Vorarlberg

Das Unbegreifliche greifbar machen

23.03.2025 • 10:00 Uhr

Seit vier Jahren hilft der Verein VergissMichNicht Sternenkind-Eltern in Vorarlberg, Erinnerungen in Bildern festzuhalten.

Wenn das Leben endet, bevor es richtig begonnen hat, hinterlässt es eine schmerzhafte Lücke. Seit vier Jahren hilft der Verein VergissMichNicht – Sternenkinder Fotografie betroffenen Familien in Vorarlberg, Erinnerungen an ihre früh verstorbenen Kinder zu bewahren. Bei einer Pressekonferenz in Bregenz wurde Bilanz gezogen und auch betont, wie wichtig es ist, das Thema weiter aus der Tabuzone zu holen.

Sternenkinder Verein
Die Fototermine des Vereins VergissMichNicht sind auch für die Fotografinnen und Fotografen besonders. MEDIArt

„Die stille Geburt ist nicht still“, sagte Vereinsobmann Andreas Uher. „Der Schmerz begleitet die betroffenen Mütter, Väter und Geschwister oft ein Leben lang.“ Seit der Vereinsgründung wurden 134 Sternenkinder fotografiert, allein im vergangenen Jahr 37 – das entspricht einem Einsatz alle zehn Tage.

Bleibende Erinnerungen

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Die Idee zur Gründung entstand 2020, als Hebammen in Vorarlberg auf die Berufsfotografen zukamen. „Früher haben wir die Bilder selbst gemacht – mal gut, mal weniger gut. Aber es war wichtig, den Eltern diese Möglichkeit zu geben“, erinnert sich Bernadette Briesmann vom Hebammengremium Vorarlberg. Da eine Anbindung an bestehende Organisationen nicht möglich war, entschieden sich sechs Fotografen und eine Hebamme zur Vereinsgründung.

Sternenkinder Verein
Das emotionale Gemälde von Maribel Rico wurde beim Termin erstmals enthüllt. Sams

Inzwischen gibt es ein flächendeckendes Angebot: In jedem Vorarlberger Krankenhaus mit Geburtsabteilung stehen auf Wunsch einehrenamtliche Fotografen zur Verfügung. Ein Novum in Österreich. „Wir sind stolz darauf, dass Vorarlberg hier eine Vorreiterrolle einnimmt“, so Uher.

Sternenkinder Verein
Die berührenden Bilder sind für die Aufarbeitung eines solchen Schicksalsschlags und das Erinnern enorm wertvoll. MEDIArt

Aufarbeitung

Neben der Fotografie spielt die psychologische Aufarbeitung eine große Rolle. Sophia Rüscher-Fussenegger, die die Selbsthilfegruppe Sternen-Klar leitet, weiß aus eigener Erfahrung, was der Verlust eines Kindes bedeutet. „Ich habe meinen Sohn Theo in der 26. Woche verloren. In Wien hatten wir damals keine Möglichkeit für professionelle Bilder. Heute wünsche ich mir, wir hätten diese Erinnerungen.“ Für viele Eltern sei es wichtig, ihr Kind nicht nur im Herzen zu tragen, sondern auch eine konkrete Erinnerung zu haben. „Diese Bilder sind ein Beweis, dass das Kind existiert hat. Sie helfen nicht nur den Eltern, sondern auch Geschwistern, Großeltern und dem gesamten Umfeld, den Verlust zu begreifen.“

Sternenkinder Verein

Ausdruck der Trauer

Dass Erinnerungsarbeit viele Formen annehmen kann, zeigte die Kunstpräsentation im Rahmen der Pressekonferenz. Die bolivianische Künstlerin Maribel Rico, die seit 2005 in Vorarlberg lebt, präsentierte ihr Werk zum Thema Sternenkinder. Sie selbst hat einen verstorbenen Bruder, über den in ihrer Familie lange nicht gesprochen wurde. „Durch meine Arbeit habe ich mich erstmals intensiv mit meiner Mutter über diesen Verlust ausgetauscht. Ich wollte die Emotionen sichtbar machen.“

