Vorarlberg

“Wir haben nicht mit diesem Ausmaß gerechnet”

06.03.2025 • 08:00 Uhr
"Wir haben nicht mit diesem Ausmaß gerechnet"
Tobias Giesinger und Ann-Kathrin Freude sind stolz auf ihren Erfolg. Canva/Hartinger

Die umfangreichen Recherchen zu illegalen Rindertransporten der Tierrechtsorganisation „The Marker“, haben es ins Regierungsprogramm geschafft.

Es war ein großer Tag und eine große Überraschung für Tobias Giesinger und Ann-Kathrin Freude, als sie von den Neuigkeiten erfuhren. Das neue Regierungsprogramm der frisch angelobten Bundesregierung beinhaltet Punkte, die auf den Recherchen von „The Marker“ basieren.
Aber von Anfang an. „The Marker“ ist eine investigative Rechercheplattform aus Dornbirn, die sich mit drängenden Themen wie Tier- und Umweltschutz, Menschenrechte und den globalen Zusammenhängen befasst. Im Laufe des letzten Jahres deckte das Rechercheteam rund um Giesinger und Freude detailliert Missstände bei Rindertransporten auf.

"Wir haben nicht mit diesem Ausmaß gerechnet"
“The Marker” im Gespräch mit der NEUE.


Im Fokus ihrer Recherche standen dabei Problematiken bei Herdenaufbau-Projekten in Algerien. Dabei sollten eigentlich Rinder aus ganz Österreich, darunter auch aus Vorarlberg nach Algerien verfrachtet werden, um dort auf Farmen und Höfen in bereits bestehende Herden eingeführt zu werden. Sie sollten den Bestand vermehren und als Nutztiere gehalten werden. Stattdessen ist ihr Verbleib ab der französischen Grenze praktisch nicht mehr nachvollziehbar und erst einmal in Algerien angekommen, werden die Tiere auf lokalen Viehmärkten, auch in entlegenen Wüstenregionen, verkauft oder direkt geschlachtet. Außerdem erfolgen die Transporte oftmals unter illegalen Bedingungen und ohne behördliche- oder medizinische Aufsicht.
Giesinger und Freude reisten vergangenes Jahr sogar selbst nach Algerien, um sich vor Ort ein Bild machen zu können. Die Bilder dort bestätigten ihre bisherigen Recherchen (Die NEUE berichtete).

Ein großer Schritt

Mit diesen Missständen soll jetzt Schluss sein. Zumindest sieht das ein Teil des neuen Regierungsprogrammes der österreichischen Bundesregierung so vor. Dabei sieht ein Absatz des Programms nun explizit erstmals eine verpflichtende Evaluation des Herdenaufbaus vor.

"Wir haben nicht mit diesem Ausmaß gerechnet"
Der Absatz im Regierungsprogramm.


„Die Bundesregierung setzt sich auf europäischer Ebene für eine Harmonisierung bzw. Anhebung der Tiertransport-Standards ein. Um unrechtmäßige Zuchttierexporte in Drittstaaten hintanzuhalten, wird ein Monitoring eingeführt, das die Nachvollziehbarkeit des Einsatzes der österreichischen Zuchttiere in Drittstaaten ermöglicht und die Sanktionen evaluiert. Zudem wird der Herdenaufbau in den betreffenden Ländern 2025 evaluiert und in regelmäßigen Abständen überprüft“, heißt es in dem Regierungsdokument.

Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Iframely angezeigt.


„Durch diesen Schriftsatz kommen die Politiker und Politikerinnen dem jetzt eigentlich gar nicht mehr aus, dass sie verstärkte Kontrollen durchführen müssen“, sagt Giesinger. „Die Verordnungen sind schriftlich, darauf kann man fortan immer verweisen“, bestätigt auch Freude. „Das Programm ist umfangreich und es hat das Potenzial, wirklich eine große Veränderung zu bewirken.“ Für die österreichischen Zuchtverbände und Exportfirmen bedeutet diese Neuerung, dass sie ihre bisherigen Abläufe überdenken müssen. Sie stehen nun in der Pflicht, transparente Nachweise über den Verbleib der Tiere zu liefern.
Die beiden wussten, dass das Regierungsprogramm ihre Recherchen beinhalten würde, sie wurden im Vorfeld diesbezüglich kontaktiert, verraten sie. „Wir wussten, dass darüber gesprochen wird, wir haben vorher Bescheid bekommen. Den Absatz kannten wir allerdings nicht, der ist wirklich stark. Mit diesem Ausmaß haben wir nicht gerechnet“, freuen sich die beiden.

"Wir haben nicht mit diesem Ausmaß gerechnet"
Die Reiseroute der Rinder von Vorarlberg nach Algerien.

Strafen bisher zu gering

Doch Tobias Giesinger und Ann-Kathrin Freude haben hohe Erwartungen an die neue Bundesregierung. „Es wird unmöglich sein, in Algerien Herdenaufbau nachzuweisen“, erklärt Giesinger. „Da muss jetzt gehandelt werden. Entweder müssen die Transporte nach Algerien komplett ausgesetzt werden, oder es muss harte Sanktionen für Verstöße gegen das neue Gesetz geben“, finden die beiden Tierschützer. Bisher halten sie eher weniger von den verordneten Strafen, bei Nichteinhaltung von Richtlinien. „Bisher sind die Strafen so gering, dass sie einkalkuliert werden können.“

"Wir haben nicht mit diesem Ausmaß gerechnet"


Sie finden klare Worte, klare Forderungen Richtung Wien. „Es wäre gut, wenn die Regierung zum Beispiel jeden Monat, oder vierteljährlich, einen Bericht veröffentlicht.“ Freude findet einen sehr passenden Vergleich zu der momentanen Tiertransportsituation. „Wenn ich Gastronomin bin und ich kriege es nicht hin, zu beweisen, dass mein Essen nicht Salmonellen verseucht ist, dann kann ich es nicht verkaufen“, sagt sie. „Ich finde das auch schon ein recht starkes Signal von der SPÖ an die ÖVP. Die haben ja eigentlich immer die Hand über alles, was Landwirtschaft angeht.“ Giesinger und Freude wollen aber dennoch, oder gerade deswegen, aktiv bleiben. Sie wollen sich auch zukünftig wieder vor Ort in Algerien ein Bild machen und Missstände aufzeigen.

Recherche Tiertransporte Algerien
Bereits vergangenes Jahr reisten Giesinger und Freude nach Algerien, um sich vor Ort ein Bild zu machen. The Marker


Wenn die beiden ihre Unterlagen der Recherchen wieder einsammeln, bekommt man keineswegs das Gefühl eines erreichten Ziels. Eher liegt neu entfachter Kampfgeist in der Luft. Natürlich schwingt auch etwas Zufriedenheit über den großen, erreichten Schritt mit, aber „The Marker“ hat noch lange nicht ausgekämpft, ausrecherchiert und vor allem noch lange nicht aufgegeben. „Wenn wir merken, dass nichts passiert, werden wir uns zur Not auch einmal bei der EU beschweren“, ist sich Freude sicher.