„Ich habe vor Freude über den Sturz von Assad geweint“

Zwischen Dankbarkeit für Vorarlberg und der Sehnsucht nach Syrien teilen zwei Geflüchtete ihre Gedanken zum Sturz Assads. Nahost-Experte Thomas Schmidinger und Caritasdirektor Walter Schmolly bremsen die Euphorie.
Der Sturz des Assad-Regimes in Syrien hat weltweit Schlagzeilen gemacht. Für viele Syrerinnen und Syrer bedeutet diese historische Wende nicht nur das Ende von Jahren der Unterdrückung und Gewalt, sondern auch die Hoffnung auf einen Neuanfang. Doch was heißt dieser Umbruch für jene, die in Vorarlberg eine neue Heimat gefunden haben? Zwei Stimmen aus der syrischen Community teilen ihre Geschichten – geprägt von Dankbarkeit, Trauer und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Sehnsucht nach Rückkehr
„Es fühlt sich an wie ein Traum“, sagt Ibrahim, ein 29-jähriger IT-Techniker aus Lustenau, über die jüngsten Entwicklungen in seiner Heimat. Zehn Jahre sind vergangen, seit er Syrien verlassen musste, um dem Krieg und der Verfolgung zu entkommen. „Wir waren immer in Gefahr, dass man uns töten will. Die letzten Jahre waren voller Schmerz und Verlust“, erzählt er. Sein Bruder starb letztes Jahr. „Ich konnte ihn nicht noch einmal sehen, und das wird für immer wehtun.“
Trotzdem ist Ibrahim voller Hoffnung: „Wir haben uns integriert, die Sprache gelernt und eine Ausbildung gemacht. Wir haben in Vorarlberg bei Null angefangen, aber die Nachricht vom Sturz Assads hat alles verändert. Ich habe das ganze Wochenende mit meiner Frau und meinem Bruder gefeiert. Vor Freude habe ich geweint.“
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Wiederaufbau
Der Wunsch, so schnell wie möglich nach Syrien zurückzukehren, ist groß. „Wenn die Lage stabil ist, möchte ich beim Wiederaufbau helfen. Es gibt so viel zu tun: Es gibt keinen Strom, kein Wasser, kein Internet. Aber wir müssen die Grundlagen des Lebens wiederherstellen.“ Gleichzeitig erkennt Ibrahim die großen Herausforderungen: „Syrien hat kein Geld mehr, keine Reserven. Alles wurde zerstört oder gestohlen. Doch die größte Aufgabe wird es sein, das Land zu vereinen. Menschen, die im Krieg auf verschiedenen Seiten standen, müssen zusammenarbeiten, um eine Zukunft zu schaffen.“
Dankbarkeit
Trotz der Vorfreude auf eine mögliche Zukunft ohne Krieg, bringt Ibrahim seine tief empfundene Dankbarkeit zum Ausdruck: „Die Menschen hier haben uns so viel geholfen. Vorarlberg ist unsere zweite Heimat geworden. Wir werden diese Unterstützung nie vergessen.“ Doch er betont, wie wichtig es ist, dass die syrische Bevölkerung geeint zusammenarbeitet, um das Land wieder aufzubauen. „Das wird nicht einfach, denn viele waren im Bürgerkrieg auf verschiedenen Seiten. Wir müssen die Vergangenheit vergessen und gemeinsam nach vorne schauen, so schwierig das auch sein mag.“

Ein Wunsch wird wahr
Auch Kinda Alswedni hat in Vorarlberg ein neues Leben aufgebaut. 2015 kam sie nach Dornbirn, wo sie heute das Restaurant „LeJasmin“ betreibt. Ihre Familie folgte zwei Jahre später. „Unsere größte Hoffnung war immer, dass das Assad-Regime eines Tages endet. Jetzt ist dieser Wunsch wahr geworden.“
Für Kinda ist Vorarlberg eine zweite Heimat. „Wir sind sehr zufrieden hier und haben uns ein Leben aufgebaut. Syrien ist unsere Heimat, aber Vorarlberg ist unsere Zukunft.“ Besonders groß ist ihre Freude, bald ihren 83-jährigen Vater wiedersehen zu können, der in Syrien geblieben ist. „In seinem Alter wollte er seine Heimat nicht mehr verlassen.“
Zukunft gestalten
Der Wiederaufbau in der zerstörten Heimat wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, in Anspruch nehmen. Doch wie Ibrahim sagt: „Wir müssen die Vergangenheit vergessen und eine neue Zukunft schaffen.“ Zwischen Dankbarkeit für ihre neue Heimat und der Sehnsucht nach Rückkehr steht der Wunsch nach einer besseren Zukunft für Syrien. Für viele Geflüchtete in Vorarlberg ist klar: Ihre Verbindung zu Syrien bleibt bestehen – als Hoffnung und als Auftrag, die Zukunft des Landes positiv mitzugestalten.

