Wo ist der Bodensee?

Der Wasserstand am Bodensee ist so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die NEUE hat sich beim Glashaus am Rohrspitz umgehört.
Man reibt sich unwillkürlich die Augen: Wo sonst Wellen das Ufer umspülen, wo Kinder mit Gummistiefeln planschen und Spaziergänger in sicherer Distanz zum Wasser laufen, erstreckt sich heute eine weite, fast mondähnliche Landschaft. Der Bodensee wirkt wie verschwunden, nur am Horizont glitzert ein schmaler Streifen Wasser.

Was sich im April 2025 an den Ufern zwischen Hard, Fußach und Bregenz zeigt, ist kein seltenes Naturphänomen, sondern ein neuer Tiefpunkt. Der Pegelstand am Bodensee liegt aktuell bei nur 277,2 Zentimetern, gemessen am Pegel Bregenz. Das sind rund 40 Zentimeter weniger als im langjährigen Mittel für diese Jahreszeit. So leer war der See schon lange nicht mehr.


Menschen bleiben stehen, machen Fotos, laufen neugierig über den sandigen Boden – dorthin, wo normalerweise das Wasser beginnt. Es herrscht eine Mischung aus Faszination und Verunsicherung. Corinna Armellini ist mir ihrer Familie am Seeufer in Höchst und nimmt eine merkwürdige Stimmung wahr: „Damit hätten wir nicht gerechnet. Es ist schon sehr eigenartig, aber auch mal was anderes.“

Eva Weiler ist aus Innsbruck zu Besuch und sichtlich überrascht, wie ihr Lieblingsplatz in Vorarlberg derzeit ausieht: „Ich bin wirklich sprachlos, wo ist das Wasser hin? So habe ich das hier noch nie gesehen.“ Wir treffen auch zwei Rennradler, die es sich nicht nehmen lassen, dort wo sonst Wasser ist, mit ihren Bikes zu fahren: „Heute fahren wir nicht an den See, sondern ausnahmsweise mal auf dem See“, scherzt einer der beiden.

Mehrere Ursachen
Der niedrige Wasserstand hat mehrere Ursachen. Einerseits war der Winter 2024/25 außergewöhnlich trocken – sowohl im Bodenseeraum als auch in den Alpen. Die Schneemengen waren gering und die Niederschläge blieben vielerorts aus. Andererseits hat die Schneeschmelze bislang noch nicht richtig eingesetzt, weil die Temperaturen bis in den April hinein vergleichsweise niedrig blieben.

Die zuständige Abteilung Wasserwirtschaft des Landes Vorarlberg beobachtet die Entwicklung genau. Laut dem Vorstand der Abteilung Wasserwirtschaft des Landes sei die Situation „außergewöhnlich, aber nicht dramatisch“. Es handle sich nicht um ein Extremereignis, wohl aber um ein deutlich sichtbares Zeichen dafür, wie sensibel das System See auf klimatische Einflüsse reagiere. Die Auswirkungen sind spürbar: Die Bodenseeschifffahrt prüft derzeit Anpassungen im Fahrplan. In ökologischer Hinsicht sind besonders die Uferzonen betroffen: Laichplätze für Fische und Feuchtgebiete für Vögel fallen zeitweise trocken, Amphibien verlieren wichtige Rückzugsräume.

Naturschauspiel
Naturschauspiel. Gleichzeitig lockt die außergewöhnliche Situation zahlreiche Schaulustige an. Was wie ein stiller Katastrophenfilm wirkt, ist für viele auch ein seltenes Naturschauspiel. Spaziergänge auf dem Seegrund werden zum Ausflugstrend der Stunde. In den kommenden Wochen könnte sich der Wasserstand erholen – falls die Schneeschmelze einsetzt und ausreichender Niederschlag fällt. Doch ob der See bald wieder „normal“ aussieht, ist unklar.

