“Wollen wir Lösungen oder Botschaften?”

Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher über Ärztemangel, Strukturreformen, Digitalisierung und den Druck auf das öffentliche System.
Die Ärztekammer fordert 135 zusätzliche Ärztinnen und Ärzte bis 2031. Wie realistisch ist dieser Bedarf und was bedeutet das für das Land?
Martina Rüscher: Das ist realistisch – und dieser Bedarf erschreckt uns nicht. Wir haben diese Ärztebedarfsstudie ja gemeinsam mit Ärztekammer und Sozialversicherung erstellt. Wichtig ist: Diese Zahlen sind keine Schätzung, sondern basieren auf harten Daten. Und sie verändern sich laufend, etwa durch kürzere Spitalsaufenthalte oder zunehmende Spezialisierung. Deshalb planen wir eine jährliche Aktualisierung. Wenn wir Qualität sichern wollen, müssen wir strukturell nachschärfen.
Wartezeiten bleiben ein Dauerthema, trotz offiziell besetzter Kassenstellen. Was läuft hier schief?
Rüscher: Die Versorgung ist aktuell vielerorts gesichert – aber stark belastet. Wir erleben eine gleichzeitige Überbeanspruchung der Systeme und personelle Engpässe. Das führt zu Wartezeiten, auch wenn rechnerisch kaum Kassenstellen offen sind. Wir haben auf Landesebene die Personaloffensive gestartet und setzen gezielt auf Entlastung, bessere Dienstmodelle und strukturelle Effizienz. Wichtig ist aber auch: Wir werden in einem solidarisch finanzierten System nie ein Netz bereit halten können, das sofort jede Wunschleistung erfüllt.

