Ein grüner Blick auf den US-Wahlkampf – Nina Tomaselli in den Staaten

Am Donnerstag wurde Nina Tomaselli als Grünen-Abgeordnete im Nationalrat angelobt. Zuvor hat sie den US-Präsidentschaftswahlkampf vor Ort genau unter die Lupe genommen. Im Gespräch mit der NEUE am Sonntag schildert sie ihre Eindrücke vom Rennen um das Weiße Haus.
Neue am Sonntag: Wie ist die allgemeine Stimmung in den USA kurz vor der Wahl? Spüren Sie eine besondere Spannung oder Mobilisierung in der Bevölkerung?
Nina Tomaselli: Ich habe fünf Bundesstaaten in zehn Tagen besucht. Wahlkampf findet aufgrund des Wahlrechts fast ausschließlich in den Swing States statt. Überquert man beispielsweise eine Staatengrenze von einem Swingstate zu einem republikanisch geprägten Staat, kommt keine einzige politische Radiowerbung mehr und in den Vorgärten sind keine Trump- oder Harris-Schilder zu sehen.

Neue am Sonntag: Warum gibt es in den USA keine etablierte grüne Partei, obwohl Themen wie Klimaschutz weltweit immer wichtiger werden?
Tomaselli: In den USA gilt ein „The-Winner-takes-it-all“-Prinzip. Eine Partei gewinnt alle Stimmen eines Staates. Deshalb hat sich das Zwei-Parteiensystem etabliert. Die Biden-Harris-Administration hat mit dem Green Deal die größte Klimainvestition eines Einzelstaates in der Geschichte getätigt. Klimaschutz in Verbindung mit „Green Jobs“, Infrastruktur und der Robustheit der Wirtschaft spielt eine große Rolle in den USA.

Neue am Sonntag: Was sind die größten Unterschiede zwischen dem Wahlkampf in den USA und dem in Österreich?
Tomaselli: Die Finanzierung der Wahlkämpfe erfolgt ausschließlich über private Klein- und Großspenden. Trump verkauft auch seine „Make America Great Again“-Caps und goldene Uhren, um Gelder zu lukrieren. Die Demokraten haben über eine Milliarde eingesammelt, deren Kampagne ist damit die größte aller Zeiten. Ansonsten habe ich in der Gesellschaft entlang der Parteien einen tiefen Spalt verortet. Trump hat beispielsweise angedroht, als Präsident das Militär gegen Andersdenkende einzusetzen. Er spricht vom „Feind im Inneren“.


Neue am Sonntag: Wie haben Sie die Medienlandschaft in den USA erlebt? Wie unterscheidet sich die Rolle der Medien im Wahlkampf von der in Österreich?
Tomaselli: Die Werbemittel Plakate, Social-Media oder Flyer sind ziemlich ähnlich. In den USA gibt es zusätzlich viele TV-Spots und die beschäftigen sich gerne mit dem politischen Gegner. Die „seriösen“ Medien haben eine andere Rolle als in Österreich. Dass die Interviews für die Politiker härter sind, das kennt man in Europa. Was weniger bekannt ist, dass TV-Stationen hauptsächlich eine erklärende und analysierende Rolle einnehmen. Da wird beispielsweise bis ins Kleinste erklärt, warum welche Strategiemaßnahme welche Auswirkungen auf den Wahlerfolg haben könnte.


Neue am Sonntag: Welche Persönlichkeiten oder Organisationen haben Sie während Ihrer Reise getroffen?
Tomaselli: Ich habe sowohl Kamala Harris als auch Donald Trump live auf der Bühne erleben können. Dass Tim Walz, die Nummer zwei der Demokraten, ein fantastischer Redner ist, davon konnte ich mich selbst überzeugen. Mit den Gouverneuren Gretchen Whitmer, Jeff Shapiro, Wes Moore und Tony Evers ging sich sogar ein kurzes Plaudern aus. Ansonsten haben wir noch viele Parteibüros – sogenannte „Field Offices“ – besucht. Wir haben uns ja sehr für die Organisation einer so großen Kampagne interessiert.


Neue am Sonntag: Welche Stationen und Orte haben Sie auf Ihrer Route besucht, und was waren dabei die prägendsten Erlebnisse?
Tomaselli: Wir haben einen Roadtrip durch den heiß umkämpften Mittleren Osten gemacht. Von New York durch Pennsylvania, Michigan und Indiana bis nach Chicago, Illinois. Am meisten nachdenklich gemacht, haben mich die ehemaligen Autohochburgen in Michigan, wie Flint und Saginaw. In Flint arbeiteten in den 70er-Jahren noch 80.000 Menschen bei General Motors. Heute sind es keine 5000 mehr, das ist im Stadtbild unübersehbar. Irritiert hat mich auch, dass in den reichen Vororten von Philadelphia hauptsächlich Trump-Anhänger wohnen. Da fragt man sich schon, wovor diese wohlhabenden Menschen eigentlich Angst haben.

Neue am Sonntag: Welche Themen stehen im Fokus des US-Wahlkampfs? Wie unterscheiden sie sich von den Themen, die in Österreich im Wahlkampf wichtig sind?
Tomaselli: Im Fokus steht stets, was einen selbst vom Konkurrenten unterscheidet. Beide Spitzenkandidaten sprechen viel übereinander. Hauptthema ist dabei, wer für welche Gruppe die Steuern senken möchte. Ansonsten sind die Themen fast ident zu jenen in Österreich: Gesundheit, leistbares Wohnen und Migration. Überrascht hat mich, wie wenig über die Waffengesetze diskutiert wurde.