Experten mahnen zur Vorsicht: Der Klimawandel beeinflusse auch den Wasserhaushalt der großen Seen in Mitteleuropa – nicht nur in Form von Hochwasser, sondern zunehmend auch durch Trockenphasen. Am Ufer von Bregenz, Hard oder am Rohrspitz steht man derzeit jedenfalls nicht am See – sondern im See. Und blickt auf eine Zukunft, in der selbst dieses ungewohnte Bild vielleicht keine Ausnahme mehr bleibt. Ein eindrückliches Bild bleibt nach dem Besuch beim Seerestaurant Glashaus zurück: Im Bereich, wo sonst das Wasser steht, hat jemand das Wort „Klima“ in den Sand geschrieben. Eine mahnende Botschaft, die hoffentlich bald vom wieder gestiegenen See verdeckt wird.
Hinweis der Naturschutzanwaltschaft: Geltende Schutzmaßnahmen und Betretungsverbote
Die Naturschutzanwaltschaft Vorarlberg appelliert an alle Besucherinnen und Besucher, bei Ausflügen auf den freigelegten Seegrund besondere Rücksicht auf Natur und Tierwelt zu nehmen:
“Die beiden Europaschutzgebiete Rheindelta und Mehrerauer Seeufer – Bregenzerachmündung sind über eigene Gebietsverordnungen geschützt. Die Verordnung Mehrerauer Seeufer – Bregenzerachmündung wurde erst kürzlich neu erlassen und das Schutzgebiet wurde um den verlandenden Mündungsbereich der Bregenzerach erweitert. In diesem Bereich herrscht nunmehr ein Betretungsverbot, um die dort beheimateten sensiblen und seltenen Arten zu schützen.”
Gerade jetzt, im Frühjahr, sind viele Bereiche sensible Brut- und Laichgebiete für Wasservögel, Amphibien und Fische. Auch Ufervegetation und Bodentiere reagieren empfindlich auf Störungen.
Die wichtigsten Verhaltensregeln:
- Keine Pflanzen ausreißen oder Treibholz sammeln
- Brutplätze und Schilfgürtel meiden
- Hunde bitte an die Leine
- Kein Betreten von abgesperrten oder ökologisch geschützten Bereichen
„Erholung und Naturschutz lassen sich am Bodensee sehr gut verbinden – wenn wir mit Achtsamkeit und Respekt unterwegs sind“, so die Naturschutzanwaltschaft.


3 Fragen an Thomas Blank, Vorstand Abteilung Wasserwirtschaft.
Der Bodenseewasserstand liegt derzeit deutlich unter dem langjährigen Mittel. Wie erklären Sie diesen ungewöhnlich niedrigen Pegelstand?
Blank: Der aktuelle Pegel liegt bei 278 Zentimeter – das sind 39 unter dem langjährigen Mittel, aber noch zehn über dem bisherigen Minimalwert an diesem Tag. Statistisch kommt so ein Pegel im April nur alle 15 bis 20 Jahre vor, zuletzt etwa 1996. Die Ursache liegt in deutlich unterdurchschnittlichen Niederschlägen seit Oktober 2024 – aktuell etwa 45 Prozent weniger als im langjährigen Schnitt.

Welche konkreten Auswirkungen hat der niedrige Wasserstand auf Wirtschaft, Umwelt und Infrastruktur in Vorarlberg?
Blank: Der Bodensee schwankt im Jahresverlauf um etwa 1,6 Meter – aktuell ist zwar ein auffallend niedriger Stand erreicht, doch das ist kein Grund zur Sorge. Das Ökosystem ist stabil, Wassernutzungen sind nicht beeinträchtigt. Auch die Linienschifffahrt verkehrt regulär, mit Ausnahme einzelner Hafenanlagen.

Wie wird sich der Wasserstand in den kommenden Wochen voraussichtlich entwickeln – und wann ist mit Entspannung zu rechnen?
Blank: Aufgrund der aktuellen Wetterprognose werden in den nächsten zehn Tagen Niederschläge erwartbar. Auch die Schneeschmelze wird höhere Abflüsse bringen. Die am Bodensee verfügbare internationale Prognoserechnung zeigt, dass der Wasserstand wohl bald auf den Wert von Pegel 290 ansteigen wird.





