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„Industrie im engen Korsett der Bürokratie“

27.12.2024 • 11:59 Uhr
„Industrie im engen Korsett der Bürokratie“
Elmar Hartmann im Gespräch mit der NEUE. Hartinger


Elmar Hartmann, Präsident der Vorarlberger Industriellenvereinigung blickt auf ein schwieriges Jahr zurück, spricht über die Stärke und Innovationskraft des Standorts und findet deutliche Worte für die Politik, um die Wettberwerbsfähigkeit der heimischen Betriebe zu sichern.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Das vergangene Jahr war wirtschaftlich und gesellschaftlich von vielen Herausforderungen geprägt. Was sind Ihre positiven Eindrücke aus diesem Jahr?

Elmar Hartmann: Es stimmt, die letzten Jahre waren für die Industrie äußerst anspruchsvoll. Drei Jahre in Folge befindet sich die Branche in einer Rezession, und doch gibt es auch Lichtblicke. Besonders stolz bin ich auf unser Projekt „Haus der Industrie“ in Bregenz. Dieses Gebäude steht nicht nur symbolisch für unser klares Bekenntnis zu Vorarlberg, sondern auch für unsere Offenheit. Wir wollen zeigen, dass die Industrie keine abstrakte oder elitäre Institution ist. Unser Ziel ist es, als Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden und den Dialog mit allen Interessengruppen zu suchen. Das Haus der Industrie wird eine Plattform sein, auf der Begegnung und Austausch stattfinden können. Es ist unser Beitrag dazu, Vorurteile abzubauen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

„Industrie im engen Korsett der Bürokratie“
Hartmann zeigt sich kämpferisch. Hartinger

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Die Rolle der Industrie hat sich über die Jahrzehnte gewandelt. Wie hat sich das Verhältnis zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern verändert?

Hartmann: Das Bild von „denen da oben“ und „denen da unten“ gehört längst der Vergangenheit an – zumindest in Vorarlberg. Der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens ist unmittelbar mit den Menschen verknüpft, die dort arbeiten. Ohne gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kann ein Unternehmen nicht erfolgreich sein. Ebenso ist der Wohlstand der Region, von dem alle profitieren, ohne eine starke Industrie nicht denkbar. Vorarlberg wäre ohne seine Industrie schlicht nicht vorstellbar. Diese wechselseitige Abhängigkeit hat sich über die Jahrzehnte positiv verändert. Die Zusammenarbeit erfolgt heute auf Augenhöhe, und ich glaube, das Verständnis für diesen systemischen Zusammenhang ist gewachsen.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Vorarlberg zählt zu den wirtschaftlich stärksten Regionen Europas, und doch gibt es Stimmen, die den Standort als gefährdet betrachten. Was ist notwendig, um Vorarlberg für Unternehmen attraktiv zu halten?

„Industrie im engen Korsett der Bürokratie“
Elmar Hartmann und IV-Geschäftsführer Simon Kampl. Hartinger

Hartmann: Eine der zentralen Herausforderungen ist die Sicherstellung von Fachkräften. Wir haben mit Partnern den „Expat Service“ ins Leben gerufen, um Fachkräfte nicht nur ins Land zu holen, sondern auch langfristig hier zu halten. Der Service hilft, bürokratische Hürden zu überwinden und die Integration zu erleichtern, sei es durch Unterstützung bei Formularen oder durch den Aufbau sozialer Netzwerke. Gleichzeitig ist die Bildung ein Schlüsselthema. Wir brauchen eine qualitativ hochwertige Ausbildung, die sich am tatsächlichen Bedarf orientiert. Kooperationen wie jene mit der HSG in St. Gallen sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber wir dürfen uns nicht darauf ausruhen. Der Standort Vorarlberg muss auch für Spitzenkräfte attraktiv sein, weshalb wir weiterhin auf verbesserte tertiäre Ausbildungsmöglichkeiten und ein Promotionsrecht für Fachhochschulen im Land drängen. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Bürokratie. Oft werden Unternehmen durch langwierige und komplexe Verfahren behindert. Hier braucht es radikale Vereinfachungen, um schneller handeln zu können. Auch infrastrukturelle Projekte wie die S18 und eine bessere Schienenanbindung nach Deutschland sind für den langfristigen Erfolg entscheidend. Wir dürfen nicht warten, bis es zu spät ist.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Die hohen Lebenshaltungskosten und die Steuerbelastung werden immer wieder kritisiert. Wie stehen Sie zu möglichen Lösungen wie einer föderalen Steuerhoheit?