Kunstwerk
Künstlerin Maribel Rico in ihrem Atelier. MEDIArt

Ihr bewegendes Bild zeigt eine Mutter, die sanft ihren Bauch berührt – ein Symbol für die unzertrennliche Verbindung zwischen Mutter und Kind. Die Ähnlichkeit mit der Künstlerin lässt vermuten, dass sie damit auch ihre eigene Familiengeschichte verarbeitet hat. „Ich habe mich bewusst für eine realistische Darstellung entschieden, weil ich mit meiner Kunst Gefühle wecken möchte.“

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Fünf Reproduktionen des Kunstwerks werden auf der Website www.sternenkind-fotografie.at versteigert. MEDIArt

Häufiger, als viele denken

Laut Primar Dr. Michael Rohde vom LKH Bregenz ist der Verlust eines Kindes häufiger, als viele denken: „Jede vierte bis fünfte Schwangerschaft endet mit einer Fehlgeburt, die meisten im ersten Trimester.“ Ursachen seien oft genetische Störungen, manchmal auch Infektionen oder Komplikationen im späteren Verlauf der Schwangerschaft. Prävention sei nur begrenzt möglich, aber regelmäßige Untersuchungen könnten Risiken frühzeitig erkennen. Auch Landesrätin Martina Rüscher betonte die gesellschaftliche Verantwortung: „Das Angebot der Sternenkinder-Fotografie ist eine wichtige Ergänzung zu bestehenden Unterstützungsangeboten. Bilder helfen, das Unaussprechliche ein Stück weit greifbar zu machen.“

Unterstützung

Der Verein wird seine Arbeit fortsetzen – in der Hoffnung, dass keine Familie sich nach dem Verlust eines Kindes alleine fühlt. Unterstützung erhalten betroffene Eltern auch durch Selbsthilfegruppen wie Sternen-Klar und Sternenmamis, das Institut für Sozialdienste Vorarlberg (ifs), sowie die Krankenhausseelsorge.

Versteigerung zugunsten des Vereins

Fünf Reproduktionen des Gemäldes von Maribel Rico werden auf der Vereins-Website www.sternenkind-fotografie.at versteigert. Der Erlös kommt direkt der Arbeit des Vereins VergissMichNicht – Sternenkinder Fotografie zugute. Ziel der Versteigerung ist es nicht nur, finanzielle Mittel für die ehrenamtliche Tätigkeit der Fotografen und die Betreuung betroffener Familien zu sammeln, sondern auch, dem Thema Sternenkinder zusätzliche Sichtbarkeit zu verschaffen. Das berührende Gemälde steht stellvertretend für Trauer, Hoffnung und Erinnerung – und soll künftig an neuen Orten weiterhin Menschen bewegen und zum Innehalten einladen.

Sternenkinder Verein
Andreas Uher erklärt, wie wertvoll die Bilder des Vereins für die Angehörigen der Sternenkinder sind. Sams

3 Fragen an Vereinsobmann Andreas Uher

  1. Warum gibt es den Verein VergissMichNicht – Sternenkinder Fotografie?
    Andreas Uher:
    Der Verein gibt uns die Möglichkeit, mit unserem Handwerk etwas Schönes zu machen. Wir ermöglichen Menschen, die das Elternglück nicht erleben können, sich an Kinder, die nie aus dem Spital kamen, zu erinnern.
  2. Was ist das Besondere an solchen Terminen?
    Uher:
    Es ist natürlich etwas ganz Anderes, als ein klassischer Fototermin. Die Trauer im Raum ist unbeschreiblich. Nach einer Weile geht man gefasster auf solche Termine und weiß, was einen optisch erwartet. Wir besprechen das auch im Team und bieten wenn nötig psychologische Betreuung an.
  3. Welchen Zugang kann Kunst zu dieser Thematik ermöglichen?
    Uher:
    Der Begriff „Sternenkind“ ist schon eine Metapher, die das Thema in ein schöneres Licht und auf eine Ebene der Hoffnung bringt. Kunst ermöglicht, dass man sich darin wiederfindet. Durch die künstlerische Auseinandersetzung kann der Verlust mit der Zeit zu einem positiven Erinnern werden.