So bekämpft Vorarlberg die Jugendkriminalität

Die Jugendkriminalität steigt in ganz Österreich an. Über die Entwicklungen in Vorarlberg sprach die NEUE mit Philipp Stadler, Leiter des Landeskriminalamts.
Österreichweit wird in den letzten Wochen und Monaten über den Anstieg der Jugendkriminalität diskutiert. Medienberichte, politische Diskussionen, Bildung von speziellen polizeilichen Einsatzgruppen – das Thema ist allgegenwärtig.
Auch in Vorarlberg ist die Zahl der jugendlichen Tatverdächtigen zwischen 14 und unter 18 Jahren weiter nach oben geklettert, wie die polizeiliche Anzeigenstatistik beweist. 2021 waren es 2003 Jugendliche, 2022 dann 2061. Im letzten Jahr hat sich die Zahl noch weiter erhöht.
2221 jugendliche Tatverdächtige
Insgesamt gab es im Vorjahr 2221 Tatverdächtige zwischen 14 und unter 18 Jahren, davon 1733 männlich, 488 weiblich. Der Anteil der weiblichen Tatverdächtigen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.
Besonders auffällig sind die Zahlen der Raubdelikte. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 67 solche von der Polizei an die Staatsanwaltschaft angezeigt. 59 dieser Fälle sind geklärt – und es gibt 61 jugendliche Tatverdächtige. „Das hat damit zu tun, dass gerade bei Jugendlichen oft mehr als ein Täter an einem Delikt beteiligt ist. Und es heißt, dass ein weitaus überwiegender Teil der Raubdelikte von Jugendlichen begangen wurde“, so Philipp Stadler, Leiter des Vorarlberger Landeskriminalamts.

Die Bereicherung sei dabei erfahrungsgemäß gar nicht unbedingt das Motiv: „Das schließen wir daraus, dass die Raubbeute zum Teil sehr gering ist, oft werden nur wenige Euro erbeutet.“ Eindeutig lasse sich das Motiv zwar nicht immer feststellen, aber einige Erfahrungswerte gibt es doch, wie Stadler erläutert: „Einerseits fehlt oft das Unrechtsbewusstsein darüber, jemandem mittels Drohung oder Gewalt etwas wegzunehmen. Und gerade, wenn die Täter in einer Gruppe unterwegs sind, spielen auch Nervenkitzel, Machtausübung oder einfach nur Männlichkeitsrituale eine Rolle – Raub ist ein eher männliches Delikt.“
Ganz oben auf der Liste der von Jugendlichen begangenen bzw. von der Polizei als solche angezeigten Delikte steht allerdings Diebstahl mit 482 Tatverdächtigen, gefolgt von Suchtmitteldelikten mit 317 Tatverdächtigen. Diese Zahl müsse man allerdings differenziert betrachten, so Stadler: „Suchtgiftkriminalität ist ein klassisches Kontrolldelikt. Sprich: Je aktiver die Polizei in diesem Bereich ist und je mehr Ressourcen dafür aufgewendet werden, desto höher sind die Zahlen. Wenn diese zurückgehen, liegt es meistens daran, dass die Polizei Ressourcen aus diesem Themenfeld abgezogen hat. Das heißt aber nicht, dass es weniger Konsum gibt.“ Die unter Vorarlberger Jugendlichen am weitesten verbreitete Droge ist übrigens Marihuana.
Auch immer wieder ein Thema, nicht nur in Vorarlberg: kursierende Videos begangener Gewalt- und Straftaten. „Diese Filme werden immer wieder schockiert wahrgenommen und sind für die Opfer häufig noch eine zusätzliche Erniedrigung“, sagt LKA-Chef Stadler dazu. „Aus polizeilicher Sicht sind sie aber oft entscheidende Beweise. Wenn ich eine schwere Körperverletzung oder einen Raubüberfall auf Video habe, brauche ich in der Regel nicht mehr viele andere Beweise und es gibt auch nicht mehr viel abzuschwächen, weil das Geschehen eben eins zu eins dokumentiert ist.“
Nicht strafmündig
Eine weitere Zahl aus der polizeilichen Anzeigenstatistik, die aber mit Vorsicht zu genießen ist: jene der nicht strafmündigen Tatverdächtigen, also die Unter-14-Jährigen. Sie können von der Strafjustiz nicht für begangene Straftaten belangt werden.
2023 wurden 401 nicht strafmündige Tatverdächtige in Vorarlberg registriert – 50 davon waren noch unter zehn Jahren. Vorsichtig zu behandeln ist diese Zahl, weil es sich hierbei nur um die Fälle handelt, in denen seitens der Polizei ein Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft erging, sprich: in denen auch mit entsprechenden Maßnahmen (beispielsweise Einvernahmen, DNA-Abgleiche, Hausdurchsuchungen, …) ermittelt wurde. Denn fällt der Anfangsverdacht gleich auf einen Nichtstrafmündigen, wird häufig gar kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Insofern sind die 401 Tatverdächtigen unter 14 Jahren, die in der polizeilichen Anzeigenstatistik erfasst sind, laut Stadler tatsächlich nur „ein Bruchteil des tatsächlichen Bildes.“
Strafunmündigkeit bedeutet aber keine Konsequenzfreiheit. Auch wenn die Strafjustiz keine Handhabe hat, erfolgt von der Polizei trotzdem eine Mitteilung über die begangene Straftat an die Kinder- und Jugendhilfe der zuständigen Bezirkshauptmannschaft. Von diesen wird in weiterer Folge etwa ein Betreuungsangebot geschaffen, die Eltern kontaktiert, schlimmstenfalls sogar die elterliche Obsorge entzogen. Im Zentrum steht jedenfalls das Kindeswohl.