Hartmann: Die Steuerlast, insbesondere die Lohnnebenkosten, ist in Österreich viel zu hoch. Unser Ziel ist es, diese Last auf unter 40 Prozent zu senken. Gleichzeitig plädieren wir für eine Rückbesinnung auf das Wesentliche. Die Vollkasko-Mentalität, bei der der Staat für alles verantwortlich ist, ist nicht finanzierbar. Es braucht eine realistische Einschätzung dessen, was möglich ist. Eine föderale Steuerhoheit, wie sie in anderen Ländern praktiziert wird, hat Vor- und Nachteile. Österreich ist jedoch ein kleines Land, das sich ein ineffizientes Verwaltungssystem nicht leisten kann. Wir brauchen eine schlanke, transparente Verwaltung, die das Land als Ganzes stärkt.

„Industrie im engen Korsett der Bürokratie“
Die IV fodert radikales Denken und Mut für Vision.Hartinger

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Bürokratie ist ein Dauerthema. Was sind Ihre konkreten Forderungen?

Hartmann: Bürokratie ist wie ein Korsett – sie nimmt uns die Luft zum Atmen. Wir brauchen radikale Ansätze, um Verfahren zu vereinfachen. Ein Beispiel ist die freiwillige Umweltverträglichkeitsprüfung, die Projekte wie das Abwärmekraftwerk von Rondo-Ganahl behindert. Unternehmen, die freiwillig nachhaltig handeln, sollten nicht mit zusätzlichen Hürden bestraft werden. Wir müssen alte Regeln infrage stellen und neue Wege gehen. Nur so können wir schneller und effizienter handeln.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Nachhaltigkeit ist ebenfalls ein Dauerthema. Wie bringt die Industrie Umwelt- und Wirtschaftsinteressen in Einklang?

Hartmann: Die Industrie in Vorarlberg hat ein großes Interesse daran, nachhaltig zu agieren. Viele Unternehmen investieren in Technologien, die nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch sinnvoll sind. Doch die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit kann nur gelingen, wenn sie gemeinsam geplant und umgesetzt wird. Dabei darf die Wettbewerbsfähigkeit nicht geopfert werden. Es braucht klare Konzepte, die langfristig tragfähig sind.

„Industrie im engen Korsett der Bürokratie“
Der Standort in Vorarlberg wird auf eine harte Probe gestellt.Hartinger

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Thema ist die Infrastruktur: Wie wichtig sind Projekte wie die S18 für die Industrie?

Hartmann: Eine gute Infrastruktur ist das Rückgrat einer erfolgreichen Wirtschaft. Die S18 ist seit Jahrzehnten ein Diskussionsthema, und es ist unverständlich, dass hier noch immer keine Lösung umgesetzt wurde. Ohne eine schnelle Entscheidung können wir als Wirtschaftsstandort nicht mithalten. Auch die Schienenanbindung nach Deutschland muss dringend verbessert werden. Es kann nicht sein, dass ein Gütertransport mehrere Tage dauert. Wenn wir Vorarlberg als Exportregion stärken wollen, müssen wir hier ansetzen.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Digitalisierung, Automatisierung und Künstliche Intelligenz prägen die Zukunft. Wie wirkt sich das auf die Industrie aus?

Hartmann: Digitalisierung und Automatisierung sind keine Gegensätze zur Beschäftigung – sie schaffen neue Möglichkeiten und damit auch neue Jobs. Natürlich werden manche Tätigkeiten wegfallen, aber es entstehen gleichzeitig viele neue Arbeitsbereiche. Entscheidend ist, dass wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter qualifizieren und weiterbilden, um diesen Wandel aktiv zu gestalten. Der technologische Fortschritt ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug, um effizienter und wettbewerbsfähiger zu werden.

„Industrie im engen Korsett der Bürokratie“
Elmar Hartmann im IV-Gebäude in Lustenau. Hartinger

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Die Rolle der Industriellenvereinigung: Sollte sie mehr Einfluss in der Politik haben?

Hartmann: Die Industriellenvereinigung ist keine Pflichtvertretung wie die Kammern, sondern eine freiwillige Interessensvertretung. Unsere Stärke liegt in der Sachorientierung. Wir verfolgen keine ideologischen Ziele, sondern setzen uns für Lösungen ein, die den Standort Vorarlberg stärken. Unser Einfluss auf die Politik ist wichtig, aber wir sehen uns nicht als Sozialpartner. Vielmehr verstehen wir uns als Plattform für den Dialog zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.

NEUE Vorarlberger Tageszeitung: Abschließend: Was macht Sie optimistisch für das neue Jahr?

Hartmann: Vorarlberg ist geprägt von einer starken, innovativen und breit aufgestellten Industrie. Unsere Unternehmerinnen und Unternehmer haben in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass sie flexibel und anpassungsfähig sind. Wenn wir es schaffen, Bürokratie abzubauen, Infrastrukturprojekte voranzutreiben und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, bin ich überzeugt, dass Vorarlberg eine erfolgreiche Zukunft hat. Es geht darum, Mut zu zeigen und den gemeinsamen Weg zu suchen. Nur so können wir die Herausforderungen meistern und unseren Standort nachhaltig sichern.

(NEUE)