Neue am Sonntag: Wie nutzen die US-Kandidaten Social-Media, und welche Rolle spielen „Fake News“ und Desinformation im Wahlkampf?
Tomaselli: Abhängig von Zielgruppe und Wohnort werden Themen jeweils passend aufbereitet und auf der passenden „Social-Media“-Plattform ausgespielt. Da ist genau alles abgestimmt. „Fake News“ sind tatsächlich ein großes Problem. Nicht nur rechte Plattformen wie Breitbart verbreiten Unsinn, auch etablierte Medienstationen wie Fox News berichten nachweislich faktenwidrig und mit Fehlinformationen.

Neue am Sonntag: Inwiefern unterscheidet sich die Inszenierung der Kandidaten in den USA von der in Österreich? Gibt es stärkere Elemente des Persönlichkeitskults?
Tomaselli: Insbesondere bei den Demokraten wird auf den Wahlkampfveranstaltungen nichts dem Zufall überlassen. Der Running Mate Tim Walz war früher Lehrer und Football-Trainer und wird im Wahlkampf „Coach Walz“ genannt. Seine Wahlkampfveranstaltung in Pittsburgh war im Footballstadion der Steelers. Zu seiner Rechten hängte ein Dress eines berühmten Spielers aus den 70er-Jahren, sein Name: Harris.

Neue am Sonntag: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Rolle von Elon Musk gemacht, besonders in Hinblick auf seine Übernahme von Twitter und dessen Einfluss auf den Wahlkampf?
Tomaselli: Der Algorithmus auf der von ihm gekauften Twitter-Plattform ist offensichtlich so eingestellt, dass zu 80 Prozent Trump-freundlicher Content oder Postings von Trump und Musk angezeigt werden. Elon Musk macht derzeit sehr viel Werbung für seine Lotterie: Jeden Tag wird unter registrierten republikanischen Wählern eine Million Dollar verlost. Das ist wahnwitzig. Der Mann glaubt wohl, dass man sich mit Geld alles kaufen kann.
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Neue am Sonntag: Gibt es bestimmte Momente oder Begegnungen auf Ihrer Reise, die Sie besonders überrascht oder beeindruckt haben?
Tomaselli: Das Verrückteste war, als Trump über eine halbe Stunde auf der Bühne stoisch zu „Ave Maria“ und „YMCA“ getanzt hat.
Neue am Sonntag: Welche Unterschiede im Wahlsystem der USA haben Sie festgestellt, und welche Auswirkungen haben diese Unterschiede auf den Wahlkampf?
Tomaselli: Da es in jedem Bundesstaat nur einen Gewinner geben kann und die allermeisten Bundesstaaten klar den Demokraten oder den Republikanern zugerechnet werden, fokussiert sich der Wahlkampf auf sieben Swing States. Beispiel Pennsylvania: Drei Prozent der Menschen sind noch unentschieden. Die Partei, die zwei der drei Prozentpunkte gewinnt, holt den Bundesstaat. Und weil es dort so viele Wahlmänner gibt, aller Wahrscheinlichkeit nach die Präsidentschaft. Republikaner und Demokraten sollen bisher beide gemeinsam 550 Millionen Dollar an Werbeausgaben in dem Staat mit 13 Millionen Einwohnern getätigt haben.

Neue am Sonntag: Wie wird der Klimawandel im US-Wahlkampf diskutiert? Konnten Sie Unterschiede zur politischen Diskussion in Europa feststellen?
Tomaselli: „It’s the Economy stupid.“ Dieses Motto gilt in den USA auch beim Klimaschutz. Kamala Harris sagt recht pragmatisch, sie werde niemandem den Antrieb des Autos vorschreiben, aber sie wolle die Autoindustrie retten und da müsse man auf E-Mobilität setzen. Wenn die amerikanischen Autobauer keine E-Autos anbieten würden, dann kaufen alle chinesische Autos und das wollen sie nicht. Für diese Haltung erntet sie lauten Applaus von Arbeitern aus der Autoindustrie.
Neue am Sonntag: Wie groß ist der Einfluss von Lobbygruppen in den USA auf den Wahlkampf, und wie haben Sie dies vor Ort erlebt?
Tomaselli: Sehr groß. Sehr viel der politischen Werbung, insbesondere jene der Republikaner, wenn sie sich gegen demokratische Kandidaten richtet, wird von Unterstützergruppen finanziert. Das hört man im Radio oder ist bei den Einschaltungen auch so angeführt.

Neue am Sonntag: Was waren die wichtigsten Erlebnisse und Erfahrungen Ihrer Reise? Welche Eindrücke nehmen Sie mit zurück nach Österreich? Glauben Sie, dass wir etwas vom US-Wahlkampf lernen können?
Tomaselli: Von Europa aus hat man den Eindruck, der Wahlkampf wird vom großen Geld getragen. Eine US-Wahlkampagne steht und fällt mit den freiwilligen Helfern, die Hausbesuche, Telefonanrufe oder andere Arbeiten verrichten. Das finde ich schön, Politik ist in den USA nicht ausschließlich etwas für Politiker und politische Parteien, sondern es wird dezidiert fürs Mitmachen geworben.

Neue am Sonntag: Wie sieht Ihre Prognose aus: Wer wird das Rennen machen?
Tomaselli: Es wird meiner Meinung nach knapper als im Jahr 2020. Ich hoffe darauf, dass Kamala Harris und Tim Walz das Rennen machen. Trump würde zu einem großen Sicherheitsproblem für Europa werden.
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(NEUE am Sonntag)