Als Reaktion auf die aktuellen Entwicklungen wurde im März 2024 vom Innenministerium die Einrichtung einer Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Jugendkriminalität angeordnet. Diese ist Teil des jeweiligen Landeskriminalamts und dort angegliedert an die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität. „Da geht es primär um repressive Maßnahmen. Polizeilich bekannte Jugendliche oder bekannte Tatörtlichkeiten, Jugendgruppen insbesondere im innerstädtischen Bereich oder in öffentlichen Verkehrsmitteln werden verstärkt kontrolliert. Das Hauptaugenmerk liegt auf Waffen und Drogen“, führt Stadler das Aufgabengebiet aus.
Es gibt aber auch einen präventiven Teil der Polizeiarbeit gegen Jugendkriminalität: „Gerade in Vorarlberg wird da sehr viel gemacht. Speziell ausgebildete Beamten gehen an die Schulen, machen dort teils mehrwöchige Projekte mit den Jugendlichen.“ Auch gebe es anlassbezogene Projekte, etwa sommers an der Pipeline oder in der Moped- und Tuning-Szene, dies dann oft in Kooperation mit Sozialarbeitern oder Streetworkern.
Kooperation mit der OJAD
Ein ganz besonderes Pilotprojekt inklusive EU-Förderung läuft derzeit im Bezirk Dornbirn und ist österreichweit noch ein Unikum. Jugendlichen Tätern, insbesondere Ersttätern, wird via Polizei ein Angebot der Offenen Jugendarbeit Dornbirn vermittelt, die bei den weiteren Schritten unterstützt.
Genauer: „Wenn jugendliche Tatverdächtige von uns einvernommen werden, bekommen sie gleichzeitig Informationen zu diesem Angebot. Sie können mit Betreuern der OJAD sprechen, die ihnen wiederum Tipps dazu geben, wie sie etwa eine geringere Strafe bekommen können, wie sie möglichst ohne gravierende Folgen aus dem Strafverfahren kommen oder was sie tun können, um zukünftig nicht mehr in solche Situationen zu geraten“, so Stadler. Das Projekt sei auch deshalb so vielversprechend, weil es eine Win-win-Situation biete: „Wir wissen die jungen Leute in einer strukturierten Betreuung, in der sie lernen, Konflikte zu bewältigen und ihre Voraussetzungen zu verbessern, und die Jugendlichen bekommen die Unterstützung, die sie brauchen.“
Das Projekt werde sehr gut angenommen – aktuell laufen Diskussionen über eine mögliche Ausweitung.