Situation unübersichtlich
Die Caritas Vorarlberg warnt vor vorschnellen Entscheidungen im Umgang mit syrischen Geflüchteten. „Die Situation ist noch unübersichtlich, und eine Überprüfung der Asylgewährungen führt nur zu Verunsicherung“, sagt Caritasdirektor Walter Schmolly. Auch Rückführungspläne sieht er kritisch: „In Vorarlberg sind über 1350 Menschen aus Syrien erwerbstätig und gut integriert. Diese Fortschritte der Integration dürfen nicht gefährdet werden.“
Chronologie
- 2011-2012
Beginn des Bürgerkriegs
Der Bürgerkrieg bricht nach Protesten gegen das Assad-Regime aus. Die Opposition formiert sich zur Freien Syrischen Armee (FSA). Islamistische und kurdische Milizen entstehen. Die erste Friedenskonferenz scheitert. - 2013
2,3 Millionen Menschen auf der Flucht
Ein mutmaßlicher Chemiewaffenangriff des Regimes tötet Hunderte. Der IS etabliert sich. 2,3 Millionen Menschen fliehen. - 2014-2015
Flüchtlingskrise in Europa
Russland sichert dem Assad-Regime Gebietsgewinne. Die Flüchtlingskrise erreicht Europa. - 2016-2018
Aleppo wird zurückerobert
Das Regime erobert mit russischer Hilfe Aleppo und andere Gebiete zurück. Idlib bleibt die letzte Rebellenprovinz. - 2019-2021
IS gilt als besiegt
Der IS gilt als besiegt. Spannungen zwischen dem Assad-Regime, der Türkei und Israel eskalieren. Israel intensiviert Luftangriffe gegen iranische Kräfte in Syrien. - 2022–2023
Millionen in Not
Die humanitäre Krise bleibt dramatisch, mit Millionen von Menschen in Not. Assad wird wieder in die Arabische Liga aufgenommen. - 2024
Sturz von Assad
Die Miliz HTS startet eine Offensive gegen das Assad-Regime, erobert wichtige Städte und stürzt die Regierung. Assad flieht nach Russland.
3 Fragen an Thomas Schmidinger, Nahost-Experte, Politikwissenschaftler und Sozial- und Kulturanthropologe

- Welche Auswirkungen könnten die aktuellen Machtverschiebungen auf die Stabilität in der Region haben?
Schmidinger: Die Entwicklungen in Syrien könnten weitreichende Konsequenzen haben, sowohl positiv als auch negativ. Einerseits sendet die HTS gemäßigte Signale, die auf eine Syrien-orientierte Politik hindeuten, andererseits gibt es innerhalb der Organisation jihadistische Flügel, die destabilisierend wirken könnten. Sollten diese radikalen Kräfte die Oberhand gewinnen, droht nicht nur Syrien, sondern auch angrenzenden Ländern wie dem Irak, Israel und dem Libanon eine Verschärfung der Krise. Ein weiteres Problem sind die anhaltenden Angriffe pro-türkischer Milizen auf kurdisch dominierte Gebiete. Der Krieg könnte in diesen Regionen unvermindert weitergehen, was die Lage zusätzlich verkompliziert. Die Region bleibt damit ein Pulverfass. - Welche Konsequenzen haben die Entwicklungen in Syrien für die Flüchtlingspolitik in Österreich?
Schmidinger: Die aktuelle Situation könnte zwei Szenarien mit sich bringen: Gelingt eine Stabilisierung, könnten Rückkehrbewegungen einsetzen, vor allem von Syrern mit österreichischer Staatsbürgerschaft, die so die Option behalten, bei einer Verschlechterung der Lage erneut nach Österreich zu kommen. Misslingt diese Stabilisierung, drohen neue Flüchtlingsbewegungen, insbesondere in Richtung Österreich und Deutschland, wo es bereits große syrische Communities gibt. Die österreichische Politik sollte sich darauf vorbereiten und weiterhin Integration und Unterstützung fördern, um auf beide Szenarien reagieren zu können. - Wie sollten Vorarlberg und Österreich mit Rückkehrperspektiven umgehen?
Schmidinger: Eine sichere Rückkehr ist für viele syrische Geflüchtete ein Wunsch, doch die aktuelle Situation erlaubt keine pauschalen Entscheidungen. Rückkehrprogramme sollten auf Freiwilligkeit basieren. Es wäre unklug, Asylaberkennungen einzuleiten, solange die Lage in Syrien so unberechenbar bleibt. Insbesondere Menschen, die seit Jahren in Österreich leben, sollten nicht unter Druck gesetzt werden. Vorarlberg könnte eine Vorreiterrolle einnehmen, indem es gezielte Unterstützung für Rückkehrwillige bietet, sei es finanziell oder durch organisatorische Hilfen. Gleichzeitig könnten Investitionen in internationale Hilfsprojekte dazu beitragen, die Bedingungen in Syrien nachhaltig zu verbessern. - Was ist nötig, um eine nachhaltige Lösung für den Syrien-Konflikt zu erreichen?
Schmidinger: Eine nachhaltige Lösung erfordert diplomatische Bemühungen für eine inklusive Übergangsregierung, die die Rechte aller Volksgruppen und Minderheiten respektiert. Dazu kommt die Notwendigkeit umfangreicher finanzieller Hilfen für den Wiederaufbau. Die EU könnte hier eine zentrale Rolle spielen, indem sie ihre Unterstützung an Bedingungen wie Demokratisierung und Menschenrechte knüpft. Ohne solche Maßnahmen wird Syrien kaum langfristig Frieden und Stabilität erreichen.