herr Hartmann, welches Ziel haben Sie sich für die EU-Wahl gesetzt?
Hartmann: Mein persönliches Ziel ist, möglichst viele junge Menschen anzusprechen, ihnen die Wichtigkeit der EU-Wahl zu zeigen und sie zum Wählen zu motivieren. Darüber will ich junge Menschen politisieren und sie vielleicht auch dazu bringen, sich politisch zu engagieren.

Welchen Stellenwert hat die EU für Sie?
Hartmann: Aus vielen Gründen hat die EU einen großen Stellenwert für mich. Sie beeinflusst unser Leben in vielen Bereichen, in denen man das gar nicht so sieht. Auf den Klimaschutz bezogen ist die EU unglaublich wichtig, denn die Klimakrise ist ein globales Problem und das können wir nicht allein lösen. Die EU ist der globale Treiber für Klimaschutz, auch wenn es immer noch zu wenig ist. Aber sie gibt mir Hoffnung, dass wir es doch noch schaffen, die Klimakrise zu bekämpfen.
Dünser: Was dazu kommt: Die Mehrheit der Gesetze, die Einfluss auf uns in Österreich haben, werden im EU-Parlament beschlossen und das hebt hervor, wie wichtig dieses Gremium ist. Da werden Rahmenbedingungen für unser Leben beschlossen. Bei großen Themen – nicht nur bei der Klimakrise, auch bei anderen globalen Problemen – braucht es eine globale Lösung und die EU bietet da viel mehr Möglichkeiten, eine Lösungsfindung voranzutreiben.
Zu den Personen
Johannes Hartmann (28) stammt aus Schoppernau und ist gelernter Gesundheits- und Krankenpfleger. Er ist der Grünen-Spitzenkandidat aus Vorarlberg für die EU-Wahl.
Evelyn Dünser (18) besucht die Abschlussklasse der HAK Bludenz und kommt aus Schnifis.