Wie reagieren Sie strukturell, auch in Hinblick auf Spitäler und Abteilungen?
Rüscher: Wir starten heuer in zehn Fachbereichen mit fachspezifischen Dialogen. Ziel ist es, Versorgungsstrukturen standortübergreifend zu denken – also nicht jedes Fach an jedem Standort anzubieten, sondern dort, wo es medizinisch und personell Sinn macht. Das heißt, ja, wir werden Abteilungen zusammenführen. Nicht aus Spargründen, sondern um Qualität und Stabilität zu gewährleisten. Bis Jahresende wollen wir einen neuen Spitalsplan vorlegen. Für die Patientinnen und Patienten heißt das nicht, dass Leistungen verschwinden – im Gegenteil: An den spezialisierten Standorten kann besser geplant und medizinisch effizienter gearbeitet werden. Die Versorgung bleibt gewährleistet, wird aber gebündelt – mit dem Ziel, sowohl Qualität als auch Verlässlichkeit zu sichern.
Sie setzen stark auf digitale Steuerung und Patientenlenkung. Was ist konkret geplant?
Rüscher: Wir planen gemeinsam mit der Sozialversicherung den Ausbau der Hotline 1450 zu einem echten Steuerungsinstrument – mit Terminvergabe, digitalem Routing und telemedizinischer Erstversorgung. Menschen sollen mit ihren Anliegen ernst genommen werden, aber schneller dorthin kommen, wo sie wirklich versorgt werden können. Die Realität ist, dass manche mit einem Kaugummi im Haar in der Spitalsambulanz landen – nicht aus Bosheit, sondern weil sie nicht wissen, wohin. Digitale Lenkung soll hier Klarheit schaffen.
Menschen sollen mit ihren Bedürfnissen ernst genommen werden und schnell dorthin kommen, wo sie wirklich richtig sind.
Landesrätin Martina Rüscher zur Gesundheitsversorgung in Vorarlberg
Die Ärztekammer lehnt den von der ÖGK vorgeschlagenen Solidarbeitrag ab und spricht von einem „Scheitern der Zentralplanung“. Wie stehen Sie zu dieser Debatte?
Rüscher: Ich kenne beide Seiten und ich glaube, die zentrale Frage ist: Wollen wir Lösungen oder Botschaften? In Vorarlberg setzen wir auf gemeinsame Lösungen. Wir arbeiten mit Ärztekammer, ÖGK und Gemeinden an einem integrierten System. Eine Polarisierung, wie sie bundesweit geführt wird, bringt uns nicht weiter. Die Finanzierung muss gemeinsam gelingen – über eine effizientere Steuerung, nicht über Schuldzuweisungen.
Wäre ein sozial gestaffelter Selbstbehalt, wie ihn die Ärztekammer vorschlägt, eine Lösung?
Rüscher: Wenn ein Selbstbehalt sozial abgestuft ist und jene befreit, die ihn nicht leisten können, dann ist das diskutabel. Er kann aber nie die erste Maßnahme sein. Vorrang hat für mich eine funktionierende Patientenlenkung. Nur wenn diese greift, kann man überhaupt über so etwas nachdenken, etwa als Lenkungsinstrument für Menschen, die das System bewusst umgehen.
Viele Fachbereiche sind überlastet – Augenheilkunde, Psychiatrie, Kinderheilkunde. Welche haben für Sie Priorität?
Rüscher: Es gibt kein unwichtiges Fach. Alle Bereiche haben einen Versorgungsauftrag. Aber ja, wir setzen gezielt Akzente dort, wo es besonders brennt. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie haben wir etwa große Fortschritte gemacht. In der Augenheilkunde haben wir die Terminvergabe umgestellt, um die realen Wartezeiten zu verkürzen. Künftig gibt es OP-Termine nur noch bei medizinischer Notwendigkeit – und nicht als vorsorgliche Terminreservierung.
Künftig gibt es OP-Termine nur noch bei medizinischer Notwendigkeit – und nicht als vorsorgliche Terminreservierung.
Landesrätin Martina Rüscher zum Thema Patientenlenkung
Abseits von Struktur und Effizienz: Wie steht es um die Stimmung im Gesundheitswesen?
Rüscher: Die Belastung ist auf allen Seiten spürbar und auch die Stimmung ist rauer geworden. Deshalb begrüße ich Initiativen wie die Freundlichkeitsoffensive von der Vorarlberger Ärztekammer, Landeskrankenhäusern, Stadtspital Dornbirn und Landesstelle der Österreichischen Gesundheitskasse. Pflegekräfte, Ärztinnen, Reinigungspersonal: Sie alle leisten jeden Tag Großes. Wir müssen diese Arbeit wertschätzen – nicht nur durch Gehalt, sondern auch im zwischenmenschlichen Umgang. Gerade im Spitalsalltag, wo Belastung und Personalwechsel hoch sind, ist ein wertschätzender Umgang das Fundament für gutes Arbeiten. Wir brauchen wieder mehr Miteinander – auf allen Ebenen.

Sie haben ein großes Präventionsprojekt angekündigt – was steckt hinter der neuen Elternplattform?
Rüscher: Wir wollen Eltern von Kindern zwischen 0 und 18 Jahren gezielt begleiten – mit verständlichen, altersgerechten Informationen zu Gesundheit, Entwicklung, Ernährung oder Suchtprävention. Über ein digitales News-Ticker-System bekommen sie Hinweise in ihrer Sprache, KI-gestützt übersetzt, mit der Möglichkeit, sich weiter zu informieren oder sich direkt an die zuständigen Stellen zu wenden. Wenn wir in die Gesundheitskompetenz der Familien investieren, investieren wir in die Zukunft.
Welche drei Maßnahmen möchten Sie 2025 noch umgesetzt sehen?
Rüscher: Erstens: die Strukturreform in der Spitalslandschaft. Zweitens: den Ausbau der Hotline 1450 zu einer echten digitalen Drehscheibe. Und drittens: den Start der Elternplattform. Damit stärken wir System, Steuerung und Gesundheitsförderung – genau das, was wir jetzt brauchen.